«Berufsschulen in der Region tragen zur Reduktion des Fachkräftemangels bei»

  04.11.2023 Wirtschaft, Wirtschaft, Fricktal

Die Berufsbildung muss sich immer wieder anpassen. Digitalisierung, steigende berufliche Mobilität und der demografische Wandel stellen neue Anforderungen an die zukünftigen Fachkräfte, erklärt Tom Krause, Rektor des Berufsbildungszentrums Fricktal.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Krause, können Sie einem Jugendlichen heute noch empfehlen, eine KV-Lehre oder eine Lehre zum Detailhandels fachmann zu machen?
Tom Krause: Ja, auf alle Fälle. Beide Lehren sind eine gute berufliche Grundausbildung mit vielen Arbeitsplatzangeboten und Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Wie haben sich die Ansprüche an die Berufsbildung in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert?
Die Berufsbildung verändert sich aufgrund der Digitalisierung und des Wandels in der Arbeitswelt. Megatrends wie Digitalisierung, steigende berufliche Mobilität oder demografischer Wandel stellen neue Anforderungen an unsere zukünftigen Fachkräfte. Immer wichtiger werden Flexibilität am Arbeitsplatz und die Bereitschaft, Neues zu lernen und auszuprobieren.

Und wie haben sich die Berufsschüler verändert?
Die aktuellen Jahrgänge gehören zur Generation Z. Sie wollen eine klare Trennung zwischen Beruf und Freizeit. Es besteht der Wunsch nach klaren Vorgaben und dennoch viel Flexibilität. Freizeit, Hobby, Privat- und Freundeskreis haben Priorität. Leider haben auch einige Jugendliche psychische Probleme. Das hat im Vergleich zu früher zugenommen – vor allem seit Corona. Es braucht heute mehr psychologische Unterstützung. Es gibt zum Beispiel Jugendliche, deren psychische Probleme erst mit dem Wechsel in die Berufsausbildung erkannt werden. Für die Schule ist es in einem solchen Fall schwierig, zu reagieren.

Die Jugendlichen seien heute weniger belastbar, ist immer wieder zu hören. Wie sehen Sie das?
Das glaube ich nicht. Sie sind in Bereichen, die sie interessieren, belastbar – zum Beispiel beim Feiern am Wochenende oder im Verein und Sport. Bei anderen Dingen sind sie aber oft einfach nicht bereit, belastet zu werden und suchen einen Weg, der Belastung zu entkommen. Das können sie gut. Viele Jugendliche sind von zuhause aus sehr verwöhnt und behütet. Die Ablenkungen mit den digitalen Medien und Social Media sind heute natürlich sehr gross. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft. Zum Glück gibt es aber auch in der Berufsschule Jugendliche, die sich sehr motiviert und engagiert in ihren Ausbildungsberuf einarbeiten, eben weil sie es wollen.

Müssen die Lehrerinnen und Lehrer heute anders unterrichten als früher?
Lehrpersonen, die nach früheren Modellen unterrichten, geraten oft in Grundsatzdiskussionen mit Schülern. Heute sind Lehrpersonen beliebter, die sich mehr auf die Lernenden einlassen und sie als Coach begleiten, um das Ausbildungsziel zu erreichen.

Wo sehen Sie die Stärken des dualen Bildungssystems?
Das duale Bildungssystem der Schweiz bietet den Jugendlichen viel: eine anspruchsvolle Ausbildung auf hohem Qualitätsniveau; die ideale Kombination aus Praxis und Bildung an der Berufsschule; eine hohe Durchlässigkeit in andere Berufe oder Aus- und Weiterbildungen; einen Lohn während der Ausbildung; praktische Erfahrungen von Anfang an.

Immer mehr Arbeitsabläufe werden automatisiert, die Künstliche Intelligenz gewinnt rasant an Bedeutung. Wie verändert dies die Ansprüche an die Ausbildung?

KI wird Teil des Alltags in der Berufsschule. Die Schulen werden zunehmend damit arbeiten müssen. Aktuell lösen bereits die meisten Lernenden Aufgaben und andere Dinge mit KI.

Wenn ein junger Erwachsener eine Lehre abgeschlossen hat, was empfehlen Sie ihm?
Wenn ihm der Beruf Freude bereitet, sollte er unbedingt darin weitere Erfahrungen sammeln und sich dort entwickeln.

Weiterbildung spielt dabei eine grosse Rolle. Wie läuft die Kooperation mit der HKV Nordwest, welche das Berufsbildungszentrum im vergangenen Jahr eingegangen ist?
Wir haben bereits zahlreiche Seminarveranstaltungen durchführen können und es laufen aktuell zwei Lehrgänge: Projektmanager/in edupool.ch und HR Assistent/in mit Zertifikat HRSE. Wir haben uns von der Zusammenarbeit etwas mehr versprochen, aber es braucht wahrscheinlich eine gewisse Zeit, bis das Angebot bekannt ist.

Haben Sie ein Rezept gegen den Fachkräftemangel?
Ich habe sogar zwei Rezepte. Erstens: Selbst genügend Fachkräfte ausbilden. Zweitens: Gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland willkommen heissen.

Zum Schluss: Sie sind Berufsschulrektor. Was wünschen Sie sich von der Politik?
Politische Entscheidungen in Bezug auf Berufsschulen sollten nicht zu sehr ökonomischen Faktoren unterliegen. Berufsschulen in der Region tragen zur Reduktion des Fachkräftemangels bei. Eine abgeschlossene Erstausbildung ist die Grundlage für eine Integration in den Arbeitsmarkt. Das spart der Gesellschaft später viel Geld.


270 Lernende am BZF

Das Berufsbildungszentrum Fricktal (BZF) in Rheinfelden zählt aktuell rund 270 Lernende in den Berufsfeldern Kaufmann/Kauffrau, Detailhandelsfachleute und Detailhandelsassistent/in. Gemäss Rektor Tom Krause ist die Schülerzahl stabil und gleichbleibend.

Zudem führt das BZF zur praktischen Ausbildung von Bekleidungsgestalterinnen und Bekleidungsgestaltern das Lehratelier in Rheinfelden. Im August haben in diesem Bereich zehn Lernende die Lehre dort begonnen.

Seit dem vergangenen Jahr besteht eine Kooperation zwischen dem Berufsbildungszentrum Fricktal und der HKV Nordwest im Bereich der beruflichen Weiterbildung. (vzu)


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