«Solange das Feuer brennt, geht man neue Wege»

  05.03.2025 Persönlich, Kaiseraugst

Manuela Netzer-Kormann: Weltklasse-Curlerin und Nachwuchs-Chefin

An den Olympischen Spielen 2006 in Turin gewann sie im Team von Skip Mirjam Ott die Silbermedaille. Heute lebt Manuela Netzer-Kormann in Kaiseraugst. Dem Curling ist sie nach wie vor verbunden – als erfolgreiche Nachwuchs-Chefin der Swiss Curling Association.

Andreas Fischer

Der Vater war Curler, die Mutter liess sich davon anstecken. In der Berner Allmend stand die kleine Manuela neben dem Eis, sah internationalen Spielern zu und dachte: «Wenn ich alt genug bin, fange ich auch damit an.» Mit zehn war es so weit. Ob das nicht ziemlich spät sei, fragt man. «Damals gab es nur die zwanzig Kilogramm schweren Standardsteine», erklärt Manuela Netzer-Kormann, «und ausserdem gab es noch nicht so einen Run auf die Kids.»

Seit dem zehnten Lebensjahr aber sei Curling Teil ihres Lebens, sagt sie, «immer im Winter – die Curlingsaison dauerte früher jeweils von September bis März. Beim Breitensport-Curler ist das immer noch so, aber an der Spitze hat sich das geändert. Da wird heute auch im Sommer trainiert. Ich selber hatte früher im Frühling jeweils das Gefühl, jezz isch guet, und im September kam die Freude wieder auf.»

Trainiert wurde anfangs nur einmal pro Woche, immer am Mittwochnachmittag. Doch Netzer-Kormann hatte Talent. Mit sechzehn Jahren gewann sie als Skip ihres Teams die Junioren-Schweizermeisterschaften. Im darauffolgenden Jahr, 1994, nahm sie, wieder als Skip desselben Teams, an der Junioren-WM in Sofia teil.

Der psychologische Aspekt
Die Reise nach Bulgarien – «dieses Ostblock-Feeling» – war ein grosses Erlebnis; aber das Team performte unter den Erwartungen. «Bei den Schweizermeisterschaften», erinnert sich Netzer-Kormann, «kam jeder Stein, da konnte ich irgendwie machen, was ich wollte. Doch dann kommt der Druck, man macht sich zu viele Gedanken und plötzlich kannst du die gewohnte Leistung nicht mehr abrufen. Der psychologische Aspekt ist in diesem Sport enorm wichtig.»

Bald darauf, als Neunzehnjährige, wechselte Netzer-Kormann von der U21 in die Elite. «Vor so einem frühzeitigen Wechsel», sagt sie, «würde ich heute jedem abraten. Die Junioren bieten einen behüteten Rahmen, in dem man Erfahrungen machen und daran reifen kann.» Es kamen die Weltmeisterschaften in Bern, ihrer Heimatstadt, aus der auch der Skip des Schweizer Teams, Mirjam Ott, stammte. Netzer-Kormann spielte auf Position drei und war Vize-Skip. Der Erwartungsdruck war riesig, man hätte die Möglichkeit gehabt, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Sie habe es nicht schlecht gemacht, erinnert sich Netzer-Kormann, «doch etwas mehr Erfahrung wäre hilfreich gewesen, dass man die eigenen Stärken und Schwächen kennt, Druck aushalten kann.»

Das Feuer brannte weiter
Netzer-Kormann gab nicht auf nach jener schmerzlichen Erfahrung in ihrer Heimatstadt. «Das Feuer brannte weiter. Und solange das Feuer brennt, geht man neue Wege.» Sie wagte einen Neustart, baute ihr eigenes Team auf, suchte Sponsoren, das sei, sagt Netzer-Kormann, «wie wenn man eine kleine Firma gründet». 2001 wurde das «Team Manuela Kormann» des Curling Club Zug Schweizer Meister.

Sie habe, sagt Netzer-Kormann, durch den Sport viel erlebt, viel gesehen, Menschen und Länder kennengelernt, mit denen man sonst nicht in Kontakt käme. Internationale Turniere in Japan und Schweden gehören dazu. Und natürlich auch die Olympischen Spiele 2006 in Turin, wo sie die Silbermedaille im Team von Skip Mirjam Ott gewann.

Netzer-Kormann erinnert sich an die Mails, die sie in jenen Tagen mit einer Freundin austauschte, die in Afrika weilte. Die Dining Hall in Turin, wo man nichts bezahlte, mit dem Batch alles erhielt, dieser ganze Gigantismus, später der glamouröse Empfang im Berner Bundeshaus, und, in hartem Kontrast dazu, die Schilderungen ihrer Freundin von extremer Armut. Das alles sei, sagt Netzer-Kormann, «ziemlich schräg» gewesen.

Plötzlich fehlte die Motivation
Netzer-Kormann zog der Liebe wegen nach Basel, heiratete ihren Mann, den sie beim Curling kennengelernt hatte, studierte, wurde Sekundarlehrerin, brachte Kinder zur Welt. Neben und mit alldem war es zwei Dekaden lang keine Frage, dass das Feuer für den Sport brennt. Doch dann war die Motivation plötzlich weg. Netzer-Kormann verpasste mit ihrem Team die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2010 in Vancouver, fing an, darüber nachzudenken, worauf man alles verzichtet. 2009 gab sie ihren Rücktritt vom Spitzensport.

Die Curling-Szene ist klein, gleicht einem Dorf. Manuela Netzer-Kormann war nicht traurig, sich ein paar Jahre lang zurückziehen zu können. Inzwischen ist sie verantwortlich für den ganzen Curling-Nachwuchsbereich der Schweiz.

Bei der eidgenössischen Trainerausbildung wurde ihr deutlich, wie viel sportpsychologisches Wissen bei den Curlern vorhanden ist. In ihrer eigenen Aktivzeit hatte sie sportpsychologische Begleitung – im Team und auch für sich persönlich. Es ging um Themen wie Umgang mit Druck, positive Einstellung gegenüber Mitspielerinnen, Gedankenkontrolle. Themen, die auch fürs alltägliche Leben bedeutsam sind. Und auch für ihren jetzigen Beruf.

Netzer-Kormann versucht, Curling als Breitensport bekannt zu machen und gleichzeitig den Leistungssport zu fördern. Beides, sagt sie, sei nicht einfach zu verbinden. «Alle wollen Olympiasieger werden. Es gilt, den Leuten zu sagen, dass man dafür Talent mitbringen und sehr viel investieren muss. Und dass der Sport doch auch einfach Freude machen kann.»

Curler brauchen keinen Schiedsrichter
Während des Gesprächs taucht Manuela Netzer-Kormanns Sohn Tim mit seiner Curling-Crew auf. Sie haben gerade sensationell die Junioren-Schweizermeister geschlagen. «Ein bisschen Trash Talk hat geholfen», sagt einer der Buben grinsend. Manuela Netzer-Kormann reagiert nachdenklich. Erstens, sagt sie, sei dies eine Besonderheit beim Curling: «Der Underdog kann immer gewinnen, und das setzt die Favoriten unter Druck.» Und dann ist da noch etwas: «Es gibt den Curling-Spirit. Dieser besagt, dass es hier immer fair zu und her geht. Es gehört nicht zum guten Ton, zu Null zu gewinnen, und auf keinen Fall darf man den Gegner erniedrigen. Curler brauchen eigentlich keinen Schiedsrichter, es gilt die Regel, dass sie es unter sich regeln können.»

Ein spezieller Sport, denkt der Schreibende. Und fragt, worum es dabei eigentlich geht. Manuela Netzer-Kormann sagt, sie habe kürzlich ein Kind zwei Sätze sagen gehört, die sie an ihre eigene Kindheit erinnert haben: «Wenn man einen Stein loslässt, dann sieht man, wie weit dieser gleitet. Dieses Gefühl, es ist ein Strahlen von Glück.»

Im Rahmen eines Atelier-Gottesdienstes am Sonntag, 9. März, um 19.15 Uhr im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst (Kraftwerkstrasse 13) wird Manuela Netzer-Kormann über ihre Karriere und den Sport sprechen. Thema des Gottesdienstes: «Ins Ziel treffen». Nähere Informationen: www.ref-rheinfelden.ch


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