Die Sebastiani Bruderschaft im 2.Weltkrieg
20.12.2020 Fricktal, RheinfeldenProjekt «kriegsnachrichten.ch»: Eine Jahrhunderte alte Tradition während den Kriegswirren um 1940
Die Pest und weitere Epidemien
Seuchenzüge sind in Mitteleuropa schon zur spätrömischen Zeit überliefert. Wie heute das Coronavirus wirkten diese Pandemien wirtschaftlich, politisch und sozial destabilisierend. Damit waren sie auch ein wesentlicher Faktor für den Niedergang des hoch organisierten und entwickelten römischen Reiches. Allerdings forderten frühere Seuchen weit mehr Todesopfer.
Die Pest in Rheinfelden
Erste Pestzüge trafen Rheinfelden um 1348. In den folgenden Jahrhunderten musste jede Generation meist eine oder mehrere Epidemien ertragen. Im 16. Jahrhundert ist ein Massensterben ungewohnten Ausmasses überliefert. Christian Wurstisen, ein Basler Gelehrterer berichtet, dass in Rheinfelden 70 Porzent der Bevölkerung Opfer der Seuche wurde. Bekannt ist, dass über Monate die gesamte Verwaltung und politische Struktur zusammenbrach.
Die Sebastiani Bruderschaft
In diesem Umfeld wurde 1541 die Sebastiani Bruderschaft gegründet. Zwölf ehrbare Rheinfelder gelobten, Pestkranke zu pflegen und zu bestatten. Als Schutzheiliger wurde Sebastian, ein Patron der Pestkranken, gewählt. Im Gegensatz zur heutigen Pandemie war die Ursache der Pestseuche damals völlig unklar. Wie aktuell kursierten verschiedene, aus heutiger Sicht auch bizarre Hypothesen, welche die Ausbreitung der Pest zu erklären versuchten. Das «Brunnen Vergiften» war eine weit verbreitete Vermutung. Deshalb gelobte die Bruderschaft, in der Weihnachts-und Silvesternacht an den Altstadtbrunnen mit einem Kirchenlied, den heiligen Sebastian und die Gottesmutter Maria gnädig zu stimmen. Dieser Brauch des jährlichen Brunnensingens hat sich bis heute erhalten.
Das Sebastiani Buch
Die Geschichte der Bruderschaft stützt sich weitgehend auf das aktuelle Sebastiani Buch, da frühere Quellen verloren sind. Dieses Buch wurde 1845 vom damaligen Senior Fridolin Lützelschwab, dem amtsältesten der 12 Brüder, begründet. Auf den ersten 25 Seiten wird die überlieferte Geschichte der Bruderschaft erzählt:
aus dem Vorbericht (1845)
«(…) Nur wenig überliefert uns die Geschichte über diese furchtbare Heimsuchung Gottes, wo er seine allschützende Vaterhand unserer uralten Vaterstadt entzogen und unsere geliebten Voreltern mit der schrecklichen Seuche der Pest heimsuchte»
«(…) Weit umher wüthete furchtbar der Todesengel. Die Äcker lagen öde, weil keine Hand sie baute, kurz überall ging fast der 4te Theil ins Grab»
Die folgenden Seiten enthalten einen meist jährlichen Eintrag mit Unterschriften der aktiven Brüder. Alle paar Jahre, entsprechend der Schreibfreudigkeit des Seniors, findet sich ein kurzer Text. Dieser schildert Aktivitäten der Bruderschaft sowie gesellschaftliche und politische Veränderungen. In den Jahren des 2. Weltkrieges finden sich dazu folgende, lokalhistorisch interessante Beiträge:
1939 Eintrag von Adam Schmelcher (Senior 1939 –1947)
«…Das Kriegsjahr 1939 hat sich auch insofern bemerkbar gemacht indem durch die Barrikaden und Stacheldrahtsperren unser gewohnter Gang durch die Tempelgasse unterbleiben musste und wohl das erste Mal, den Weg die Bahnhofstrasse hinab durch das Mühlegässchen genommen wurde. Beim Schwibogen sowohl als beim alten Theater durch den Drahtverhau hindurch.»
1940 Eintrag von Adam Schmelcher
«Das Kriegsjahr 1940 hat eine noch nie erlebte Umwälzung auf dem ganzen Kontinent hervorgerufen. Ringsherum ist unser kleines Land von Nationen, die im gegenseitigen Vernichtungskriege stehen eingeschlossen. Das einst so stolze Frankreich liegt am Boden und ist selbst auf andere, noch neutrale Staaten und deren Hilfe angewiesen. Durch die fortwährend fremden Fliegerangriffe muss auch die ganze Schweiz jede Nacht ab 10hrs bis morgens 6hrs vollständig verdunkelt werden, wodurch auch unser Weihnachtssingen statt um 11–12 Uhr nachts, wohl das erste Mal schon um 8– 9hrs abends mit anschliessender Christmette stattgefunden hat, obwohl kurz vorher die Verdunkelung für den heilg. Abend aufgehoben wurde. Das Absingen des Neujahrsliedes fand wie üblich von 9 –10hrs. statt und wurde vom Studio Basel mit dem Mikrophon vom Brunnen beim Storchen aus über den Schweizer Sender übertragen.»
Die reale Bedrohung war in dieser Zeit gegenwärtig: in der Zeitung wurde vom Bombenabwurf über Basel (16./17.12.1940) und über Zürich (22./23.1940) berichtet. Diese hatten nicht nur Sachschäden an Gebäuden, sondern auch Todesopfer und Verwundete gefordert. Als Prävention wurde die Verdunkelung eingeführt: diese harte Massnahme wurde von den Behörden strikte vollzogen. So gibt der Gemeinderat am 19.12.1940 bekannt: «Letzte Aufforderung zur restlosen Verdunkelung […]; dies gilt auch für die Anwohner Rheinseite in der Marktgasse..» Bussen bis 100 Franken, bei Rückfälligkeit bis zu 300 Franken oder Gefängnisstrafe werden angedroht.
Im Sebastiani Buch ist ein Schreiben (datiert 1.1.41) des Kommandanten der M.S.A. (Militär Sanität Anstalt), Hptm. Walthard eingeklebt: Der Kommandant spricht «den verbindlichsten Dank» aus für das «tiefe Erlebnis, an dem ich und meine Kranken sowie das Personal der M.S.A. Bäderstation teilhaben durften». Die Bruderschaft hatte für die M.S.A. im Hotel Krone das Neujahrslied am kleinen Brunnen beim alten Casino (Ecke Marktgasse/Brodlaube) gesungen.
1941 Eintrag von Adam Schmelcher
«Das vergangene Jahr stand im Zeichen der Kriegsausweitung auf alle Kontinente unserer Erde und ist somit noch kein Ende der Feindseligkeiten zu erhoffen, obschon Anzeichen vorhanden, dass alle Völker den Frieden sehnlichst herbeiwünschen.
– Die Sebastiani-Bruderschaft beging in diesem denkwürdigen Jahre 1941 das 400 jährige Jubiläum des Brunnensingens.(…) Möge das Jahr 1942 gnädig unserer lieben Heimat, welche gleichzeitig ihren 650 jährigen Bestand gefeiert, vorübergehen! Dies sei aller Wunsch.»
1942 Eintrag von Adam Schmelcher
«So ist nun auch dieses Jahr wieder in die Geschichte eingegangen ohne eine Entscheidung bei den Krieg füh- renden Ländern gebracht zu haben. Teuerung, Einschränkungen aller Art sind an der Tagesordnung und noch ist kein Ende abzusehen. Was uns das neue Jahr bringen wird ist ungewiss und der ersehnte Frieden rückt immer mehr in die Ferne. – Hoffen wir deshalb, dass ein gütiges Geschick uns auch fernerhin bewahren und unser Vaterland vor Unheil verschonen möge!»
1943 Eintrag von Adam Schmelcher
«Immer mehr wütet die Kriegsfurie über Europa und sind noch keinerlei Friedensaussichten vorhanden.(…) Anderseits konnten wir am Silvestersingen den auf dem Obertorplatz zum Andenken an unseren ehemaligen Senior Schlossermeister Nussbaumer Th. und von der Bürgergemeinde gestifteten ‹Theodorsbrunnen› einweihen, wobei die Behörde vertreten durch den derzeitigen Stadtammann und Ehrenbürger Dr. B. Beetschen in kurzer Ansprache der Gemeinde übergeben wurde»
1944 Eintrag von Adam Schmelcher
«Wer geglaubt hat, der Krieg sei bis gegen Ende des Jahres erledigt, muss diese Hoffnung aufs neue und unbestimmte Zeit zurückstellen. – In der Silvesternacht beim Absingen des Neujahrliedes am Theodorsbrunnen, heulte plötzlich die Sirene vom Obertor ‹Alarm› um dann nochmals unsere Darbietung auf dem Kirchplatz mit ‹Endalarm› gehörig gestört zu habe, auch jenseits des Rheines beteiligten sich die Alarmapparate gleichfalls lebhaft am Störbetrieb, was allen erneut bestätigt, dass der Kriegsgott ‹Mars› noch sein strenges Scepter führt.(…)»
Kein Brunnensingen im 2020
Wegen der aktuellen Corona-Pandemie muss in diesem Jahr das traditionelle Brunnensingen, entsprechend den Vorgaben des Bundesrates vom 11.12. 2020, zu aller Bedauern ausfallen. Dies erfolgte auch 1918, zur Zeit der «Spanischen Grippe». Die Sebastiani-Bruderschaft wird an der Christnachtfeier in der Rheinfelder Stadtkirche St. Martin, welche um 22.00 Uhr mit maximal 50 Personen stattfindet, teilnehmen. Am Schluss des Gottesdienstes stehen die 12 Sebastianibrüder mit ihrer Laterne zusammen und, in Erinnerung an die alte Tradition aber unter Berücksichtigung des Singverbots, wird das Sebastiani-Weihnachtslied von einem Tonträger abgespielt.
Die Anlässe vom Silvesterabend (Orgelkonzert in der Stadtkirche und Brunnensingen der Sebastiani Bruderschaft) finden aus demselben Grund nicht statt.
Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit
Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und «Der Frickthaler» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. (nfz)