«Und, zagg!, war der Engel da»

  07.08.2024 Persönlich, Kaiseraugst

Kreativ tätig zu sein, sei für sie immer wichtiger, sagt die Papiermaché-Künstlerin Pia Hartmann Gröger. Lange sang sie im Gospelchor der reformierten Kirchgemeinde Rheinfelden, am Sonntag präsentiert sie in Kaiseraugst eine andere Seite von sich.

Von Andreas Fischer *

«Aufgewachsen bin ich im Basler Gundeli, in ganz einfachen Verhältnissen», erzählt Pia Hartmann Gröger. «Der Vater war Abwart beim Globus, die Mutter Abwartin im Haus, in dem wir wohnten». Hartmann Gröger hat zwei ältere Brüder, sie war das ersehnte Mädchen, der Augenstern des Vaters. Weil sie eine gute Schülerin war, wünschten sich die Eltern, dass sie das KV macht. Doch Pia lernte Coiffeuse. «Ich wollte nie ins Büro, ich wollte mit Menschen zu tun haben und auch irgendwie kreativ tätig sein. Erst später merkte ich, dass man als Coiffeuse in eine Schachtel gesteckt wird. Hübsch aufgepäppelt und nicht sehr intelligent, so stellt man sich die Coiffeuse vor.» Pia aber fuhr Motorrad, die Frisur war oft vom Helm zusammengedrückt.

Dann lernte sie Markus Gröger kennen. «Das war bei einem Tanzkurs. Ich war zwanzig und ging mit meinem damaligen Freund dahin. Am Ende des Kurses war ich mit Markus zusammen.» Beide – sie Coiffeuse, er Elektriker – waren mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden. Die Berufsberatung ergab, dass sie – ausgerechnet – das KV absolvieren soll. Also warf sie ihren Vorsatz, nie im Büro zu arbeiten, über Bord und heuerte bei «Stempel Gasser», einem Basler Familienunternehmen an. «Im KV war ich das Mami, die anderen Lehrlinge waren ja erst sechzehn. Es war eine super Zeit.» Markus Gröger absolvierte zeitgleich das «Tech», wie die Fachhochschule damals noch hiess. Man zog zusammen, trat dem vom charismatischen Dirigenten Chester Gill gegründeten Gospelchor der reformierten Kirchgemeinde Rheinfelden bei.

Am Tiefpunkt
Drei Jahrzehnte sangen Pia Hartmann und Markus Gröger in diesem Chor, später auch in weiteren Rheinfelder Formationen. Beruflich war sie viele Jahre bei einer Krankenkasse tätig, «wir waren ambitioniert, ein tolles Team, mit neuen Ideen». Doch die Arbeit powerte sie aus. Dann starb ihr verehrter Dirigent Chester Gill, «und dann brach irgendwie alles zusammen. Die Freude im Beruf war weg, die Beziehung zu Markus kam in eine Krise, eine Zeitlang lebten wir getrennt. Nichts mehr machte Sinn, ich war am Tiefpunkt angelangt.»

In jener Zeit fing Hartmann Gröger an mit Ausdrucksmalen, einer Art von Malerei, die sich von innen her, von Gefühlen und Intuitionen leiten lässt. «Das hilft, sich von engen Schemata zu befreien. Man lernt, gross zu denken und gross zu malen, auf grossen Flächen, mit grossen Gesten.»

«Trau dich, das wird toll!»
Auch das Leben von Pia Hartmann kam in jener Zeit in eine neue, stimmige Ordnung. 2004 heiratete sie Markus Gröger. «Das war nach 18 gemeinsamen Jahren ein eher ungewöhnlicher Schritt», erinnert sie sich lachend. Im selben Jahr kam Hannah zur Welt. «Ich war 38 Jahre alt und wollte nie Kinder. Meine Mutter lag mir in den Ohren, ich soll das ja nicht machen, da werde man abhängig. Und ich könne das auch nicht, ein Kind erziehen. Doch dann meldete sich Hannah.» Es falle ihr nicht ganz leicht, darüber zu sprechen, sagt Hartmann Gröger. Sie meine damit nicht die körperlichen Anzeichen der Schwangerschaft, sondern dass sich das Kind aus einer anderen Welt bei ihr meldete und sie pushte: «Trau dich, das wird toll!» Und das wurde es. Hartmann Gröger ergriff die Chance, «die Schwangerschaft war toll, die Geburt war toll, und das Kind ist toll». Inzwischen ist Hannah zwanzig Jahre alt. Bald wird sie nach Wädenswil aufbrechen, um an der Fachhochschule Umweltingenieurwesen zu studieren.

Etwas, was sie aller Voraussicht nach weiter begleiten wird, ist die Papiermaché-Arbeit. Auch diese ist, wie jede künstlerisch-kreative Betätigung im Leben von Hartmann Gröger, aus einer Krise heraus entstanden. Die Betreuung der hochbetagten Eltern war aufwändig und seelisch belastend. In dieser Zeit habe sie, einem inneren Impuls folgend, angefangen, mit der Papiermaché-Technik Engelfiguren zu gestalten. «Ich ramüsierte Zeitungen zusammen und, zagg!, war der Engel da.»

Vernissage in der Garage
Hartmann Gröger führt in den oberen Stock des Hauses. Dort, in einer Nische, stehen verschiedene Skulpturen. Einer hält die Hände ausgebreitet zu einer Friedensgeste. «Das war der erste Engel, den ich schuf», sagt sie.

Anfangs dachte Hartmann Gröger nicht daran, die Werke zu verkaufen. «Das sind Wegwerfprodukte», dachte sie, es ging ihr um den inneren Prozess. Doch dann kamen Reaktionen. Betrachter zeigten sich beeindruckt, ob sie die nicht auch verkaufe, fragten sie. Ihre Tochter baute ihr eine Webseite, ihr Mann Podeste für die Skulpturen, ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter präsentierte Hartmann Gröger erstmals im Rahmen einer kleinen Vernissage in der Garage ihres Hauses einem erweiterten Kreis ihre Werke. «Es brauchte damals Mut und Überwindung», erinnert sie sich. Inzwischen sei das anders. Sie habe keine Angst mehr, die Skulpturen zu zeigen. «Einmal habe ich sogar eine Auftragsarbeit angenommen. Doch das mache ich nicht mehr, ich fühle mich da nicht frei.»

Luftballon, Plüschbär, Kopfhörer
In einer Trilogie von Mädchenskulpturen hat sich Pia Hartmann Gröger mit ihrem eigenen Gewordensein auseinandergesetzt. «Wer bin ich? Wie bin ich? Und was hat man aus mir gemacht?» – diese Fragen, sagt sie, haben sie beschäftigt. «Die Skulpturen führen zurück zu meinem wahren Wesen, zur heilen Version von mir selber, die frei ist von familiären und gesellschaftlichen Konditionierungen.»

Was bei den drei Skulpturen auffällt: Alle drei tragen etwas auf sich, was sie verbindet mit etwas Anderem, Grösserem, Höherem: Bei der kleinen Pia ist es ein Luftballon, bei der mittleren ein Plüschbär, und die älteste trägt einen Kopfhörer um den Hals. «Der Kontakt zum Göttlichen», sagt Hartmann Gröger, «war für mich zeitlebens wichtig». Aber darüber, fügt sie hinzu, rede sie eigentlich nicht so gern. «Und es sind auch nicht alle Skulpturen so tiefsinnig. Humor, Leichtigkeit, Augenzwinkern, das sind für mich ganz wichtige Ressourcen. Der Humor kann Prozesse in Gang setzen. Und das ist doch Kunst, oder? Dass ein Werk Prozesse in Gang setzt, beim Betrachter und auch bei der Künstlerin selbst.»

Pia Hartmann Gröger stellt ihre Papiermaché-Skulpturen im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst aus. Die Vernissage findet am kommenden Sonntag, 11. August um 10 Uhr im Rahmen eines Gottesdienstes mit anschliessendem Gemeindefest statt. Öffnungszeiten der Ausstellung siehe www.ref-rheinfelden.ch

* Andreas Fischer ist reformierter Pfarrer in Kaiseraugst.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote