Brennende Holzscheiben vertreiben den Winter

  08.03.2022 Kultur, Oeschgen

Am Sonntag wurden in Oeschgen anlässlich der «alten Fasnacht» 1000 Holzscheiben «gesprengt». Anlass war das traditionelle Scheibensprengen.

Andrea Marti

Schon beim Lesen der Einladung zum Oeschger «Scheibensprengen» beschleicht einen das Gefühl, dass es sich um einen Anlass für Eingeweihte handelt. «Die Scheibensprenger-Hütte steht dort, wo im Sommer Wengers Angusrinder mit ihren Kälbern weiden», lautet ein Teil der Wegbeschreibung zum Fest. Doch wer nicht Oeschger ist, der kennt weder Wenger noch seine Angusrinder. Dass das Scheibensprengen ein Anlass von und für Oeschger ist, bestätigt Scheibensprenger Franz Zundel: «Praktisch alle, die ans Scheibensprengen kommen, haben einen Bezug zum Dorf», so Zundel. «Viele kommen jedes Jahr, manche seit Jahrzehnten.» Das Scheibensprengen ist von Tradition getränkt.

Die Besucherinnen und Besucher des Scheibensprengens wirken vertraut, jeder kennt jeden mit Vornamen. Schon am Nachmittag finden sich zahlreiche Familien mit Kindern auf dem «Boll» ein, dem Hügel, wo im Sommer Wengers Angusrinder weiden. Noch vor Einbruch der Dunkelheit bringen Väter ihren Kindern das Scheibensprengen bei: Sie stecken «Scheiben», kleine, rechteckige Holzplatten auf lange, angespitzte Holzstöcke, die teilweise viermal so lang sind wie ihre Kinder. Dann suchen die Väter für die Kinder im grossen Feuer Stellen, wo sie ihre Scheibe gut anzünden können. Brennt die Scheibe, begleiten sie ihre kleinen Schützlinge zu den «Böcken», einer Art Startrampe, auf denen die Scheiben mit Hilfe der Stöcke gerollt werden. Schon nach kurzer Zeit tragen die Kleinen die Stöcke mit den Scheiben ganz allein zu den «Böcken». Wenn die Kleinen einen besonders weiten Wurf geschafft haben, verkünden ihre Eltern den Erfolg. Die Wurfweite ist den ganzen Abend Vergleichsgegenstand, wer weit wirft, darf stolz sein. Es geht das Gerücht um, dass ein gratis Bier erhält, wer es schafft, seine Scheibe bis jenseits Autobahn, die einige hundert Meter entfernt ist, zu sprengen. Das aber entkräftigt Scheibensprenger Franz Zundel lachend: «Das geht doch gar nicht. Wer es bis zum Ende des Hangs schafft, der darf schon stolz sein!»

Ursprünglich war das Ziel des Scheibensprengens eigentlich nicht nur, möglichst weit sprengen zu können. Der heidnische Brauch diente dazu, den Winter zu vertreiben – ganz ähnlich der Fasnacht. In Oeschgen findet der Brauch schon seit Jahrhunderten statt, auch wenn die Tradition einige Zeit aus Angst um die Strohdächer der umliegenden Häuser verboten wurde. Erst 1969 wurde der Brauch dann wiederbelebt: «Ein paar Oeschger sassen abends bei einem Bier zusammen – und da entstand dann die Idee, wieder Scheiben zu sprengen», erzählt Scheibensprenger Sepp Hauswirth. Er ist bereits seit 1972 dabei und kannte jene noch, die den Brauch als erste wiederbelebten.

Seit 1969 wurde das Scheibensprengen in Oeschgen wieder jedes Jahr durchgeführt. Die einzige Ausnahme (und selbst die war eigentlich nur eine halbe) war vergangenes Jahr, als das Scheibensprengen wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte. Aber selbst dann hat das Scheibensprenger-Team, das den Anlass jeweils organisiert, Scheiben geschnitten und im kleinen Kreis gesprengt. «Wir haben noch einige Scheiben auf Vorrat», so Sepp Hauswirth. Jährlich werden rund 1000 Scheiben geschnitten. Gerade dieses Jahr waren die Scheibensprenger sehr zufrieden mit ihrem Anlass: «Man merkt, dass die Leute wieder raus wollen, es sind wirklich viele gekommen», so Scheibensprenger Franz Zundel.

Das brennende Rad
Auch das Abbrennen des grossen Rads konnte dieses Jahr wieder stattfinden. Es ist jeweils der Höhepunkt des Abends, wenn das vier Meter hohe Holzrand hoch über Oeschgen lichterloh in Flammen steht.

Nachdem das Rad zerfallen war, widmeten sich die Besucher wieder dem Sprengen der glühenden Scheiben, die in der Dunkelheit umso eindrücklicher ist. In der Festhütte wurde munter weiter gefeiert, während Familien mit kleineren Kindern das Gelände bereits verliessen. Viele Eltern gingen unter dem Protest ihrer Kinder nachhause. Tröstlich für die Kleinen könnte sein, dass es wohl kein Abschied für immer war – wahrscheinlich kommen dieselben Familien nächstes Jahr wieder, um mit ihren Kindern das Scheibensprengen zu üben. Und übernächstes Jahr. Und das Jahr danach.


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