Der Rothirsch meldet sich im Fricktal zurück

  07.11.2018 Fricktal

Nicht alle sind gleichermassen erfreut über diese Tatsache

Noch sind es einzelne Tiere. Doch was, wenn der Rothirsch in Rudelstärke ins Fricktal zurückkehrt? Die NFZ sprach mit Jägern, Förstern, Naturschützern und dem Fachmann beim Kanton.

Simone Rufli

«Wie ein Sechser im Lotto, ein einmaliges Erlebnis!» So beschreibt Landwirt Hansruedi Schüttel vom Sunnehof in Hornussen seine Begegnung mit dem Rothirsch. Schüttel war der erste, der den kronentragenden Rothirsch nach jahrelanger Absenz im Fricktal wiedergesehen hat. Das war Ende September ganz nahe bei seinem Hof am Frickberg. «Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen, dafür am letzten Sonntag ganz deutliche Spuren seiner Anwesenheit.» Schüttel erzählt von seiner Entdeckung im Wald. Der Hirsch habe eine junge Tanne bis zu einer Höhe von ca. zweieinhalb Meter geschält. Schüttel hat das «Tännli» fotografiert. Der Landwirt ist auch Jäger bei der Jagdgesellschaft Hornussen-Bözen. «Ich sehe natürlich auch gewisse Probleme, die sich durch die Rückkehr des Hirsches ergeben könnten.» Der Wald müsse heute immer mehr Nutzern gerecht werden. «Tieren und Menschen», betont Schüttel.

Gemischte Gefühle
Auch im Kästhal bei Effingen ging ein Rothirsch im September in eine Fotofalle der Jagdgesellschaft Kästhal-Brugg. Bei Jagdaufseher Martin Wyler sind seither keine weiteren Meldungen eingegangen. Wyler ist darüber nicht unglücklich, denn so schön er das Tier findet, er steht der Tatsache, dass der Rothirsch sich in den Aargauer Wäldern zurückmeldet, mit gemischten Gefühlen gegenüber. «Wenn der Rothirsch in grösserer Anzahl in unsere Wälder zurückkehrt, kann es zu grossen Schäden an Bäumen kommen, die der Forstwirtschaft vergütet werden müssen. Zudem werden unsere Wälder immer stärker für Freizeitbeschäftigungen genutzt. Dadurch wird das Wild in seiner ‹Wohnung› immer stärker in seiner Ruhe gestört», davon ist Wyler überzeugt. «Aus meiner Sicht sind unsere Wälder im Aargau zu klein für eine Wiederansiedelung.» Aus Deutschland wisse man, dass erst ein Gebiet in der Grösse des Schwarzwaldes eine gute Grösse habe, damit der Hirsch sich darin wohlfühle.

Viele Tiere
Ganz ähnlich sieht das auch Rolf Treier, Betriebsleiter und Revierförster im Forstbetrieb Homberg-Schenkenberg (Bözen, Effingen, Hornussen, Schinznach, Talheim, Zeihen). Treier findet, dass sich bereits heute sehr viele Tiere in seinen Waldungen befinden. «Es gibt viel mehr Rehe und vor allem Richtung Talheim auch wesentlich mehr Gämse als vor zehn, zwanzig Jahren.» Komme jetzt noch der Hirsch dazu, müsse man sich allmählich überlegen, ob es nicht zu viele Tiere seien. Sorge bereitet Treier aber vor allem der Gedanke an die Schäden, die durch den Rothirsch an den Bäumen zu erwarten sind. «Der Hirsch schält einen Baumstamm bis auf eine Höhe von zwei bis drei Metern hinauf – und zwar auch grosse, dicke Bäume», weiss Treier.

Dem Rückkehrer gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt ist Meinrad Bärtschi, Präsident des Verbands Oberfricktalischer Natur- und Vogelschutzvereine, Naturschutzexperte und Exkursionsleiter. «Aktiv fördern muss man seine Ansiedlung sicher nicht. Aber wenn einheimische Tiere in unsere Wälder kommen, dann vermutlich deshalb, weil der Raum für sie stimmt», so der Gansinger. Nicht nur für den Hirsch, sondern auch für andere Waldbewohner, wäre es aber von Vorteil, wenn gewisse Waldstücke unberührt bleiben könnten. «Von Ruhezonen im Wald würden viele andere Arten auch profitieren», ist Bärtschi überzeugt. Sollte es mit dem Hirsch später zu Problemen kommen, müsse man regulierend eingreifen, aber eben erst dann, wenn Probleme auftauchten.

Der Rothirsch trifft im Fricktal auf gute Bedingungen

Erfreut über die sich häufenden Meldungen über Hirsche aus dem ganzen Kanton und jetzt auch wieder aus dem Fricktal ist Erwin Osterwalder, Jagdverwalter-Stellvertreter und Fachspezialist Jagd im Kanton Aargau. Lange Zeit habe man das Gefühl gehabt, dass das Mittelland nicht dem Lebensraum des Rothirsches entspreche, «doch offenbar stimmt es für ihn nun doch in diesem Gebiet.»

Woher die Tiere genau kommen, könne er nicht sagen. Doch es sei anzunehmen, dass sie aus dem Wildraum 8 – dort hat sich der Rothirsch bereits in Rudelstärke niedergelassen – ins Fricktal vordringen. Der Wildraum 8 erstreckt sich von Jonen bis Baden. Auch im Kanton Zürich sei bereits viel Rotwild zu Hause. «Gekommen sind die Tiere aus der Innerschweiz und mittlerweile sind sie bis an die Stadtgrenze von Zürich vorgestossen.»

Dass der Rothirsch nun im Fricktal einwandere, erklärt sich Osterwalder mit den vergleichsweise guten Bedingungen. «Im Vergleich zu anderen Gegenden ist das Fricktal recht dünn besiedelt» und am Fuss des Bözbergs lasse sich eine Hauptverkehrsachse gut überwinden. In den fünf Jahren, die er nun beim Kanton arbeite, sei einmal ein junges Männchen zwischen Eiken und Oeschgen auf die Autobahn geraten und überfahren worden. Ein anderes junges Männchen wurde vor Jahren im Mettauertal gesichtet. Das Spezielle an der aktuellen Situation sei, dass nun an einem Ort drei Kronenhirsche, also mehrjährige Stiere, gesehen wurden. (sir)


Wildschäden werden vergütet

Der kantonale Massnahmenplan Rotwild, in Kraft seit dem 1. Januar 2015, legt die Rahmenbedingungen und das Vorgehen für einen möglichst konfliktarmen Umgang mit dem Rotwild fest. Die Massnahmen werden durch Bestandesüberwachungen sowie Jagd- und Wildschadensstatistiken dokumentiert. Gemäss Massnahmenplan ist das Rotwild «eine sehr anpassungsfähige, intelligente Wildart» mit grossem Sicherheitsbedürfnis und hoher Sensibilität gegenüber Störungen. Erwähnt werden drei Entwicklungsphasen bei der Besiedelung. Erstens: In einem Wildraum sind Einzeltiere feststellbar. Sie stehen unter Schutz. Zweitens: Die Rudelbildung ist erfolgt. «Ein Rudel besteht mindestens aus einer führenden Hirschkuh, ihrem Kalb sowie einem letztjährigen Jungtier.» Noch sind aber nicht alle potentiellen Lebensräume besiedelt. Die Bejagung erfolgt nach einer jährlichen, revierübergreifenden Abschussplanung. Drittens: Alle geeigneten Lebensräume sind flächendeckend besiedelt. «Das Rotwild zeigt ein natürliches Raum- und Sozialverhalten auf».

Rothirsche im Fricktal befinden sich in Phase eins. Es sind bisher nur Einzeltiere feststellbar. In dieser Phase ist das Rotwild grundsätzlich geschützt und darf nicht gejagt werden. Eine Ausnahme sieht der Massnahmenplan allerdings vor: «Individuen, welche hohe und untragbare Schäden verursachen, können nach Absprache mit dem Revierförster und der Sektion Jagd und Fischerei erlegt werden.» im Massnahmenplan ebenfalls geregelt ist der Schadensfall. «Wildschäden im Wald werden gemäss den gültigen Rechtsgrundlagen vergütet», heisst es unter anderem und weiter: «Der Rotwildeinfluss im Wald wird durch die Abteilung Wald beurteilt und den drei Stufen tragbar, hoch und untragbar zugeteilt.» Und an die Adresse der menschlichen Waldnutzer gerichtet: «Alle Arten von Rotwildfütterungen sind ganzjährig zu unterlassen.» (sir)


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