Der Urchnulleri

  16.02.2022 Kaiseraugst, Persönlich

Toni Hollenstein kam vom Toggenburg nach Kaiseraugst und blieb

Der Toggenburger Toni Hollenstein und seine Frau Gerda, auch aus der Ostschweiz stammend, wollten nur drei Jahre in Kaiseraugst bleiben, danach wollten sie in die Heimat zurückzukehren. Vor 50 Jahren war er mit dabei als die Chaiseraugschter Gugge Grossschtadtchnulleri gegründet wurde. Als deren erster Major hat er einiges zu erzählen.

Andreas Fischer

«Feldschlösschen hin, Ueli-Bier her, soviel Heimatverbundenheit muss sein», sagt der Toggenburger Toni Hollenstein mit dem typischen trockenen Humor, ohne Anf lug eines Lächelns, und kredenzt ein Appenzöller ‹Quöllfrisch›». Dann fängt er an zu erzählen: «Im Jahr 1968 verschlug es uns hier runter ins Fricktal. Ein paar Monate später wurde ich Mitglied der Musikgesellschaft Kaiseraugst. Seltsamerweise spielten wir an der Fasnacht jeweils hundsgewöhnliche Marschmusik, was uns in Pratteln, wo wir ebenfalls auftraten, Spott eintrug. Irgendwann beschlossen die Jüngeren in der Musikgesellschaft, eine richtige Gugge zu gründen.»

Der Widerstand, sagt Toni Hollenstein, sei erheblich gewesen: «Einer rüsselte, das werde nie und nimmer funktionieren, in zwei Jahren werde der Spuk wieder vorbei sein, man werde seiner Worte gedenken.» Die Prophezeiung erfüllte sich nicht. Dieses Jahr werden die Chnulleri fünfzig. Toni Hollenstein, ihr erster Major, erinnert sich an die Anfänge: «Weil wir kein Sousaphon hatten, bastelten wir eins, aus gewöhnlichen Röhren, ein Jahr später einen Stereobass mit zwei Bechern. Die Töne mussten nicht stimmen, man musste einfach reinhornen, das klappte gut.» Der derbe Schein trügt. Toni Hollenstein ist alles andere als eine musikalische Dumpfbacke. Er bewegt sich in verschiedenen musikalischen Welten, «Jazz, Blues, Klassik, Schlager, Volkstümliches, nur die Rockmusik ist mir fremd geblieben». Die Rekrutenschule absolvierte er als Trompeter bei der Militärmusik. Er besuchte Dirigentenkurse, dirigierte fünf Jahre lang die Musikgesellschaft Brislach, zwanzig Jahre die Musikgesellschaft Concordia Wegenstetten, deren Ehrendirigent er ist. «Da konnte ich mehr machen als mit der Gugge», sagt er. Nach einer Dekade gab er den Major der Chnulleri ab. Aber Fasnacht macht Toni Hollenstein bis heute.

Auf Montage in Tanger und Kairo
Die Hollensteins wurden in Kaiseraugst gut aufgenommen, und die Gegend, muss er zugeben, «bietet mehr als das mittlere Toggenburg». Dort war er aufgewachsen, zusammen mit zwei Schwestern und vier Brüdern, mütterlicherseits ist er Italiener, der Nonno war aus der Poebene in die Schweiz eingewandert. Damals wurden Tunnels gebaut für die Bodensee-Toggenburg-Bahn, da gab es Arbeit. Toni Hollensteins Vater war Bäcker-Konditor mit eigenem Geschäft in Lichtensteig. Er absolvierte bei Bühler AG in Uzwil eine Lehre als Mühlenbauer, das sei die spannendste Lehre von allen gewesen, kommt er noch heute ins Schwärmen, «da war alles drin, Maschinenbau, Sch losser n, Spengler n, Schreinern, Zeichnen usw.» Nach dem Lehrabschluss konnte er im Auftrag von Bühler auf Montage in die weite Welt reisen, der Sommer in Tanger in Marokko ist ihm als der schönste seines Lebens in Erinnerung, nur dreimal regnete es, und es war nie extrem heiss. Anders der Aufenthalt in Kairo in Ägypten, da zeigte das Thermometer zuweilen mehr als 40 Grad an. Doch Toni Hollenstein, mit italienischem Blut in den Adern und neben einem Backofen aufgewachsen, hatte damit keine Probleme, jedenfalls weniger als in der RS in jenem Winter der grossen Seegfrörni, als man bei minus 20 Grad auf dem Kasernenplatz exerzieren musste. Fünf Jahre ging Toni Hollenstein insgesamt auf Montage, dann beendete er dieses Kapitel in seinem Leben. Zwar liebte er es, in der Welt herumzukommen. Doch fehlten ihm die Musik, die Freunde, die Berge. Seit seiner Kindheit ist Hollenstein begeisterter Bergsteiger, Hochtouren haben ihn auf viele Viertausender geführt, und selbstverständlich zieht es ihn immer wieder in die alte Heimat, auf die Kurfirsten, ins Säntismassiv. Sein Vorsatz, nach der Pensionierung jährlich einmal – «als alter Mann», wie er sagt – den Altmann zu besteigen, hält er seit nunmehr dreizehn Jahren konsequent ein.

Ein Haus bauen
Bis zur Pensionierung war Toni Hollenstein über drei Jahrzehnte im Grossapparatebau tätig, als Betriebsund Fabrikationsleiter bei Apaco, einem Familienunternehmen mit Sitz in Grellingen. Er blickt zurück auf eine glückliche berufliche Laufbahn, mit der anfangs kleinen Firma ging es kontinuierlich aufwärts, er verstand sich ausgezeichnet mit dem Patron, nach Besichtigung von neuen Schweiss- und Brennanlagen rechneten sie auf dem Heimweg jeweils auf einem Fresszettel oder Bierdeckel durch, ob sich ein Kauf lohnen würde. Dasselbe machten sie auch, als sich Toni Hollenstein seinen Traum erfüllte, ein eigenes Haus zu bauen. «Willst du immer noch ein Haus bauen?» fragte eine Frau, die er aus gemeinsamen Guggen-Zeiten kannte. Sie hatte ein grosses Gelände geerbt. Die Fresszettelrechnung ging auf, man kaufte den Bauplatz und fand eine tolle Architektin. 1999 war das Haus bezugsbereit. Zuvor hatten die Hollensteins im Spiegelgrund gelebt, die beiden Söhne waren dort in einer Schar von mehreren Dutzend Kindern aufgewachsen. Inzwischen waren sie ausgezogen. Die Familie ist inzwischen um eine Generation gewachsen ist.

Vor dem Haus steht eine Skulptur, aus massivem Stahl, doch mit sanftem Schwung und fliessenden Linien gestaltet. Wer durchs Dorf spaziert, begegnet ähnlichen Konstrukten. Seit seiner Pensionierung hat Hollenstein endlich Zeit für jenen Lebensbereich, der ihm weit mehr ist als ein Hobby und ihn seit jungen Jahren begleitet: «Neben präziser Arbeit mit Metall», sagt er, «faszinierte mich immer auch das freie Formen.» Familie, Beruf, Musik – all dies erfüllte sein Leben und hinderte ihn daran, der Faszination zu folgen. Doch nach der Pensionierung trat die bildende Kunst «schlagartig» auf den Plan.

Kein Gschnuurpf
Seither habe er «immer etwas im Kopf», sagt Toni Hollenstein, «wenn ich etwas davon verwirkliche, entsteht im Kopf wieder Platz für Neues.» Sein ehemaliger Arbeitgeber ermöglicht ihm, in den Fabrikhallen Skulpturen von zum Teil exorbitantem Ausmass zu schaffen, geschweisst, geschnitten, geschliffen. Dreidimensional. Zugleich ist seine Kunst fern von jeglichem «Gschnuurpf», wie der Toggen bu rger k ü n st ler i schen Schnickschnack nennt. Er mag keinen Rost, keine Risse noch Brüche. Sein Vorbild ist der 1933 geborene Therwiler Künstler Jakob Engler. Dieser verschliesse sich «jeder Form des Spektakulären», sagt Hollenstein. Die «Kreuz-Licht-Kapelle», eine von Engler 2007 zum hundertjährigen Jubiläum der Pfarrei St. Franz Xaver in Münchenstein geschaffene Plastik, symbolisiere Offenheit und überkonfessionell-weltweite Verbundenheit. Sie sei, sagt der Katholik Toni Hollenstein augenzwinkernd, auch für Reformierte ein sich lohnendes Pilgerziel. «Aber nicht mehr heute Abend», fügt er hinzu und leert sein «Quöllfrisch».


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