Der Holz-Flüsterer aus dem Fricktal

  06.11.2019 Densbüren, Persönlich

Olivier Besson bändigt seine entfesselte Fantasie in Holzskulpturen, die zum Nachdenken und Schmunzeln anregen.

Matthias Reimann

Im gemütlichen Wohnzimmer empfängt Olivier Besson die NFZ zum Gespräch. Neben dem Tisch thront ein Kachelofen. Rundherum steht und hängt Persönliches. Kleine Details erzählen Teile einer Lebensgeschichte. Hier wohnt ein Mensch mit offenen Augen und Sinnen.

Als junger Mann zog sein Vater aus Morges am Genfersee in die Deutschschweiz. Olivier Besson wuchs in Kölliken auf und Deutsch war seine erste Sprache. Aber als «Bilingue» fühlt er sich im Französischen ebenso zu Hause.

Wirklich daheim ist er jedoch in Densbüren, der höchstgelegenen Fricktaler Gemeinde. Vor 15 Jahren kamen seine Frau und er hier an. Sie wohnen im zweitältesten Haus im Dorf. Die Bessons schlugen schnell Wurzeln und schlossen Freundschaften, die beiden Töchter hatten mit der Dorfschule ebenfalls eine gute Anbindung. «Das Fricktal ist unsere Heimat geworden. Ich fühle mich hier sehr wohl» sagt Olivier Besson.

Entfesselte Fantasie
Er durchlebte eine bewegte Jugendzeit. Nach heutigen Erkenntnissen litt Olivier Besson als Kind an Hyperaktivität und einem Aufmerksamkeitsdefizit (ADHS), die Krankheit wurde jedoch nicht diagnostiziert. «Ich war ein unbändiger Zappelphilipp, aber damals wusste man noch zu wenig über ADHS.» Bereits als Teenager verspürte er den Drang, Kreatives zu gestalten. So fing er als Dreizehnjähriger an, Graffitis auf Wände zu sprühen. «Das war zwar illegal, verschaffte mir aber ein Ventil für meine überbordende Fantasie.» Für seine Kreationen zeigte die Welt um ihn wenig Begeisterung. Da er angerichtete Schäden nicht selbst berappen konnte, ver-

«Die Spraydose bringe ich wohl nie mehr aus meinem Leben»

brachte er als Teenager viele freie Nachmittage damit, an Bahnhöfen Graffitis von Wänden zu entfernen.

Im Berufsleben hat er viel gesehen, sehr viel sogar. Als 22-Jähriger machte sich Olivier Besson mit Schriftenmalerei und Fassadenreinigung selbständig. «Ich war sprunghaft, es musste immer etwas Neues passieren» schaut er zurück. «Es war paradox, aber auch typisch für meine Krankheit: Als Teenager besprühte ich Wände und plötzlich machte ich das Gegenteil, in dem ich an öffentlichen Plätzen Graffitis entfernte» amüsiert er sich heute. Es folgten Jobs im Büro, bei Telefon 111, im Service und an Hotel Rezeptionen. 14 Jahre war er Chauffeur und kurvte mit schweren Brummis durchs Land. «Damit gab es das erste Mal seit meiner Kindheit Stabilität in meinem Leben.» Nachdem er aus dem Transportwesen ausstieg, arbeitete Olivier Besson bis vor eineinhalb Jahren im Gartenbau.

Kreativität statt Tabletten
Graffitis auf Bestellung, mehr als 100 eigene Songs, schreiben, malen, Holzarbeiten. Olivier Besson schätzt sich selbst als hyperkreativ ein: «Ich bin rastlos und habe dieses fortdauernde Bedürfnis, etwas zu gestalten.» Das kreative Ventil ist in medizinischer Hinsicht vorteilhaft für ihn: «Ich benötige dank der artistischen Tätigkeit keine Medikamente. Auch als Teenager hat man mir nie Ritalin verabreicht. Die überflüssige Energie habe ich mit künstlerischem Wirken abgebaut.»

Zurzeit ist Olivier Besson Vollzeit-Vater, während seine Frau als Kindergärtnerin arbeitet. Die Konstellation habe ihm im zurückliegenden Jahr zu einem mächtigen Kreativitätsschub verholfen. Seine jetzige Lebenssituation schätzt er mit Dankbarkeit ein: «Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Ich bin immer wieder angeeckt, und das Meiste habe ich selbst verschuldet. Aber das Leben hat es grundsätzlich gut mit mir gemeint.» Die Familie ist der ruhige Pol, sie hat eine Grundruhe und ein Zugehörigkeitsgefühl in sein Leben gebracht: «Meine beiden Töchter sind das Beste, was mir im Leben neben meiner Frau passiert ist.»

Die Spraydose als ständiger Begleiter
Die Spraydose ist trotz der Holzarbeiten noch immer Teil seines heutigen Arbeitens. Kürzlich hat er im Auftrag zwei Räume dekoriert. «Die Spraydose bringe ich wohl nie mehr aus meinem Leben!» Auf das Medium Holz kam Olivier Besson durch die heimische Holzheizung. Die Faszination begann mit langen Holzscheiten, die er verfeuert. Plötzlich entdeckte er in jedem dritten Scheit ein Gesicht, die Form eines Tieres oder anderer Kreaturen. Er wusste, dass er fortan mit Holz arbeiten wollte. Seit Frühling 2019 hat er beinahe vierzig Holzfiguren und -skulpturen geschaffen, die er Anfang November in Densbüren ausstellen wird.

Die Ausstellung «Die Kunst ist im Keller» ist der Beginn einer Trilogie. In einem Freibad in der Region soll im Frühling 2020 die Ausstellung «Die Kunst geht baden» stattfinden. In einem leeren Schwimmbecken will der Künstler ausstellen, weil seine Figuren und Skulpturen damit einen Kontrast zum blauen Rundherum erhalten werden. Einen fünf Meter grossen Wal hat er bereits im Kopf.

Mit verschmitztem Lächeln lüftet Olivier Besson das Geheimnis der dritten Ausstellung: «Die Kunst steht im Wald» wird Besucher in ein lokales Waldstück führen, wo er seine zum Schmunzeln und Nachdenken anregenden Holzfiguren ausstellen will.

Gut möglich, dass die drei kleinen Holzmännchen, die aus einem hohlen Baumrumpf emporklettern, im Wald stehen oder baden gehen werden. Sie sind Teil von Olivier Bessons Geschichte. Auch sie verkörpern seine offenen Augen und wachen Sinne.


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