«Ich war eine Präsidentin für alle»

  28.12.2022 Fricktal

Elisabeth Burgener dirigierte ein Jahr lang das Orchester Grosser Rat

So herausfordernd ihr Jahr als Grossratspräsidentin war, so sehr hat es Elisabeth Burgener auch genossen. Voller Dankbarkeit blickt sie nun auf diese intensive Zeit zurück. Gleichzeitig freut sie sich, wieder in der politischen Debatte als SP-Grossrätin mitdiskutieren zu können.

Susanne Hörth

Mit 127 von 129 möglichen Stimmen wurde Elisabeth Burgener im Januar dieses Jahres mit einem Glanzresultat als neue Grossratspräsidentin gewählt. Das heterogen durchmischte Orchester Grosser Rat war bereit für seine neue Dirigentin. Den Vergleich mit dem Orchester, welches sie nun ein Jahr lang dirigieren durfte, hat die SP-Politikerin aus Gipf-Oberfrick schon früh gemacht. Wie aufwendig, zeitintensiv, oft anspruchsvoll, gleichwohl stets sehr bereichernd und voller guter Begegnungen dieses Amt ist, erzählt sie im Gespräch mit der NFZ. Den Dirigentenstab – «ich war eine Präsidentin für alle» – hat sie sehr gerne geführt, freut sich nun aber auch wieder, als SP-Grossrätin im Orchester mitspielen und somit aktiv in den Debatten mitdiskutieren zu können.

NFZ: Frau Burgener, gerne möchte ich Ihnen zu Beginn unseres Gespräches ein paar Stichworte nennen. Das erste wäre Glocke…
Elisabeth Burgener
(lacht herzlich): Zu Beginn meines Präsidialjahres habe ich zahlreiche Glocken geschenkt bekommen. Sie ist ein sehr schönes Symbol für das Parlament. Eines, das nicht digital ersetzt werden kann. Jede Sitzung startet mit der Glocke. Mit ihr wird während der Debatte auch zur Ruhe gemahnt. Dafür habe ich sie aber nicht viel gebraucht; ich habe das mit Worten gemacht. An meiner letzten Sitzung am 6. Dezember habe ich die Glocke zusätzlich mit einer selbstgemachten Haselrute ergänzt und damit meinen Vize Lukas Pfisterer quasi als Schmutzli durch die Reihen geschickt. In schöner Erinnerung bleibt mir auch, als ich zusammen mit dem Thurgauer Präsidium die Glockengiesserei Rütschi besichtigen durfte. Ich bekomme von dort ebenfalls noch eine Glocke als Erinnerung an mein Präsidienjahr.

Rückkommensanträge …
Das passiert nicht so oft. Bei mir war es einmal bei der Budgetdebatte, dass eine Abstimmung – zur Standortförderung – wiederholt wurde.

Zeitplanung …
Ich wusste, dass das eine Herausforderung sein wird, ich habe mich aber bewusst – auch in Absprache mit meinem Mann – und gerne darauf eingelassen. Ein Privatleben gab es kaum. Ein Jahr nach Corona kamen zu den bereits angesetzten Veranstaltungen viele weitere, die nachgeholt werden sollten, hinzu. Dass es wenig Freizeit geben wird, wussten meine Familie und ich im Voraus. Da ich sehr gerne in der Politik bin, zudem gerne organisiere, war das kein Problem. Das Amt ist zeitlich begrenzt und daher ist es abschätzbar und gut machbar.

Grussbotschaften …
(lacht herzlich): Ja, solche habe ich viele überbracht. Die meisten Veranstalter wünschen sich die Grossratspräsidentin dabeizuhaben. Wann immer möglich, bin ich auch hingegangen. Hier kommt wieder zum Zug, dass ich sehr gerne bei den Leuten bin. Neben der Kernaufgabe, der Parlamentsarbeit, ist das «vor Ort bei den Leuten präsent sein» eine weitere wichtige Aufgabe der Präsidentin. Für mich war es immer ein schönes Hinausgehen zu den Menschen und dabei gleichzeitig die unglaubliche Vielfalt und all das, was im Gemeinwesen geleistet wird, zu würdigen und zu verdanken. Im Gegenzug bekam ich stets eine sehr grosse Wertschätzung zurück.


«Begegnung mit einem Kanton, in dem so viel geleistet wird»

2022 bleibt Elisabeth Burgener als ein spannendes, intensives und gutes Jahr in Erinnerung. Parlamentsarbeit, die rund 100 besuchten Anlässe wie auch persönliche Projekte, dazu gehörten etwa die Bezirksbesuche, haben der Gipf-Oberfrickerin in ihrer Amtszeit als Grossratspräsidentin sehr viel Freude bereitet.

Susanne Hörth

NFZ: Frau Burgener, was bedeutet das Jahr als Grossratspräsidentin für Sie?
Elisabeth Burgener:
Ein Riesengeschenk. Dafür bin ich sehr dankbar.

Trotz der grossen Verantwortung, die Sie übernommen haben?
Ich war mir dessen ja schon während meiner zwei Jahre als Vizepräsidentin bewusst. Diese lange Vize-Zeit gibt es nicht in allen Kantonen. Für mich war sie sehr wichtig und wertvoll, ich konnte mich in dieser Zeit gut vorbereiten.

Den Grossen Rat zu präsidieren haben Sie mehrfach mit dem Leiten eines Orchesters verglichen. Was brauchte es, damit Sie den Dirigentenstab auch immer im richtigen Takt einsetzen konnten?
Eine sehr gute Vorbereitung. Das ist bei der rollenden Planung im Parlament nicht immer ganz einfach. Die Geschäfte sind sehr spät parat. Am Mittwoch vorher gehen sie zuerst durch die Regierung. Für mich galt es dann, das Drehbuch für die Grossrats-Sitzung vom folgenden Dienstag zu studieren. Ich brauchte dafür jeweils das Wochenende und den Montag. Ich bin Geschäft für Geschäft durchgegangen, insbesondere bei der Gesetzesarbeit.

Wie sattelfest muss man für dieses Amt sein?
Es ist eine Voraussetzung. Ich beteiligte mich nicht an den Debatten, sondern leitete sie. Dafür musste ich über alle Formen wie Geschäfte beraten werden können, Bescheid wissen. Kurz: Die Geschäftsordnung des Grossen Rates musste ich in- und auswendig kennen.

Viele Hausaufgaben also…
Abläufe, Prüfungsanträge, Minderheitsanträge, wann spricht wer, wann darf jemand ein zweites Mal reden, wie sind Fraktionen beteiligt, welche Abstimmungsmöglichkeiten gibt es. Ich musste das kennen.

Und bei alldem in den Debatten auch noch Überblick behalten…
Da half mir zum einen das «Steuergerät», mit dem ich die Mikrophone an- und abstellen kann, eine zeitliche Übersicht habe und die Abstimmungen koordiniere.

Die Geschäftsordnung schafft zudem Rahmenbedingungen, die einem helfen, die doch sehr heterogene Durchmischung des Grossen Rates zu leiten. Sehr gut ist auch, dass wir im Kanton die festgesetzte Redezeit haben. Im Kanton Baselland gibt es das beispielsweise nicht.

Was ist für Sie an einer Sitzung sehr wichtig?
Zwei Dinge, beziehungsweise zwei Ziele: wir sollen eine Debatte haben. Es heisst ja nicht umsonst Parlament, was wiederum von parlare, also sprechen, kommt.

Zweitens, dass, wann immer möglich, ein Geschäft zum Abschluss gebracht wird, damit es weiterbearbeitet werden kann.

Wächst man schnell in diese Dirigentenarbeit hinein?
Man bekommt mit der Zeit immer mehr Sicherheit. Mir kam sicher auch zugute, dass ich früher schon Kommissionen geleitet habe. Von 2016 bis 2019 habe ich beispielsweise in der Kommission, die das Einbürgerungsgesetz revidiert hat, gelernt, eine Sitzung zu leiten und etwas vorzutragen. Auch die Zeit als Co-Präsidentin der SP Aargau war sehr lehr- und erfahrungsreich.

Wie wurden Sie vom Parlament wahrgenommen?
Am Anfang waren sicher alle gespannt, wie streng ich bin. Mein Vorgänger Pascal Furrer war es. Ich denke, man hat auch mich als streng und als jemanden, der Strukturen hat, erlebt. Ich bekam entsprechende Rückmeldungen, die meisten positiv.

Streng war das Präsidialjahr auch für Sie…
Ja. Streng und sehr, sehr vielschichtig und abwechslungsreich. Im Kanton Aargau ist alles super gut organisiert und es hat Platz zum Gestalten. Das macht Spass.

Um auf die Dirigentin zurückzukommen: Leiten, statt selbst zu politisieren. Wie schwierig war das für Sie?
Es gab ein paar wenige Leidensmomente, in denen ich mich ganz kurz gefragt habe ‹musste das Resultat denn wirklich so sein?›

Ein Beispiel
Beim Asylthema: Warum schaffen wir es nicht, in unserem Kanton den Tagessatz für vorläufig aufgenommene Asylsuchende um zwei Franken zu erhöhen?
Es waren aber wirklich nur kurze Momente. Sekunden nach der Abstimmung habe ich es schon wieder geschafft, in die andere, übergeordnete Rolle zu schlüpfen.

Mussten Sie auch Stichentscheide fällen?
Ja, etwa bei der Namensgebung für den Gemeindeammann (neu Gemeindepräsident:in) im Rahmen der Totalrevision des Gemeindegesetzes. Das Geschäft muss jetzt noch für die 2. Beratung durch die zuständige Kommission, das Parlament und dann vor das Volk.

Um losgelöst von der Parlamentsarbeit Ihre Ratskolleginnen und -kollegen auch in einem lockeren Rahmen treffen zu können, haben Sie die Reisen durch die elf Bezirke organisiert. Was bleibt Ihnen davon?
Davon geblieben ist mir insbesondere die Begegnung mit einem Kanton, in dem in den sozialen, ökologischen und kulturellen Bereichen viel geleistet wird und viele Dienstleistungen vorhanden sind.

Beeindruckend ist zudem die Geschichte des Aargaus und wie diese in den Regionen nach wie vor spürbar ist, das fand ich sehr spannend. Die Verbundenheit und der Stolz der Grossrätinnen und Grossräte, welche in ihren Bezirken mit dabei waren, war ebenfalls gut spürbar. Ich habe zudem überall auch die Gemeinderäte der besuchten Orte eingeladen. Und sie sind auch gekommen. Ich konnte vieles miteinander vernetzen.

Sie haben ja bereits erwähnt, dass Sie sich als Sozialdemokratin zurückgenommen und als Dirigentin das gesamte Orchester über alle Politfarben hinweg dirigiert haben.
Das ist so, ich war eine Präsidentin für alle. Ich habe trotzdem versucht, ein wenig zu färben. Etwa bei den Besuchen. Dort habe ich vielleicht in einer Grussbotschaft etwas mehr betont, was mich als Elisabeth, die SP-Frau, erkennen liess. Bei meinen Bezirksbesuchen habe ich natürlich sehr bewusst auf mir persönlich sehr wichtige Institutionen und Orte gesetzt.

Was hat Ihnen in Ihrem Amtsjahr am meisten Freude bereitet?
Es ist eine Mischung aus drei Dingen: Dazu gehört die eigentliche Kernaufgabe mit der Parlamentsarbeit, dann die gegen 100 Anlässe, die ich besucht habe, sowie die persönlichen Projekte, wie die Bezirksbesuche.

Was nehmen Sie für die Zukunft mit?
Die vielen Begegnungen, die für meine persönliche und auch politische Zukunft prägend sein werden.


Grosse Unterstützung

Im Gespräch mit der NFZ verweist Elisabeth Burgener immer wieder auf Parlamentsdienst, Grossratspräsidium, Fraktionspräsidien, Hausdienst, Fahrdienst usw., also auf die verschiedenen Stellen, die ihr während des Präsidialjahres stets beratend und unterstützend zur Seite gestanden sind.

Der Dank gilt auch ihren Ratskolleginnen und -kollegen für gute, intensive und konstruktive Debatten.


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