Söiblueme einem Sonnenwirbel gleich

  05.06.2020 Fricktal

Würdigung für ein wunderbar-wandelbares Gewächs

Susanne Hörth

«Bruchsch für Dini Schildkrote no Chrottepösche?» Die Frage meiner Nachbarin lässt mich jubeln. Einerseits, weil meine gepanzerten Schützlinge diese Pflanze einfach «zum Fressen gerne» haben, zum anderen vor allem wegen der Ausdrucksweise selbst. «Chrottepösche». Ein Wort aus meinen Kindheitstagen. Der Ausdruck war nach dem Umzug von Kanton Zürich in den Aargau etwas in Vergessenheit geraten, die Faszination über das wandelbare Wundergewächs hingegen ist bis heute geblieben.

Jeder kennt es. Es begegnet uns überall. Im Garten, an den Wegrändern, in Wiesen und auch mitten im Wald. Es hat etwas Vertrautes. Nicht immer geliebt und auch gerne als Unkraut verschrien. Dabei ist es Nahrung. Und das nicht nur für die Insekten- und Tierwelt. Die gezackten, jungen und notabene ungespritzten Blätter bieten sich etwa für einen Salat an. Die Blüten eignen sich hervorragend für einen Sirup oder ein Gelee.

Im Laufe der Jahre begegneten mir immer wieder andere Mundartausdrücke für den Löwenzahn. Korrekt heisst er gar gewöhnlicher Löwenzahn. Doch von wegen gewöhnlich. Vom ersten Blühen bis zum Verwelken ist die Wildpflanze doch ein Wunderwerk der Natur. Die gelbleuchtende Blüte besteht aus Hunderten von kleinen länglichen Blättern, die sich einem Sonnenwirbel gleich aneinanderreihen. Was haben wir als Kinder versucht, die kleinen gelben Blättchen zu zählen. Die hohlen Stängel haben wir in Streifen gezogen, diese ins Wasser gelegt und uns über die dabei entstehenden Ringel gefreut. Währenddessen hat der aus den Stängeln ausgetretene, weisse Milchsaft braune Flecken auf unseren Händen hinterlassen.

Mit der Zeit hatte ich ein Sammelsurium an verschiedensten Mundartausdrücken für das Wunderding zusammen. Ob Lichterblume, Weiefäcke, Chueblueme, Hundeblume oder Chetteneschtöck: sie und ganz viele mehr stehen für ein und dieselbe Pflanze. Lachkrämpfe bekam ich jedes Mal, wenn meine Grossmutter väterlicherseits mit pikiertem Blick auf das in ihrem Schrebergarten wuchernde «Unkraut» hinunterschaute. «Pissenlit», presste sich fast angewidert zwischen ihren Lippen hervor. Für mich als Kind hörte sich das ziemlich unanständig an. Und das von meiner stets perfekt frisierten und gekleideten Grandmaman. Eine Dame, die zeitlebens ihre französische Muttersprache bevorzugte, unabhängig ihrer hervorragenden Deutschkenntnisse. Ganz selten nahm sie tatsächlich uns Kindern zuliebe den Ausdruck «Söiblueme» in den Mund. Nicht minder angeekelt als bei «pissenlit».

Vom Winde verweht
Eine wundersame Veränderung erfährt der Gelbblütler schliesslich mit dem Verwelken. Er wird zur Pusteblume. Welche Lust, in den f lauschigen Pf lanzenkopf voller kleiner, silbergrauen Falschschirmchen zu blasen. «Engelchen oder Teufelchen», fragten wir uns gegenseitig mit Blick auf den geleerten Blütenkopf. Eine reine, weisse Fläche stand für Engel, ein schwarzer Punkt in der Mitte symbolisierte das Teufelchen. Mit jeder weiteren Pusteblume stellten wir fest, dass in uns allen von beiden etwas steckt: Engelchen wie auch Teufelchen.

In der Zwischenzeit hat der Wind die kleinen Schirmchen mit den Samen am unteren Ende davongetragen. Irgendwo werden sie landen und hoffentlich viele neue «Chrottebösche» entstehen lassen.

Fotos: Susanne Hörth


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