«Der Fischer von heute ist auch Naturschützer»

  07.02.2021 Rheinfelden

Hundert Jahre Fischereiverein Bezirk Rheinfelden

Auch der zweite und letzte Teil der Reportage legt Zeugnis davon ab, wie sehr sich die Fischerei am Rhein gewandelt hat. Lange nach der Vereinsgründung 1921 ist allerdings eines konstant geblieben: Die Basler hatten im Fricktal weiterhin das Sagen.

Ronny Wittenwiler

Die Krösusse beschäftigen den Fischereiverein weiter. 1937, als die Karten wieder mal neu gemischt werden, gehen zwar 53 Lizenzen nach Rheinfelden, 175 aber an die Gesellschaft für Angelsport Basel und Umgebung (GABU). Auch in den kommenden Jahren folgt die Pachtsteigerung nach dem Gesetz des Stärkeren, einigen wird nachgesagt, sie hätten «nur so um sich geworfen mit den Hunderter-Noten». Machen die Basler nach wie vor das Rennen, ergattern sich hier höchstens Einzelpersonen ein paar Lizenzen. Der Ochsenwirt zum Beispiel, 1940.

«Ich bin Pächter und Wirt und kann die Karten abgeben, wem ich will. Ich bin bereit, dem Verein Karten abzutreten, wenn dieser einen anderen Vorstand wählt. Auch muss der Stammtisch wieder besser besucht werden. Ich verlange nicht, dass die Mitglieder immer bei mir sitzen müssen und sich einen Affen ansaufen, aber einen Besuch pro Jahr, darf ich sicher verlangen.»

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Klappstuhl. Wurmdose. Bierbüchse. Den einen klassischen Fischer gebe es nicht, sagt Bürgi. Doch was früher Bambus-Rute oder Kaputt-Mantel waren, besteht heute aus Kohlefaser und siebenlagigem Material, atmungsaktiv. Die Ausgaben für die permanent neu auf den Markt gespülten Materialien lassen sich mit keinem Fisch der Welt amortisieren, es zählt das unbezahlbare Erlebnis, das um jeden Preis gesucht wird. Der Fischer, der in seinem Ursprung ein Jäger am Wasser war und es tief drin vielleicht noch immer ist, er ist heute Vieles. Er ist Fliegenfischer, Karpfenspezialist, Raubfischangler. «Und», ist Bürgi überzeugt: «er ist vor allem auch Naturschützer.» Der Fischereiverein Bezirk Rheinfelden beteiligt sich an einem Aufzuchtprogramm für den Erhalt der stark gefährdeten Flussforelle, er nimmt Geld in die Hand für Renaturierungen und kämpft mit anderen Interessengruppen und Umweltverbänden gegen empfundenes Unrecht an. «Wir wehren uns da, wo auf Kosten unserer Gewässer und der Fische gespart wird.» Als Präsident vertritt Bürgi die Anliegen des Vereins auch in der Kantonalen Fischereikommission.

Rosenthaler. Boll, der im Amt stirbt. Jost. Ruther. Straumann. So heissen die Präsidenten nach den ersten dreissig Jahren Vereinsgeschichte. Der bislang letzte Präsident aus Rheinfelden war Martin Irniger, bis 1997. In den 23 Jahren seither gab es gerade mal drei Präsidenten: Werner Wittenwiler (Möhlin, 1997-2003), Gottfried Lüthi (Wallbach, 2003-2012) und Rolf Bürgi, der sagt: «Fischen ist populär geworden, auch bei den jungen Leuten.» 48 Neueintritte verzeichnet der Fischereiverein Bezirk Rheinfelden kurz vor dem 100-Jahr-Jubiläum; wer austritt, macht in der Regel seit Jahren seine Angelschnur nicht mehr nass und mit über 500 Mitgliedern gehört der Fischereiverein Bezirk Rheinfelden zu den grössten Kartengebern im Kanton. Warum eigentlich? Vielleicht, weil abschalten sich lohnt, hier unten am Rhein. Und dann erst diese Ruhe!

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«Dietz beklagt sich, dass ihn die Jugend beim Baden störe» (1923)

«Die Basler beschmutzen die Ufer und Bänke mit Güllenrugger.» (1937)

«Rufli beschwert sich, dass der Rhein vom Hotel Salines als Abfallplatz benutzt wird.» (1922)

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Es scheint, als habe es damals einfach noch nicht Littering geheissen. Heute kämpfen Fischer im ganzen Land auch mit Umwelteinf lüssen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Durch die vielen Stauhaltungen verschwinden schnell f liessende und damit sauerstoffreiche Flussabschnitte. «Die Gewässer werden immer wärmer.» Für Forellen oder Äschen ist das Gift, genauso wie all die chemische Rückstände, die sich in Kleinstmengen ihren Weg in unsere Gewässer bahnen, über gespülte Toiletten und die Böden einer intensiven Landwirtschaft. Insekten, die sterben, bevor sie geboren werden, hervorgerufen durch Überdüngung, fehlen den Fischen als bedeutende Nahrungsquelle.

Ob den Bewohnern über der Wasseroberf läche, zu denen wir alle auch gehören, könnt’ man vielleicht verzweifeln, manchmal. Keiner im Fischereiverein wahrscheinlich hat das mit mehr Pathos formuliert als Karl Ruther bei seiner Demission als Präsident an der Generalversammlung 1943: «Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere und so möchte ich mich wieder zurückziehen in die Einsamkeit und am schönen Ufer des Rheins meine Erholung finden.» Und Rolf Bürgi – noch bleibt er im Amt. Die schönen Ufer des Rheins lässt er sich auch als Präsident nicht entgehen.

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Es spricht sich herum. Im Ochsen haben sie den Fischereiverein gegründet! Wir schreiben den 2. Juli 1921. Unzählige Petrijünger werden die nächsten hundert Jahre den Gründervätern folgen und damit selbst zu einem Teil dieser Geschichte. Sie lagert in einem kleinen Abstellraum beim Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt, niedergeschrieben in Protokollen, abgelegt in einigen Bundesordnern, und bildlich festgehalten mit ein, zwei Fotoalben. Das klingt relativ unspektakulär und ist es auch. Dort, in diesem Zweckverein. Ein eigentliches Vereinslokal haben die Mitglieder des grössten Fischereivereins im Aargau nicht.

Ihr Zuhause ist der Rhein. Was will man Meer.

Der Erstabdruck dieser Reportage erfolgte in den Rheinfelder Neujahrsblättern, Jahrgang 2021.


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