Die Kämpferin

  21.09.2022 Bücher, Kaiseraugst, Persönlich

Susanne Straumann hat ihre unglaubliche Lebensgeschichte niedergeschrieben

Susanne Straumann aus Kaiseraugst, Tochter einer Baslerin und eines Afrikaners aus Simbabwe, wird als Baby adoptiert. Mit dreizehn Jahren stirbt ihre geliebte Adoptivmutter. Sie ist fest entschlossen, ihre leiblichen Eltern zu suchen, weil sie die Frage «Wo kommst du her?» nicht mehr ertragen kann.

Catherine Hossli

«Wo soll ich nur anfangen», meint die 51-jährige Susanne Straumann aus Kaiseraugst. «Ich wurde als Baby adoptiert», erklärt sie entschlossen und beginnt ihre Geschichte zu erzählen: «Meine Adoptiveltern kamen in den 60ern aus Deutschland und Österreich nach Basel. Meine Adoptivmutter und ihre Schwägerin wurden damals gute Freundinnen. Als diese aus einer Affäre mit einem Afrikaner schwanger wird, gibt sie das Baby nach der Geburt zur Adoption frei. Ich wurde also von der Schwägerin meiner Mutter adoptiert, ‹es blieb in der Familie› sozusagen. Niemand durfte davon wissen, man hielt alles verdeckt. Meine leibliche Mutter Brigitta hatte damals schon eine fünfjährige Tochter, Irène. Oft kamen sie zu uns auf Besuch und ich spielte mit ihr, ohne zu wissen, wer sie ist.»

«Als ich dreizehn Jahre alt war, ist mein geliebtes Mami gestorben. Eine Welt ist für mich zusammengebrochen. Ich war ein ‹Mutterkind›, mein Vater war streng, aber gut. Wir haben uns zusammen arrangiert, ich musste aber früh lernen, selbständig zu werden. Es war ein ‹holpriger› Weg. Ich ging ein Jahr ins Welschland und machte eine Lehre in einer Papeterie. Mein Lehrmeister war ein ‹böser Cheib›, aber man musste halt funktionieren und so habe ich mich durchgebissen. Immer wieder tauchte die Frage auf ‹Woher kommst du eigentlich, bist du Brasilianerin?›. Ich wusste, dass ich adoptiert bin, man sieht es meiner Hautfarbe an, aber wer sind meine leiblichen Eltern? Die Frage nicht beantworten zu können, hat mich krankgemacht. Mit 25 Jahren habe ich zum ersten Mal geheiratet. Der Zufall wollte, dass ich wegen der Hochzeitsformalitäten das Pfarramt in Aesch aufsuchte, ich bin in Reinach aufgewachsen. Am Telefon meldete ich mich mit meinem Nachnamen Kaneider, mein Adoptivvater war ja Österreicher. Die Frau vom Pfarramt meinte, der Name käme ihr bekannt vor, ob ich mit Paul Kaneider verwandt wäre. Ich bejahte ‹das ist mein Vater›. Es stellte sich heraus: die Frau am Telefon war Irène, meine Spielkameradin von früher. Wir haben uns auf Anhieb wieder gut verstanden und schwelgten in Erinnerungen. Kurzerhand habe ich sie zum Hochzeitsapéro eingeladen. Sie fragte, ob sie ihre Mutter mitbringen könnte, dann würde ich sie wiedersehen und wir könnten ein wenig über vergangene Zeiten plaudern. Wenn ich zurückschaue, läuft es mir kalt den Rücken runter, an meiner Hochzeit stand meine Mutter mir gegenüber und sie gratulierte mir zum grossen Tag. Ich habe meiner leiblichen Mutter die Hand gegeben, ohne zu wissen, dass sie es ist.»

Auch den Vater gefunden
«Es vergingen zwei Jahre, bis ich endlich den Mut gefasst habe, meinen Vater nach meiner Herkunft zu fragen: Wer ist meine leibliche Mutter? Mein Vater war nie ein Mann der vielen Worte, er stand auf und holte einen Heimatschein hervor, wo draufstand: Susanne B., Tochter der Brigitta B. Ich war verwundert und fragte ‹Aber das ist doch die Mutter von Irène?›. Dann fiel bei mir der Groschen. Brigitta war meine leibliche Mutter und Irène meine Halbschwester. Es ist alles auf mich eingestürzt und ich konnte es kaum fassen, dass das real ist.

Eine weitere wichtige Person in meinem Leben war meine Grosstante, die Tante meiner Adoptivmutter. Sie erzählte mir die ganze Geschichte und so wusste ich endlich Bescheid. Sie half mir auch, meinen leiblichen Vater zu finden. Der afrikanische Part fehlte mir gänzlich. Meine leibliche Mutter konnte mir leider nicht helfen, da sie die Affäre verdrängt und ihn vergessen hatte. Ich mache meiner Mutter keine Vorwürfe, es ist ihr bestimmt nicht leichtgefallen, mich wegzugeben. Die Umstände, in den 70ern ein uneheliches Kind zu bekommen, haben sie dazu gezwungen. Meine Grosstante gab mir den Tipp, mich an die Vormundschaftsbehörde zu wenden. Diese konnte schlussendlich meinen Vater ausfindig machen. Ein erneut unglaublicher Zufall war, dass er seit über 40 Jahren im Nachbarsdorf, mit einer neuen Frau und drei Söhnen, wohnte. Ich hatte auf einen Schlag auch noch drei Brüder. Mein erstes Treffen mit ihm war unglaublich, endlich hatte ich Antworten auf den afrikanischen Teil in mir. Wir konnten uns noch zehn Monate kennen und lieben lernen, dann starb mein Vater.»

Eine Art Therapie
«Familie und Freunde, die meine Geschichte kennen, waren alle sehr betroffen und ihre Reaktion war ‹das ist ja unglaublich, du solltest ein Buch schreiben›. So habe ich vor zirka zehn Jahren, mit vielen Unterbrüchen, damit begonnen, meine Geschichte niederzuschreiben. Es war für mich eine Art Therapie. Ich habe das Buch für mich geschrieben, aber auch für meine 16-jährige Tochter Samira, damit auch sie ihre Herkunft kennt, und für meine Freunde und Familie. Mein leiblicher Vater hätte immer gerne eine Tochter gehabt, er hätte sie ‹Sosiya› genannt. Das heisst übersetzt ‹Die Kämpferin›. Ich fand das passend für mich und den Titel meines Buches. Das Schreiben hat mir geholfen, über meine Schicksalsschläge hinwegzukommen.»

Susanne Straumann wohnt seit 2005 mit ihrem jetzigen Mann und ihrer Tochter in Kaiseraugst. All ihre Bezugspersonen von früher sind mittlerweile verstorben, ausser ihre vier Halb-Geschwister. Susanne ist zufrieden und dankbar dafür, wo und wie sie jetzt lebt. Sie hat ihre Wurzeln gefunden und damit, so scheint es, auch ihren Seelenfrieden. Eine faszinierende Ausstrahlung geht von dieser unglaublich starken Frau aus – Sosiya ist eine Kämpferin.


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