Lokale Zeitungsinserate im 2. Weltkrieg
18.12.2021 FricktalProjekt «kriegesnachrichten.ch»: Einfluss des Kriegsgeschehens auf die Inserateschaltungen
Stephan Graf, «Selbständiger Marketingberater, Stories for Brands»
Wir schreiben das Jahr 1939 – Ende August, Anfang September, die Tage der Mobilmachung. Die lokalen Zeitungen titeln «Die Schweiz in Spannung» oder «Europa über dem Abgrund» und verbreiten die Worte des Bundesrates an die Bevölkerung zum Ernst der Lage. Und weiter hinten im Blatt wirbt Persil für weisse Wäsche, die Papeterie Küpfer für ihre Goldfüllfederhalter und der Globus in Basel lädt zur Frauenwoche ein, mit vielen Vorführungen, wie «Sie Ihre Arbeiten im Haushalt erleichtern können». Klar, diese Inserate wurden wahrscheinlich vor der dramatischen weltpolitischen Lage entworfen und gebucht. Aber sie sind sinnbildlich für das Phänomen, dass wir auch in den folgenden Jahren beobachten können: Die Welt versinkt im Krieg, und die Schweiz kämpft um ihre eigene Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung. Doch das Leben muss weitergehen – auch der «normale» Alltag hat seine Berechtigung.
Ovo als Notration
Immerhin zwei Anzeigen scheinen auf den ersten Blick zur damaligen Situation zu passen: Die Firma Wander bietet seine Ovomaltine nun auch als Notration an. «Bei der Anlegung von Lebensmittelvorräten im Haushalt muss bedacht werden, dass die meisten Dauernahrungsmittel vitaminarm sind […] luftdicht verpackt und mit Doppeldeckel versehen. […] In dieser Packung hält sich Ovomaltine jahrelang unverändert.» Auch bei Usego preist man die billigen Notvorräte an.
Ausnahmezustand versus Alltag
Im Mai 1940 überstürzen sich mit dem Westfeldzug die Ereignisse. Die lokalen Zeitungen berichten über die dramatischen Entwicklungen, auch wenn sie selbst enorm unter Druck stehen, da fast die gesamte Belegschaft im Dienst ist. Der Verlag sieht sich sogar genötigt, die Leserschaft um Verständnis zu bitten. «Der Frickthaler» berichtet am 25. Mai wiederholt über die «Schlacht im Westen». Aber man scheint sich auch über den nahenden Sommer zu freuen. So wirbt die Badanstalt Laufenburg mit der Öffnung. Ein paar schöne Kuhkälber stehen zum Verkauf und das Modehaus zum Merkur bietet günstige Anzüge und Kleider an. Vor dem 1. August wird ebenso für Feuerwerk und Lampions geworben wie auch für die Abgabe von Lebensmittelmarken. Der Zahnarzt meldet sich per Anzeige zurück (vermutlich aus dem Aktivdienst). Und der Gasthof zum Frohsinn lädt zum Tanznachmittag mit rassiger Musik.
Bedeutung der Inserate
Werfen wir den Blick noch etwas weiter zurück: Die Industrialisierung hatte auch die Druckerpressen auf Hochtouren laufen lassen. Zeitungen konnten so ihren Inserateteil ausbauen und die steigende Nachfrage nach Warenanpreisung befriedigen. Unternehmen wie die 1890 gegründete Publicitas professionalisierten in der Schweiz den Anzeigenhandel und verkauften die Inserateflächen der Zeitungen weiter an die werbetreibende Wirtschaft. Nach dem Ersten Weltkrieg machten Einnahmen durch Inserateschaltungen nicht nur bei den Generalanzeigern, sondern auch bei klar politisch positionierten Zeitungen bereits zwei Drittel des gesamten Budgets aus. In den goldenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg schliesslich explodierten die Inserateteile der Zeitungen in der Schweiz.
Auswirkungen des Kriegs
Neben den vorher beschriebenen spezifischen Beobachtungen (praktische Informationen zu Rationierung, etc.) lässt sich auf den ersten Blick nur erstaunlich wenig Veränderung feststellen. Und im Ausland? «Es gibt noch keine Kameras und Projektoren für die private Filmproduktion», heisst es da zum Beispiel in einem amerikanischen Inserat, «aber unsere Nachkriegsprodukte werden das Warten wert sein.» Laut National Geographic veröffentlichten Firmen wie Bell Telephone System und General Motors in Zeitungen und Zeitschriften Anzeigen für viele Produkte und Dienstleistungen, die die Amerikaner während des Krieges nicht kaufen oder nutzen konnten. Warum für etwas werben, das man nicht verkaufen kann? Laut Kommunikationsprofessorin Inger Stole warben die Unternehmen für diese Produkte, um «ihre Markennamen im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu halten. Sie wussten, dass es sehr wichtig war, dass die Öffentlichkeit die Markennamen nicht vergass, sobald der Krieg vorbei war». In den Anzeigen wurde die Beteiligung der Unternehmen an den Kriegsanstrengungen auch als patriotische – und nicht als gewinnorientierte – Handlung dargestellt.
Sommer 1941: Existenz bedroht
1941 sehen sich die Schweizer Zeitungsverleger gezwungen, in Inseraten auf die Bedeutung der Presse hinzuweisen. «… dass man ihre Existenzgrundlage sichern hilft. Das Mittel dazu ist das Inserat».
In einigen Inseraten kann man nun den Ernst der Lage deutlicher ablesen: «Holen Sie alles aus der Seifenration heraus!», «Ausserordentliche Zeiten erfordern ausserordentliche Lebenshaltung» (Möbelwerkstätten) und der Papierhof teilt mit, dass «wieder Verdunkelungspapier» (gegen Bombenangriffe) eingetroffen ist.
Im Sommer 1941 erlebt die Schweizer Bevölkerung eines der wichtigsten patriotischen Ereignisse im Kampf gegen die Widrigkeiten des Krieges. Nicht an den Grenzen oder im Reduit, sondern in den Kinosälen. Anne-Marie Blanc in der Rolle der «Gilberte de Courgenay» erobert (nach einem Buch, einem Theaterstück und einem weiteren Film) die Herzen der Kino-Besucher und Besucherinnen. Der Film von Regisseur Franz Schnyder hat im Kriegsjahr 1941 eine grosse Bedeutung für den Durchhaltewillen der Bevölkerung. (Mehr zum Thema «Filme über den Zweiten Weltkrieg», Schwerpunkt Stalingrad, lesen Sie hier in ein paar Monaten.)
Frohe Weihnachten?
So kurz vor den Festtagen liegt es auf der Hand, die Werbung im Dezember 1941 genauer anzuschauen. «Was soll man dieses Jahr schenken», fragt die Drogerie Marugg und schlägt unter anderem Kräftigungsmittel vor. Praktische Geschenke oder Gutscheine sind zwar der grosse Renner, aber viele Inserenten wünschen ihren Kunden und Kundinnen und sich selbst wohl einfach möglichst normale Weihnachten: Gärtnereien werben für die schönsten Christbäume, Metzgereien preisen Festtagsangebote an, in der Rheinbrücke gibt’s die grösste Spielwaren-Ausstellung Basels und selbst von Winterferien lässt sich träumen mit «allem für den Skisport sowie Schlittschuhen». Und wer denkt, dass alles so viel beschaulicher zu und her ging damals, hat wohl die Werbung für verkaufsoffene Sonntage oder Last Minute-Geschenktipps in der Ausgabe vom 24.12. noch nicht gesehen.
Also auch in hektischen, düsteren Zeiten darf man sich auf besinnliche Festtage freuen.
Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit
FRICKTAL. Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.
Stephan Graf ist Mitglied des Vereins «Kriegsnachrichten». Er wohnt in Rheinfelden. (nfz)