«Bis zum Zaun und nicht weiter!»

  19.03.2020 Fricktal

Am Montag schlossen die Deutschen die Grenzen für die meisten Schweizer. Am Dienstag verschärften die Schweizer ihr Grenzregime. Eine Grenzerfahrung im Ausnahmezustand zwischen Rheinfelden und Laufenburg.

Boris Burkhardt

Montag: Ein Pärchen im Seniorenalter nähert sich von der Rheinbrücke dem deutschen Zollhäuschen in Rheinfelden. Drei Bundespolizisten, das deutsche Pendant zur Grenzwache, stehen dort in ihren schwarzen Uniformen; dahinter sind zwei orange Absperrgitter aus Plastik aufgestellt. Einer der Polizisten reagiert freundlich auf die Ansprache des Seniors. Er sei Schweizer, sie Deutsche, erklärt dieser. Sie seien nicht verheiratet aber Lebensgefährten. Sie wohne in Deutschland und besuche ihn regelmässig. Das dürfe sie auch weiterhin tun, erklärt der Polizist: Deutsche Staatsangehörige dürften sich weiterhin frei bewegen. Und wenn er sie mit dem Auto zum Arzt nach Lörrach fahren müsse, fragt der Mann. Der Polizist überlegt kurz und sagt dann, das müsse wohl auch weiterhin möglich sein.

Derweil kommt der rote kleine Bus angerollt, der die beiden Rheinfelden verbindet. Ein Polizist lässt sich von den beiden Insassen den deutschen Ausweis zeigen; dann darf der Bus passieren. Ein Schweizer Velofahrer will ein Paket im Paketshop für seine deutsche Freundin abholen: Das müsse sie nun selbst abholen, erklärt ihm ein Polizist freundlich. Rheinfeldens Oberbürgermeister Klaus Eberhardt kommt von der deutschen Seite und fragt die Polizisten nach der Lage. Sie erklären ihm, dass alles den Umständen entsprechend in Ordnung sei; das Stadtoberhaupt kehrt wieder ins Rathaus zurück.

Eine Brücke weiter westlich gibt es keine Fussgänger und Velofahrer. Auf der deutschen Autobahnzollanlage in Rheinfelden lassen sich die Bundespolizisten von jedem Autofahrer die ID zeigen. Gleich drei Autos mit Schweizer Kennzeichen hintereinander müssen wieder umkehren: Sie konnten keinen «triftigen Grund» für ihre Einreise nach Deutschland vorweisen – vermutlich Einkaufstouristen. Diese stürmten übrigens mehreren Berichten zufolge am Montag noch einmal die Discounter und Paketshops in Badisch-Rheinfelden: Sie überquerten die Grenze noch vor der offiziellen Sperrung um 8 Uhr und warteten vor den Läden. Ab 9.30 Uhr soll es keine Schweizer Kunden mehr gegeben haben.

Es herrscht Gesprächsbedarf
Dienstag: «Grenzübergang gesperrt – Corona-Virus» steht am Dienstag auf einem laminierten Zettel zusammen mit dem dreimaligen Siegel des Eidgenössischen Zolldepartements. Es hängt an einem Bauzaun in Stein am Eingang der Holzbrücke nach Bad Säckingen; davor stehen zwei weitere Absperrungen und Verbotsschilder für Velofahrer und Fussgänger. Nun hat auch die Schweiz die Grenze dichtgemacht. Viele Steiner kommen nur hierher, um zu schauen, wie sie sagen. Vor allem Mütter mit Kindern. Eine erzählt, ihr Mann sei Deutscher und wohne in Stein; die Schwiegermutter aber wohne in Rotzel auf der deutschen Seite. Sie könne die Tochter nun nicht mehr dort hinbringen, meint die Frau. Aber zu den Grosseltern solle man die Kinder ja gar nicht mehr bringen, fällt ihr dann ein. Für Zürcher oder Berner habe die Grenzsperrung ja nicht solche Auswirkungen, meint die Mutter: «Aber für unsere Region, wo es doch egal ist, ob man in der Schweiz oder in Deutschland ist…» Es herrscht viel Gesprächsbedarf. Das merkt man. Die Menschen scheinen freundlicher und aufmerksamer aufeinander als sonst. Inzwischen sind zwischen Weil am Rhein und Jestetten 31 von 40 Grenzübergängen geschlossen.

Zwei junge Velofahrer nehmen die Situation vor der Holzbrücke mit Humor: Als Deutsche mit Wohnsitz in der Schweiz dürfen sie weiterhin ungehindert über alle Grenzen – wenn auch nicht hier, dann doch einige wenige Hundert Meter weiter über die Friedolinsbrücke. Dort ist am Dienstagnachmittag kaum Verkehr. Auf beiden Seiten der Gemeinschaftszollanlage auf Säckinger Boden warten je drei bis vier Autos. Nun lassen sich auch die Schweizer Grenzwächter von jedem Insassen die ID zeigen und ausserdem die Arbeitsbestätigung: Wer nicht in der Schweiz wohnt oder Schweizer ist, kommt nur noch rein, wenn er in der Schweiz arbeitet. Und das zum Teil auch nur mit viel Diplomatie.

Alte Brücke in Laufenburg
Im Laufenburger Städtli ist es abgesehen von einer Baustelle sehr still. Wer vom Markplatz her zur Laufenbrücke kommt, ist für einen Moment irritiert, weil der Zugang zur Brücke von Schweizer Seite weder versperrt ist noch kontrolliert wird. Doch sobald man auf der Brücke steht, sieht man, dass der Zugang in die Mindere Stadt mit einem Bauzaun, zwei schweren Pflanzenkübeln und Absperrgittern gleich dreifach verwehrt wird. Ein junger Mann steht verloren auf der Schweizer Seite vor dem Bauzaun. Als gerade zwei Streifenpolizisten von der anderen Seite kommen, bittet er sie um Hilfe: Er sei Grenzgänger und habe heute Morgen wie immer in der Minderen Stadt das Auto parkiert und sei dann zu Fuss über die Laufenbrücke gegangen. Doch die Polizisten können ihm nicht helfen: Am Nachmittag wurde die Barrikade errichtet; dem armen Grenzgänger bleibt nun nichts anderes übrig, als zu Fuss über die neue Brücke zurückzulaufen.

Es ist später Nachmittag; die Frühlingssonne scheint auf die Laufenbrücke. Eine junge Frau geht von der Schweizer Seite auf den Bauzaun zu. Von der deutschen Seite kommt ihr eine weitere Frau entgegen. Sie begegnen sich am Zaun, begrüssen sich und setzen sich dann nebeneinander mit dem Rücken an das Brückengeländer – nur der Zaun dazwischen. Die deutschen Polizisten sind noch immer da. «Er hat zu mir gesagt: zum Zaun und nicht weiter», erklärt die Deutsche. Es sind zwei Freundinnen, eine Deutsche und eine Schweizerin, die sich hier verabredet haben. Das gibt Hoffnung, dass nach Wochen Corona-Ausnahmezustand am Hochrhein wieder zusammenwachsen wird, was zusammengehört.

 


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