Seuchen, Geiseln der Menschheit

  18.03.2020 Fricktal

Wenn wir heute dank zivilisatorischer Errungenschaften ein relativ sorgloses Leben führen, vergessen wir leicht, dass dies nicht immer so war. Hin und wieder erinnert uns die Natur daran, dass der Mensch nicht das Mass aller Dinge ist. Schon immer waren die Menschen den Launen der Natur ausgeliefert. Anlässlich des zurzeit weltweit grassierenden Coronavirus sei an zwei der ältesten Geiseln der Menschheit erinnert, die auch das Fricktal heimsuchten.

Werner Rothweiler

Der Aussatz (Lepra) – im Mittelmeergebiet schon in der Antike aus Palästina und Arabien eingeschleppt – begann sich im deutschsprachigen Raum im 4. Jahrhundert auszubreiten. Zwar hatte die Seuche auf die Bevölkerungsentwicklung nie einen entscheidenden Einfluss, aber die Krankheit war gefürchtet wegen ihrer Unheilbarkeit, wegen der fortschreitenden Verkrüppelung und der damit einhergehenden Ausgrenzung der Betroffenen. Das Kloster St. Gallen gründete 720 eines der ersten deutschen Lepra-Spitäler. Von den sieben Kreuzzügen zwischen 1096 und 1272 brachten die Rückkehrer die Lepra nach Europa mit. Da die Kirche die Kreuzzüge initiiert hatte, war es nur billig, dass sie 1179, im 3. Lateran-Konzil, das «Aussätzigenrecht» einführte, das auf die Aussonderung der Leprakranken zielte und die Aussätzigenfürsorge zur Sache der Kirche erklärte.

«Sondersiechenhaus»
Die Stadt Rheinfelden hatte schon im 13. Jahrundert zur Absonderung unheilbar und ansteckend Erkrankter ausserhalb der Stadtmauern das Sondersiechenhaus zu St. Margarethen an der Klos eingerichtet (auch siechenhus am velde oder der guoten/armen lüten hus genannt). Man sprach von den veldsiechen, den sondersiechen oder den armen lüten an der Clos.

Auch umliegende Dörfer konnten gegen ein entsprechendes Entgelt ihre Aussätzigen als Pfründner dem Haus an der Klos übergeben. So hatte zum Beispiel anno 1531 Hans von Magten seine an Aussatz erkrankte Tochter Bärbel im Siechenhaus an der Klos verpfründet. Dieses wurde während Jahrhunderten von privaten Gönnern unterstützt durch Zuwendungen von Gütern und Zinsen. Die Aussonderungsmassnahmen waren erfolgreich, denn die Lepra-Erkrankungen in unserer Gegend gingen zurück und verschwanden nach einem kurzen Wiederaufflammen im 16. Jahrhundert vollständig.

Basel brachte seine Aussätzigen seit 1260 in der ausserhalb der Stadt gelegenen Quarantänesiedlung St. Jakob an der Birs unter. Heute gibt es ausserhalb der EU etwa 12 bis 13 Millionen Lepröse, von denen ¾ unbehandelt sind!

Die Pest
Die Pest hatte – im Gegensatz zum Aussatz – ganz einschneidende Auswirkungen auf die Bevölkerungs-entwicklung. Zweimal, nämlich Mitte des 6. Jahrhunderts und Mitte des 14. Jahrhunderts, hatte der «Schwarze Tod» Europa überzogen und dessen Bevölkerung jeweils erheblich dezimiert, und zwar beide Male in einem Zeitpunkt da, gemessen an den bescheidenen Produktionsmethoden, Überbevölkerung drohte. Es dauerte jeweils zwei bis drei Jahrhunderte, bis die ursprüngliche Bevölkerungszahl wieder erreicht war.

Die Übertragung der Pest erfolgt durch Flohstiche (Beulenpest) oder von Mensch zu Mensch in Form einer Tröpfcheninfektion (Lungenpest). Während man die Beulenpest mit Glück überleben konnte, führte die Lungenpest praktisch immer zum Tod durch Ersticken.

Die «Pest des Justinian» kam von Zentralafrika über Äthiopien via Mittelmeer das Rhonetal herauf und erreichte unsere Gegend im Jahr 543. Die Krankheit flammte in regelmässigen Abständen von 15 Jahren – vor allem im Mittelmeerraum
– immer wieder auf, bis sie um 750 für fast sechs Jahrhunderte erlosch. Dann kam sie von Zentralasien auf der Seidenstrasse ans Schwarze Meer, wo sie von Genuesischen Handelsschiffen via Venedig nach Europa gebracht wurde.

«Flagellantenbruderschaft» in Laufenburg
Von 1348 bis 1352 raffte der Schwarze Tod in Europa 25 bis 30 Millionen Menschen oder etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung hinweg. Dieser Pestzug gab 1349 Anlass zur Gründung der «Flagellantenbruderschaft» in Laufenburg, die einige Jahrhunderte bestand und durch Geisselung und Kasteiung den Zorn Gottes abzuwenden suchte. Basel erlebte insgesamt 25 Pestepidemien, zwölf im 14./15. Jahrhundert., neun im 16. Jahrhundert und vier im 17. Jahrhundert. Der durchschnittliche Abstand der Pestzüge betrug 14 Jahre.1 Das Fricktal wurde laut Chronisten in den Jahren 1432, 1541, 1552, 1564, 1582, 1611, 1629 und 1667 von der Pest heimgesucht.2 Für Magden sind erst aus dem 17. Jahren Zahlen verfügbar, da keine früheren Sterberegister existieren.

Für das Pestjahr 1610/11 erstellte der Basler Stadtarzt Felix Platter eine Pest-Statistik: Von 12 600 Einwohnern erkrankten 6408, davon starben 3968. Platter erklärte die Pest einerseits mit der Existenz eines «virus pestilens», andererseits glaubte er an eine göttliche Voraussicht als Korrektur zur Verhinderung einer Überbevölkerung! Tatsächlich wurde Basels Bevölkerung durch die Pest immer wieder so dezimiert, dass sie in 300 Jahren nie über 12 000 hinauswuchs. Platter wurde 1611 auch nach Rheinfelden gerufen, nachdem die beiden ansässigen Ärzte an der Pest gestorben waren. Insgesamt starben 129 Rheinfelder, 10 Prozent der Bevölkerung.

Während des Dreissigjährigen Krieges suchte der Schwarze Tod das Fricktal in den Jahren 1628/9 und 1636 heim. Vermerke in den Sterberegistern wie pestis grassatione (die Pest grassiert), peste graviter (schwere Pest), peste infecto obyt (an Pest gestorben) bezeugen die Pest als Todesursache. Bei vielen Verstorbenen fehlt das übliche R.I.P.A. (requiescat in pace amen = ruhe in Frieden, Amen), vermutlich weil sie so rasch verstarben, dass sie die Beichte nicht mehr ablegen oder die letzte Ölung nicht mehr empfangen konnten.

Die Grenzen wurden geschlossen
Das Rheinfelder Oberamt versuchte mittels verschiedener Massnahmen der Pest entgegenzutreten: Die Grenzen wurden geschlossen, der freie Personen- und Warenverkehr beschränkt; Reisende brauchten einen Gesundheitspass mit dem Nachweis, dass sie aus einer Gegend kamen, in der die Luft ganz rein war; die Herbergen wurden geschlossen, die Wirte mussten den schilt herab thuen; Wachleute machten vermehrt Rundgänge, um auf frömbde durchraisende leüth auch vagierendes bettel gesinndt guet achtung geben; der Kontakt zwischen Gesunden und Kranken wurde unterbunden, nur Ärzte, Scherer und Bader durften Pestkranke besuchen.

Rheinfelden führte eine obligatorische Krankendienstpf licht für Frauen ein; wer sich weigerte, wurde mit Gefängnis bedroht. Ortschaften, in denen die Seuche ausgebrochen war, wurden mit einem Bann belegt, es durften von dort keine Waren gekauft werden. Die Massnahmen konnten so weit gehen heüser zue zerschlagen, um einer Ausbreitung vorzubeugen. Ferner mussten Ess- und Trinkgeschirr der Toten zerbrochen und deren Bettzeug verbrannt oder wenigsten gründlich gereinigt werden; Wohnräume mussten mit Essigwasser gereinigt und dann ausgeräuchert werden.3 Kommen uns diese Massnahmen im Vergleich zu denen, die heute angesichts der Corona-Pandemie vorgeschlagen werden, nicht sehr bekannt vor?!

Als Zeugen aus der Pestzeit treffen wir noch da und dort Statuen und Bilder der Pestheiligen Sebastian und Rochus an. Auch die Rheinfelder «Sebastiani-Bruderschaft» und deren bis heute erhalten gebliebener Brauch des Brunnensingens in Christ- und Neujahrsnacht erinnern an die Pestzeiten. Die Bruderschaft geht auf den Pestzug von 1541 zurück, als sich zwölf Rheinfelder zusammentaten, um die Kranken zu pflegen und die Toten zu begraben.

1 Basler Chroniken Bd. 11: Felix Platter, Pestbericht 1610/11; Basel 1987; S. 75 ff. 2 Fricktaler Zeitung Nr. 78, 26.9.1855. 3 Fricktaler Museum: Separata zur Ausstellung «Pest und Sebastianibruderschaft in Rheinfelden», 1997.


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