Trauriger Abschied vom geliebten Bruder

  01.04.2024 Rheinfelden

Das neue Buch des emeritierten Soziologie-Professors Ueli Mäder ist sein persönlichstes. Er nimmt darin Abschied von seinem Bruder Marco, der vielseitig begabt war, aber dem Alkohol verfiel.

Valentin Zumsteg

Warum? Um diese – scheinbar einfache – Frage dreht sich das neue Buch «Mein Bruder Marco – eine Annäherung» von Ueli Mäder. Warum ist aus dem geliebten, vier Jahre älteren Bruder, der so talentiert, sozial engagiert und humorvoll war, ein Trinker geworden, der sich buchstäblich zu Tode soff. Was hat zum Bruch in seinem Leben geführt?

«Mein Vorbild»
«Ich stand meinem Bruder Marco sehr nahe. Sein Leben hat mich bewegt», erklärt Ueli Mäder im Gespräch mit der NFZ. Das Buch ist ein letzter Brief, verfasst als Zwiegespräch: «Du bist vielseitig begabt und weckst grosse Erwartungen. Dennoch ist aus dir kein ehrwürdiger Herr Bundesrat geworden, sondern eher ein origineller Dorfindianer», schreibt Ueli Mäder. Wie konnte es dazu kommen?

Marco Mäder wird 1947 in Beinwil am See geboren, er ist das vierte von sechs Kindern. Die Familie zügelt später ins Oberbaselbiet. Marco ist ein guter Schüler, der Liebling der Lehrer. Er spielt in der Nationalliga Handball. Viel zu reden gibt seine Militärdienst-Verweigerung 1968, er muss dafür ins Gefängnis. Er studiert Theologie und arbeitet im Sozialbereich. «Er hat sehr viele Erwartungen erfüllt», sagt Ueli Mäder über seinen Bruder, mit dem er immer wieder lange Spaziergänge unternahm und ausgiebig diskutierte. Doch der Alkohol beginnt eine immer grössere Rolle in seinem Leben zu spielen. Er ruiniert schliesslich seine Gesundheit. «Vielleicht ist deine Alkohol-Sucht ein schier revolutionärer Bruch mit deinem privilegierten Werdegang, bei dem dir ein Leiden fehlte, das du verklären und idealisieren konntest. Bei einem nächsten Spaziergang würde ich dir jedenfalls mehr zuhören, statt Eigenes wertend in dich zu projizieren.»

Mit 42 Jahren kehrt Marco nach Sissach zurück, wo er sich um die betagte Mutter kümmert und durch die Wälder und Beizen streift. Die Sucht zeichnet ihn immer stärker, der entzündete Magen und die verkrebste Kehle plagen ihn. «Deine körperlichen Schmerzen überdeckten dein seelisches Leiden», hält Ueli Mäder fest. 2013, kurz vor seinem 66. Geburtstag, stirbt Marco Mäder. Seine damalige Freundin findet ihn, seine Ellenbogen in den gekrümmten Bauch gestemmt.

«Du fehlst»
Es ist schmerzhaft, wenn man einem geliebten Menschen beim Verfall zusehen muss: «Lieber Marco, du fehlst. Aber so ist wenigstens dein Leiden vorbei. Du hast allerdings auch sehr viel Schönes und Interessantes erlebt; vor allem während der ersten Hälfte deines Lebens. Die zweite Hälfte war schmerzvoller und öfters trüb», schreibt Ueli Mäder. Er berichtet nicht nur über persönliche Erinnerungen, sondern stellt das Leben seines Bruders in einen zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Rahmen. Das macht die Lektüre über das Einzelschicksal hinaus interessant.

Abschliessend schreibt Ueli Mäder: «Ich lasse dich gehen, vergänglich, wie wir sind, und danke dir für alles.»

«Mein Bruder Marco – eine Annäherung». Ueli Mäder. Rotpunktverlag. Die Vernissage ist am Donnerstag, 11. April, ab 19 Uhr im Literaturhaus am Barfüsserplatz 3 in Basel. Katrin Eckert und Roger de Weck moderieren, Ariane Rufino musiziert. Reservieren über: https://tickets.literaturhaus-basel.ch


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