Halbe Eier und blinde Coupons

  26.05.2023 Fricktal

Projekt «kriegsnachrichten.ch»: der Zweite Weltkrieg, April bis Juni 1943

Andreas Rohner

Die Kriegsberichterstattung im zweiten Quartal 1943 füllte in der lokalen Presse, im Vergleich zu den drei Vorjahren, weniger Seiten. Der Krieg tobte zu weit im Osten und in Nordafrika, dort allerdings heftig. Am Ende des Quartals war Nordafrika befreit. Das Ruhrgebiet wurde in den Monaten März bis Juli von den Engländern stark bombardiert, was sich in den Zeitungen unter dem Begriff «Luftkrieg» finden lässt. In dieser Zeitspanne verirrten sich ab und zu auch Flieger der Royal Air Force RAF und liessen so zum Beispiel am 18. Mai 1943 Sprengbomben bei Zürich fallen.

Die Lage an der Landesgrenze war, durch das ferne Kriegsgeschehen, etwas entspannter. Eine ganz andere «Schlacht» tobte aber seit 1940 in der Schweiz: die «Anbauschlacht». Im Essay vom 29. September 2021 wurde bereits darüber berichtet.

Dass trotz allem der Humor nicht verloren gegangen war, zeigte ein Artikel in der Zeitung vom 1. April 1943: Unter dem Titel «Ein interessantes Experiment» wird von der Rodung eines Waldstückes im Rheinfelder Weiherfeld wie folgt berichtet: «[..] Um nun dieses Gelände auch dem diesjährigen Mehranbau noch dienstbar zu machen, wird bei der Niederlegung dieses Waldstückes ein neues, eigentlich noch auszuprobierendes Verfahren angewendet und zwar durch Anlegung eines Minenfeldes. Das ist bereits so weit geschehen, dass schon heute Donnerstagnachmittag um 5 1/2 Uhr der Wald durch die explodierenden Minen umgelegt wird. [..]»

Nun ja, es war der 1. April und da f liegen viele Zeitungsenten und Spassvögel in der Presselandschaft herum.

Kein Aprilscherz war die anhaltende Bombardierung deutscher Städte wie Berlin und Bochum durch die englischen Luftstreitkräfte. Im Artikel dazu, ebenfalls am 1. April erschienen, schreibt die Zeitung: 

«[..] Erst nachdem es gelungen war, durch Abwurf von Biertonnenbomben eine Lücke in die westliche Abwehr von Berlin zu reissen, konnten die Bomber hunderttausende von Brandbomben [..] zum Abwurf bringen [..].»

Was muss das für ein Inferno gewesen sein und die Bezeichnung «Biertonnenbomben» ist wohl nicht als Aprilscherz gemeint. Diese Bezeichnung findet man heute allerdings nicht im Internet. Wenn man die verschiedenen Bomben auf dem Bild betrachtet, kann man die Bezeichnung aber durchwegs verstehen.

Ebenfalls am 1. April wurde in der Zeitung das Produkt «Garantol» beworben. Ein Produkt zur Konservierung von Eiern, dies über ein Jahr ohne Kühlschrank, im Wasserglas. Ja in Wasserglas, ein «Abfallprodukt» aus der Gewinnung von Glas. «Dabei handelte es sich um wasserlösliches kieselsaures Alkali, entstanden aus dem Verschmelzen von Quarzsand mit Kali und/oder Natron – sowie etwas Holzkohle», berichtet eine Website. Also kein Aprilscherz. Konservieren war ein grosses Thema in jenen Tagen.

«Die Totalzuteilung an Eier des diesjährigen Ostermonates ist mit 8 Stück erfreulich hoch» so ein Bericht vom 20. April 1943 mit dem Titel: «Opfergabe des Kriegsernährungsamtes». Einzulösen mit dem Coupons J und M (silbergrau) beziehungsweise JK und MK (für Kinder). Die Coupons J 1/2 und M 1/2 galten für ein halbes Ei. Gültig war das Angebot nur bis zum 5. Mai 1943. «Die blinden Coupons V1 und V11 zum gleichzeitigen Bezug von Fleisch und Sauerkraut», so der Bericht. Was wohl mit blinden Coupons gemeint war?

Coupons bekam man bei der Rationierungsstelle. Die Coupons für die Familien mit dem Familiennamen R – Z und für den Mai 1943 erhielt man am Freitag, den 30. April, 14-18 Uhr, so die Bekanntmachung vom 27. April in der Zeitung. Ein enges Zeitfenster.

Frau A nne Wüthrich-Buess (1922-2021) berichtete uns 2020 von der Anbauschlacht in Rheinfelden. Zu hören sind die Aufnahmen auf unserer Website www.kriegsnachrichten.ch

Auch Salz war Thema am 27. April in einem Artikel, gemäss dem sich die Hausfrauen nur schlecht an das Feinsalz gewöhnen wollten. Feinsalz hatte den Vorteil, dass es mit Hilfe von elektrischem Strom statt mit Kohle hergestellt wurde. Kohle wurde während des Krieges für andere wichtige Zwecke verwendet. Der Artikel schliesst mit der Bemerkung; «So können die Hausfrauen durch die Gewöhnung an das Feinsalz mithelfen, einen lebenswichtigen Sektor unserer Landesversorgung im eigenen und im Interesse des ganzen Volkes zu lenken – lediglich durch die Aufgabe eines Vorurteils.»

Verletzungen der Anbaupf licht wurden geahndet. Am 15. April schreibt die Volksstimme: «Leider kommt es immer noch vor, dass Landwirte der Pflicht, auf ihrem Betrieb eine von der zuständigen Behörde bestimmte Mindestfläche mit Ackerkulturen zu bepflanzen, nicht nachkommen. [..] Gegen säumige Landwirte wird ein Strafverfahren eingeleitet. [..]». Am 20. Mai wird berichtet, dass Regierungsrat Furrer in Altdorf, der Landwirtschaftsdirektor vom Kanton Uri, zu einer Busse von 600 Franken verurteilt wurde, da er nur 40 Prozent seines Anbausolls im Jahre 1942 erfüllte.
Dass die Not gross war, sieht man auch aus einem kleinen Inserat vom 20. April: «Verloren [..] ein grünes, wollenes Kinderjäckli, abzugeben gegen Finderlohn [..]».

«Vielerlei Fragen werden durch die kriegswirtschaftlichen Lenkungs- und Planungsmassnahmen aufgeworfen. Antworten darauf erteilt jedem Schweizer und jeder Schweizerin die Kriegswirtschaftliche Schau ‹Arbeit und Brot› über die Absichten, Massnahmen und Erfolge der Kriegswirtschaft.» Dies vom 1. bis 11. Mai in der Basler Mustermesse, gemäss einem Inserat. «Die eiserne Ähre mit dem Schweizerkreuz wird am 8. und 9. Mai getragen als Symbol unseres Willens zum Anbauen und Durchhalten und als Zeichen gegenseitiger Hilfe». Dieses Abzeichen scheint heute für Sammler sehr selten zu finden sein.

Mit nur drei Sätzen wird von der Kapitulation der Achsenmächte in Nordafrika, am 13. Mai 1943, berichtet: «Ende des tunesischen Feldzuges! Nach Radiomeldungen von heute früh, sind die Kämpfe in Tunesien eingestellt worden, nachdem die auseinandergesprengten Reste der Achsenmächte ihren Widerstand aufgegeben haben.» Nach Stalingrad ein weiterer wichtiger Sieg, der rückblickend als Wende bezeichnet wird. Die Ereignisse wurden in den folgenden Ausgaben der Zeitung vertieft.


Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit

Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. Andreas Rohner, der Autor des hier publizierten Beitrags, ist Leiter des Projektes «Kriegsnachrichten».

Als dieses Projekt vor 9 Jahren gestartet wurde ging es um einen Rückblick auf schlimme, längst vergangene Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die Wahrnehmung in der lokalen Öffentlichkeit. Nie hätten es die Initianten des Projektes für möglich gehalten, dass wir heute in Europa wieder einen Krieg erleben müssen. (nfz)

www.kriegsnachrichten.ch

 


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