«Alles tun, um eine Spaltung zu verhindern»
13.06.2024 WölflinswilAlice Liechti-Wagner zum Fusions-Nein in Wölflinswil
Wölflinswil und Oberhof gehörten um die Jahrtausendwende zu den ersten Gemeinden im Kanton Aargau, die laut über eine Fusion nachdachten. 24 Jahre später ist eine Mehrheit in Oberhof bereit zu fusionieren, eine klare Mehrheit in Wölflinswil nicht. Im Nachgang zur Fusions-Abstimmung vom Sonntag unterhielt sich die NFZ mit der ehemaligen Wölflinswiler Frau Gemeindeammann Alice Liechti-Wagner – damals wie heute überzeugte Fusions-Befürworterin.
Simone Rufli
NFZ: Frau Liechti, was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie am Sonntag erfahren haben, dass eine klare Mehrheit in Wölflinswil die Fusion mit Oberhof an der Urne abgelehnt hat?
Alice Liechti-Wagner: Ich habe zu mir gesagt: «Alice, einfach schön ruhig bleiben» und habe angefangen, Wäsche zu glätten. Dann ging ich ganz allein für drei Stunden spazieren, um «durchzuschnaufen», aber auch, um das Dorf und das Tal aus der Distanz zu überblicken. Ich habe gespürt: Wenn ich mich von diesem Nein zu den Strukturen eines Fusionsgebildes trenne, ist mein Herz offen für die wertvolle Gemeinschaft, in der wir hier leben und die uns, so hoffe ich, weiter erhalten bleiben wird.
Als Frau Gemeindeammann von Wölflinswil haben Sie erlebt, wie im Jahr 2001 der Kredit für Fusionsabklärungen in beiden Gemeinden abgelehnt wurde. «Damals», so haben Sie in der NFZ vom 28. September 2022 gesagt, «war Fusion so etwas wie ein Pionierthema. Inzwischen weiss man, dass man eine Fusion überleben kann.» Nur überleben, reicht der Mehrheit in Wölflinswil aber offenbar nicht.
Ich vermute, es waren latente Ängste im Spiel. Ich habe vor der Abstimmung sehr viele Gespräche geführt, bin dabei aber nur auf ganz wenige Menschen getroffen, die offen gegen die Fusion waren. Was ich aber herausgehört habe: Vielen Familien mit kleinen Kindern fehlte offenbar die Zeit, sich mit dem Fusionsvertrag im Detail auseinanderzusetzen. Das führte dazu, dass sie am Ende vermutlich lieber Nein sagten. Dazu kam bei manchen offenbar die Angst, die Kinder könnten bald nicht mehr im Dorf zur Schule gehen. Ich halte es auch für möglich, dass Vereine sich Sorgen um ihre finanzielle Lage machten. Bekommen sie von einer fusionierten Gemeinde gleich viel Geld für aktuelle Projekte, wie vorher von zwei Gemeinden?
Welche Rolle spielte Ihrer Meinung nach die Nein-Empfehlung des Gemeinderats?
Ich denke, das hat dazu beigetragen, dass die positiven Effekte einer Fusion in den Hintergrund gedrängt worden sind. Ein wichtiger Punkt ist aber auch, dass die Bevölkerung nicht so tief in die Verwaltungsabläufe hineinblicken kann, wie es nötig wäre, um zu erkennen, dass hinter der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Wölf linswil und Oberhof ein sehr grosser Aufwand steckt. All die internen Absprachen und Abgleiche, die ich während meiner Amtszeit damals auch erlebt habe, wären bei einer Fusion weggefallen, Ressourcen wären freigeworden.
Man kann das Nein in Wölflinswil positiv interpretieren im Sinne von «Es ist alles gut, so wie es ist». Oder man sieht darin den Anfang vom Ende einer beispiellos engen Verbundenheit. Wie sehen Sie das?
Gut möglich, dass die lange Zusammenarbeit ein Nachteil war. Es läuft ja – von aussen betrachtet – alles gut. Ein Anfang vom Ende ist das Nein sicher nicht. Für mich besteht kein Grund, den gemeinsamen Weg zu verlassen. Aber es wird jetzt eine Herausforderung sein, dass es weder in Wölflinswil selber noch zwischen Wölf linswil und Oberhof zu einer Spaltung kommt. Sorgfalt im Umgang ist gefordert und es braucht die Gewissheit, dass man sich weiterhin aufeinander verlassen kann.
Wie erleben Sie Wölflinswil seit dem Sonntag?
Ich hatte bisher vor allem Kontakt mit Befürwortenden. Von dieser Seite spüre ich Enttäuschung; keine persönliche Enttäuschung, sondern ein Bedauern fürs Tal, für die Gemeinschaft. Es schimpft auch niemand über die Nein-Sager, aber es wird befürchtet, dass das, was in den Arbeitsgruppen erarbeitet wurde, nun blockiert bleibt.
Gibt es Reaktionen aus Oberhof?
Ich habe keine Kenntnis davon, frage mich aber, wie sich Oberhof nun als Gemeinde spürt, die sich aufgetan hat und jetzt zurückgebunden wurde. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass sich die Menschen im Alltag ganz normal begegnen und ihre Beziehungen pflegen. Ich bin sicher, dass der gemeinsame Stolz und die Verwurzelung in diesem schönen Tal stärker sind als ein Nein zu politischen Strukturen.
Und wie geht es politisch weiter?
Nächstes Jahr sind Gemeinderatswahlen. Dann wird sich klären, ob alle Gemeinderäte, die in den Fusionsprozess involviert waren, sich erneut zur Wahl stellen. Vielleicht ist das dann der Moment, die Beziehungen mutig weiterzuentwickeln.