Ein Gaskraftwerk in Kaiseraugst oder Kaisten?

  22.02.2022 Fricktal, Kaiseraugst

Pläne des Bundesrates stossen auf Bedenken

Um die Energieversorgung der Schweiz in Notfällen zu sichern, will der Bundesrat Reserve-Gaskraftwerke realisieren. Zwei mögliche Standorte sind Kaiseraugst und Kaisten. Dort reagieren die Gemeindebehörden überrascht.

Valentin Zumsteg, Susanne Hörth

Die Pläne des Bundes stossen im Fricktal auf Erstaunen: «Wir haben davon aus den Medien erfahren. Wir sind vorgängig nicht informiert worden», erklärt die Kaiseraugster Gemeindepräsidentin Françoise Moser gegenüber der NFZ. Gleichzeitig lässt sie durchblicken, dass die Gemeinde wenig Interesse an einem Gaskraftwerk hat: «Wir sind ein Entwicklungsschwerpunkt für Life Science und Umwelttechnologie, da stellt sich schon die Frage, ob so etwas passen würde.»

Derzeit beplant die Gemeinde zusammen mit den Grundeigentümern die Zukunft des rund neun Hektaren grossen Aurica-Landes, wo früher ein Atomkraftwerk vorgesehen war. Das Kraftwerk konnte wegen des Widerstands der Bevölkerung nicht gebaut werden. Die Gemeinde Kaiseraugst und die Aurica AG haben vor ein paar Monaten gemeinsam einen Planungsprozess gestartet, der zu einer Entwicklungsrichtplanung und allenfalls einer Teilzonenplan-Revision führen wird (die NFZ berichtete). Die Gemeinde wünscht sich hochwertige Arbeitsplätze. Moser betont, dass im Zuge dieser Planung ein Gaskraftwerk bislang kein Thema ist. Die Pläne des Bundes scheinen auch einige Bürger zu beunruhigen: «Ich habe bereits Mails mit Fragen erhalten. Bislang kann ich nur sagen, dass wir auch nicht mehr wissen», sagt Moser.

Grosses Erstaunen in Kaisten
Mehr Fragen als Antworten gibt es auch in Kaisten, welches als weiteren Standort für ein Reserve-Gaskraftwerk vom Bund genannt wird. Durchaus möglich, dass hier die bereits vorhandene Schaltanlage auf dem Kaisterfeld eine Rolle spielt. Beim Kaister Gemeinderat weiss man es nicht. «Wir wurden durch die Meldung in der Sendung ‹10 vor 10› sehr überrascht», erklärt Gemeindeammann Arpad Major auf Nachfrage der NFZ. Die Gemeinde sei im Voraus nicht in die Diskussion einbezogen und auch nicht vorgängig über die öffentliche Publikation informiert worden. Major betont deshalb: «Wir haben keine genaueren Angaben zum Projekt wie Landbedarf, Lage innerhalb der Gemeinde, Leistungsdaten, Betriebsangaben, Art und Standort der Betreibergesellschaft und können somit keine fundierte Einschätzung des Projektes abgeben.» Eine seriöse Stellungnahme würde ein Minimum an Angaben erfordern. Major ist sich sicher, dass ein solches Vorhaben bei der Bevölkerung zu unterschiedlichen Reaktionen führen würde. Von Zustimmung zur Absicherung der Stromversorgung bis hin zu grossen Bedenken gegenüber einer Technologie mit einem hohen CO2-Ausstoss wäre alles dabei. «Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde der Standort Kaisten von einem weiteren attraktiven Arbeitgeber und gegebenenfalls über zusätzliche Steuereinnahmen profitieren.» Arpad Major weiss aber auch: «Auf der anderen Seite müssten wir mit zusätzlichen Belastungen wie Behinderung der Sicht, Zunahme des Verkehrs, Lärm- und Geruchsemmissionen und anderen rechnen.»

Die Machbarkeit eines solchen Projektes am Standort Kaisten sei aufgrund der fehlenden Angaben schwer zu beurteilen, könne aber durch geeignete Rahmenbedingungen wie zum Beispiel einer Integration einer CO2-Abscheideanlage mit anschliessender Verwertung oder Lagerung sicher verbessert werden.


Gaskraftwerke: Das hat der Bund vor

Aufgrund der zu erwartenden Stromknappheit ab 2025 sollen zwei bis drei Reserve-Gaskraftwerke gebaut werden. Derzeit werden mehrere Standorte geprüft; im Aargau sind es Kaiseraugst, Kaisten und Birr.

Der Bundesrat will die bestehende Gefahr einer Strommangel-Lage mit verschiedenen Massnahmen abwenden. Dies gab er letzten Donnerstag bekannt. Unter anderem ist der Bau eines oder mehrerer Gaskraftwerke ein Thema. Dabei orientiert sich die Regierung an den Empfehlungen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) und ihrem «Konzept Spitzenlast-Gaskraftwerk».

Gemäss der Kommission kommen 17 Standorte in Frage, mit Kaiseraugst (Asphard) und Kaisten befinden sich zwei davon im Fricktal. Die übrigen möglichen Standorte sind Birr (ebenfalls AG), Schweizerhalle (BL), Gösgen (SO), Perlen (LU), Utzenstorf (BE). In der Romandie kommen Orte in drei Kantonen infrage: Im Wallis sind es Chamoson, Chavalon, Collombey und Monthey, in der Waadt Bex, Orbe, Yverdon und Aigle (zwei Standorte) und im Kanton Neuenburg Cornaux.

Investitionen von maximal 700 bis 900 Millionen Franken
Das Elcom-Konzept sieht den gestaffelten Bau von zwei bis drei Gaskraftwerken mit einer Leistung von insgesamt bis zu 1000 Megawatt (MW) vor. Die Elcom beziffert die Investitionskosten für die Reserve-Gaskraftwerke auf insgesamt maximal 700 bis 900 Millionen Franken. Falls bestehende Anlagen und Infrastrukturen genutzt werden können, könnten die Kosten tiefer liegen. «Die Betriebskosten betragen sechs Millionen Franken pro Jahr und die Brennstoffkosten zwischen 138 000 und 243 000 Franken pro produzierte Gigawattstunde (GWh), falls die Gaskraftwerke tatsächlich zum Einsatz kommen», heisst es in einer Medienmitteilung. Als erste Versicherungslösung für den Fall von Knappheitssituationen hat der Bundesrat zudem entschieden, bereits auf den Winter 2022/2023 eine Wasserkraftreserve einzurichten. Diese sieht vor, dass Speicherkraftwerksbetreiber gegen Entgelt eine bestimmte Menge Energie zurückbehalten, die bei Bedarf abgerufen werden kann. Die Gaskraftwerke sollen die Wasserkraftreserve ergänzen. «Beide Reserven dürfen nur in Ausnahmesituationen zum Einsatz gelangen, wenn der Strommarkt die Nachfrage zeitweise nicht mehr decken kann, und sie sollen den Strommarkt nicht verzerren», betont der Bundesrat.

Greenpeace und Nuklearforum sind kritisch
Die Pläne des Bundesrates stossen aber auf Widerstand. So äussert sich etwa Greenpeace sehr kritisch: «Wieder einmal hat der Bundesrat vergessen, welch entscheidende Rolle die Solarenergie spielen kann und muss, um für unser Land eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten, die mit den Klimazielen des Bundes vereinbar ist», hält Georg Klingler, Experte für Energie- und Klimafragen bei Greenpeace Schweiz, fest. «Wir müssen unsere Treibhausgasemissionen rasch reduzieren. Der Einsatz von Gaskraftwerken führt zu einem Anstieg der Emissionen, unabhängig von den Massnahmen, die ergriffen werden, um sie zu kompensieren.» Ebenfalls kritisch, aber aus anderen Gründen, lässt sich das Nuklearforum Schweiz vernehmen: «Eine Energiepolitik ohne Technologieverbote würde die Notwendigkeit von Reserven deutlich verringern. Mit Kernkraftwerken der aktuellen oder nächsten Generation würde eine verlässliche und klimafreundliche Alternative zur Verfügung stehen.» (nfz)


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