«Ein Viertel aller Paare ist betroffen von Affären»

  08.03.2020 Rheinfelden

Cora Burgdorfer und Margrit Schmidlin von der ökumenischen Paarberatung mit Sitz in Rheinfelden erzählen im Gespräch mit der NFZ, was Beziehungen belastet. Dabei geht es nicht bloss um Langeweile im Schlafzimmer.

Ronny Wittenwiler

NFZ: Welches ist der Beziehungskiller Nummer eins?
Cora Burgdorfer:
Ganz klar die emotionale Entfremdung. Paare lernen sich kennen, sie verlieben sich, ziehen zusammen, bekommen Kinder. Viele Paare sind als Eltern ein gutes Team. Sie kümmern sich um ihre Kinder und gehen ihrer Arbeit nach. Sind die Kinder abends im Bett, fallen sie müde aufs Sofa.
Margrit Schmidlin: Zu uns kommen Paare, die nicht mehr miteinander reden; zumindest nicht mehr über beziehungsrelevante Dinge. Der emotionale Austausch darüber, wie es einem selbst und dem anderen geht, findet nicht mehr statt. Wir erleben Paare, die bloss noch Organisatorisches wie den Haushalt oder die Kindererziehung miteinander besprechen.

Haben diese Eltern ein schlechtes Gewissen, Zeit für sich als Paar zu beanspruchen?
Burgdorfer:
Paare sind immer zuerst gute Eltern. Dann kümmern sie sich neben der Arbeit vielleicht noch um die eigenen Eltern, vielleicht um einen Nachbarn. Die eigentliche Zeit als Paar kommt zuletzt. Frage ich Paare, wann sie zuletzt etwas zu zweit unternommen haben, heisst es oft: vor einem halben Jahr, vor einem Jahr oder gar vor zwei Jahren.
Schmidlin: Dieser eng getaktete Alltag birgt die Gefahr, dass die gegenseitige Wertschätzung verlorengeht. Der Wow-Effekt am Anfang einer Beziehung verfliegt und in den Vordergrund rücken Ecken und Kanten des Partners, die sich in einer ersten Phase der Verliebtheit so nicht zeigten. Mit dem Alltag rückt in den Fokus, was einem am Partner nicht gefällt. So kommt es zum Streit.

Was lässt sich dagegen tun?
Burgdorfer:
Wir wollen im Gespräch herausfinden, wie sich eigene Ressourcen mobilisieren lassen können. Was waren einmal gemeinsame Interessen? Wie war das am Anfang der Beziehung? Warum hat sich jemand genau in diesen Partner verliebt? Es geht darum, Neugierde aneinander wieder zu wecken, gemeinsame Rituale zu pflegen.
Schmidlin: Paare sollten sich ganz bewusst auch Zeit für sich als Paar nehmen.

Ist der Mensch überhaupt gemacht, ein Leben lang denselben Partner anzuhimmeln?
Burgdorfer:
Das ist eine grosse Frage, genauso, wie das Eheversprechen an sich ein grosses Versprechen ist und woran heute mittlerweile rund die Hälfte scheitert. Hinzu kommt ein grosser Teil, der ziemlich unglücklich in einer Ehe hängen bleibt.
Schmidlin: Wir dürfen nicht vergessen: Die Lebenserwartung ist heute viel höher als noch vor vierzig Jahren. Das verändert vieles unter dem Aspekt «bis dass der Tod euch scheidet». Man sagt, dass rund ein Viertel aller Paarbeziehungen betroffen ist von Affären und Fremdgehen.

Nochmals: Ist der Mensch gemacht nur für einen Partner?
Schmidlin:
Ich kann das nicht beurteilen. Klar ist: Die Ansprüche unserer Gesellschaft sind gestiegen. Selbst in Beziehungen ist zunehmend eine Konsumhaltung auszumachen. Wird es schwierig und ist die Phase der Verliebtheit, diese Faszination, vorbei, starten viele bereits einen nächsten Versuch.

Menschen kämpfen nicht mehr um ihre Liebe?
Burgdorfer:
Die Generation unserer Eltern und Grosseltern waren oftmals Zweckgemeinschaften. Da gab es keinen Anspruch auf Selbstverwirklichung, man musste zusammenleben, um zu überleben. Heute stehen Beziehungen unter dem Einf luss von Hollywood-Bildern: Man will rundum glücklich sein, stets Spass haben und natürlich auch gut sein im Bett. Da sind ganz viele Ansprüche, die sich so nicht alle einfach bedienen lassen.

Wird Sexualität in einer Beziehung überbewertet?
Burgdorfer:
Auf gewisse Art und Weise. Gerade die Medien und die Pornografie vermitteln uns Bilder und Fantasien davon, was wir alles tun und können sollten – nur im Schlafzimmer sieht es dann anders aus: Da herrscht oft Langeweile und Lustlosigkeit. Darüber zu reden bereitet vielen Paaren Schwierigkeiten.
Schmidlin: Gerade dieses immer Können und Müssen, dank Viagra selbst bis ins hohe Alter, sorgt dafür, dass dieses Thema im Privaten gleichzeitig mit Scham besetzt ist.

Streiten, so heisst es manchmal, ist nicht nur schlecht. Was ist ein guter Streit?
Burgdorfer:
Ein fairer Streit geht nicht unter die Gürtellinie und ist nicht persönlich verletzend, sondern bleibt konkret beim Thema. In einem fairen Streit ist gegenseitiger Respekt vorhanden und das Gegenüber erhält die Chance, gehört zu werden.
Schmidlin: Fakt ist: Es gibt Paare, die über Jahre sogar heftige Streitigkeiten austragen, dennoch zusammenbleiben und sich nicht mal als unglücklich bezeichnen würden. Die Tatsache, dass es manchmal untereinander «chlöpft», bedeutet nicht, dass sich ein Paar trennt.

Ist Gewalt in Partnerschaften in Ihren Sitzungen ein Thema?
Schmidlin:
Das ist zum Teil auch Thema bei uns, ja. Wie lassen sich Aggressivität und Ärger früh genug erkennen, wie lassen sich Ventile finden, um diese Dynamik der Eskalation zu durchbrechen? Mit solchen Fragen beschäftigen wir uns. Man sagt, in rund einem Drittel aller Haushalte kommt es zu Gewalt.

Gibt es ein Zurück nach Gewalt in der Partnerschaft?
Burgdorfer:
Sind Menschen zur Ref lektion fähig, dann durchaus. Wenn also jemand merkt, dass ihm die Sicherungen durchgebrannt sind und das nie mehr passieren darf. Natürlich gibt es Menschen, die zur Ref lektion fähig sind und dennoch wieder gewalttätig werden. Dann geht es auch darum, tiefer zu blicken: Womit hat es zu tun? Gibt es Traumata in der eigenen Biografie?

Gibt es mehr glückliche oder mehr unzufriedene Paare?
Burgdorfer:
Die Glücklichen kommen nicht zu uns (lacht). Ich frage meine Klientel manchmal, wie viele glückliche Paare sie aus ihrem Freundeskreis kennt, zumal das hilfreich sein kann, was man selbst besser machen könnte. Die meisten antworten, dass sie höchstens ein oder zwei Paare kennen, die sie als glücklich bezeichnen würden.

Das ist deprimierend.
Burgdorfer:
Ja.

Ist das eine Fehleinschätzung Ihrer Klientel, die sich in einem Tief befindet?
Burgdorfer:
Ich glaube nicht. Man spürt, ob Paare wirklich einen schönen Umgang in ihrer Beziehung pflegen, man spürt die Verbindung. Ich glaube, von solchen Paaren gibt es nicht so viele.

Sie zeichnen ein tristes Bild.
Burgdorfer:
Das tue ich, ja.
Schmidlin: Die Frage ist: Was heisst glücklich? Man weiss mittlerweile: Das Gefühl des Glücklichseins nimmt im Verlauf einer langjährigen Beziehung tatsächlich ab und stabilisiert sich auf einem Niveau von Zufriedenheit.
Burgdorfer: Glücksmomente dagegen sind Sternstunden, eigentliche Peaks. Natürlich ist es schön, wenn es diese gibt, aber viele Menschen haben das Gefühl, ihre Beziehung müsse so sein, wie sie in Hollywood daherkommt. Schön wäre, die Menschen würden sich nur schon darauf besinnen, dass sich so etwas wie ein ruhiger Fluss von Zufriedenheit einstellt.

Haben Sie heute eigentlich mehr zu tun als früher?
Schmidlin:
Es herrscht zumindest eine grössere Offenheit gegenüber solchen psycholog ischen Angeboten. Das Thema Paarberatung ist nicht mehr derart mit Scham besetzt wie früher, und das ist gut so.
Burgdorfer: Früher meldeten sich fast ausschliesslich Frauen. Jetzt sind es zunehmend auch Männer, die den ersten Schritt machen.


«Verliebt, verlobt, verheiratet. Amen?»

Die Ökumenische Paarberatung und die Kirchen im Wegenstettertal laden am kommenden Donnerstag, 12. März, zum öffentlichen Vortrag in das reformierte Kirchgemeindezentrum Zuzgen. Die Paarberaterinnen Cora Burgdorfer und Margrit Schmidlin geben in einem Referat Einblicke in ihre Arbeit und gehen der Frage nach, woran es liegt, ob eine Beziehung gelingt oder ob sie zerbricht. Der Titel des Themenabends: «Verliebt, verlobt, verheiratet. Amen?» – Die Herausforderungen einer Beziehung beginnen dort, wo Märchen enden. Der Vortrag ist kostenlos (Kollekte). Er dauert von 19 bis 20.30 Uhr. (rw)


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