«Es braucht viel Talent und grossen Willen»
12.02.2018 KulturExklusiv: Interview mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja
Nach ihrem grossartigen Auftritt am Samstag in Rheinfelden fragte die Neue Fricktaler Zeitung die famose Geigerin und Grammy-Gewinnerin während der Fahrt ans nächste Konzert, über ihren Bezug zur Musik und wie man eine Musikkarriere machen kann.
Clara Rohr-Willers
NFZ: Wie sollte man eine Musikerkarriere aufbauen?
Patricia Kopatchinskaja: Es braucht vor allem Talent (Inspiration), das gottgegeben ist, und den Willen, dafür hart zu arbeiten (Transpiration). Wenn das nicht im Überfluss vorhanden ist, muss man abraten. Einfache Liebe zur Kunst oder der Wunsch, Künstlerin oder Künstler zu sein, genügen nicht. Das kann zu einer unglücklichen Existenz führen. Wie der französische Maler und Bildhauer Edgar Degas sagte: «Il faut décourager les Beaux-Arts.» «Man muss von der Kunst abraten.»
Haben Sie handfeste Tipps für junge Frauen?
Frauen haben es immer noch nicht ganz einfach, aber ich glaube, wir sind jetzt viel stärker. Beispielsweise die Dirigenten, die keine Frauen auf der Bühne mögen, tja, es werden immer weniger davon, und die mögen wir, Frauen, auch nicht besonders. Mal sehen, wie sie dann eine Sopranistin für Ihren Mahler finden, wenn es keine Frau sein soll (lacht). Die Zeiten ändern sich und wir ändern diese Zeiten!
Wie wählen Sie Ihre zeitgenössische Musik? Was spielt für Sie eine Rolle?
Es wird ungeheuer viel komponiert. Trotzdem trifft man nur selten ein neues Werk, das zu einem spricht, durch das man sprechen kann. Ich kann schwer formulieren, was die nötigen Qualitäten ausmacht. Vielleicht die Unverwechselbarkeit, die Neuheit, die innere Notwendigkeit. Damit trifft man immer auch einen Komponisten oder eine Komponistin. Oft gibt es dann noch andere Werke, die einem etwas sagen. Manchmal ergibt sich daraus eine Zusammenarbeit, wie zum Beispiel mit dem Amerikaner Michael Hersch oder dem Spanier Francisco Coll.
Der Komponist Ihres ersten Stücks am Konzert in Rheinfelden war Claude Debussy, ein Franzose, der auch als Maler wirkte. Wie nähern Sie sich der französischen Klangsprache?
Ich spreche nicht Französisch, mag aber die Liebesbrief-Sprache sehr. Rein musikalisch gefällt sie mir am besten. Sie ist blumig, melodiös, sie kitzelt an meinem Inneren Ohr und findet sofort einen Anklang in den Bildern, in seiner Malerei und in seiner Musik. Ich mache keinen Unterschied
– Sprache, Musik, Malerei, die ganze Kunst ist eins.
Können Sie Parallelen ziehen zur französischen Sprache?
Jede Sprache hat eine musikalische Komponente, und zwar die Sprachmelodie, die anscheinend in der rechten Hirnhälfte separat analysiert und verstanden wird. Die französische Sprache hat oft eine zärtlich-schwebende Sprachmelodie («Parlez-moi d’amour, redites-moi des choses tendres…»), wie ich sie so im Deutschen und Englischen nicht finde, sehr wohl aber in der Musik von Fauré und Debussy. Meine Muttersprache ist ja Rumänisch, das ist sehr ähnlich wie Französisch. Aber in Debussy ist es nicht nur die französische Sprache – da ist viel mehr: Opium, Gauguin, exotische Bilder und Klänge. Ich höre sogar die zischende Schlange aus Harry Potter und spüre den mystischen Rauch aus einem Zaubertopf. Sie ist unglaublich fantastisch, diese Musik.
Ein Musiker sagte einmal: «Erst als ich die französische Küche kennenlernte, verstand ich, wie man Debussy spielt.» Wie äussern Sie sich zu dieser Aussage?
Es gibt Musik, die man als reine Konstruktion auffassen kann, sozusagen in Stein gebaut, ausserhalb des Menschen. Einiges von Bach, Bruckner, vielleicht sogar von Beethoven könnte so gespielt werden. Es gibt andere Musik, die von raffinierten sinnlichen Texturen lebt, und da kommen einem zuerst französische Komponisten in den Sinn – Debussy, Ravel, Grisey, Dutilleux – ja, und die Parallelen zur raffiniert-sinnlichen französischen Küche sind nicht so abwegig. Auch Geschmack und Geruch gehören zur Fantasie.