Selbstbestimmt leben, selbstbestimmt sterben
02.09.2022 RheinfeldenAngeregter Diskussionsabend in der Stadtbibliothek
Wenn die Präsidentin der Sterbehilfeorganisation Exit und der christkatholische Pfarrer von Möhlin über selbstbestimmtes Sterben reden, dann kann es interessant und tiefgründig werden. So geschehen am Mittwoch in Rheinfelden.
Valentin Zumsteg
Das Thema «selbstbestimmt bis zum Schluss» hat einen Nerv getroffen, das zeigte sich am Mittwochabend in Rheinfelden schnell. Nicht nur kamen sehr viele Leute, sie diskutierten auch angeregt mit. Rund 120 Interessierte fanden den Weg in die Stadtbibliothek. Es mussten viele zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden, damit alle einen Sitzplatz fanden.
«Das schwierigste Thema»
Die Reihe «Fokus Fricktal», die von der Stadt Rheinfelden und der Neuen Fricktaler Zeitung organisiert wird, konnte nach der Corona-Pause erstmals wieder durchgeführt werden. «Es ist das schwierigste Thema, an das wir uns bisher gewagt haben», sagte Moderatorin Gaby Gerber, die unterhaltsam und gekonnt durch den Abend führte. Marion Schafroth, Präsidentin von Exit (Deutschschweiz), und der Möhliner Pfarrer Christian Edringer von der christkatholischen Kirchgemeinde beleuchteten die Thematik aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
«Die Themen Lebensende und Tod sind heute nicht mehr so tabu wie früher. Es kommt jetzt eine Generation ins Alter, die sich schon ein Leben lang gewohnt ist, selbstbestimmt zu entscheiden», erklärte Ärztin Schafroth in ihrem Impulsreferat. Pro Jahr scheiden in der Schweiz rund 1200 Personen mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben – Tendenz zunehmend. Es handelt sich dabei juristisch gesehen um einen assistierten Suizid. «Es ist wichtig zu wissen, dass eine Freitodbegleitung nur möglich und erlaubt ist, wenn die Person noch urteilsfähig ist», führte Schafroth aus. Konkret ausgedrückt: Der Sterbewillige muss seinen Willen klar äussern können und auch in der Lage sein, das tödliche Medikament selbst zu schlucken oder den Knopf für die Infusion selber zu drücken. Wer zum Beispiel bereits dement ist, dem steht dieser Weg nicht mehr offen – auch wenn er sich früher, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, dafür ausgesprochen hatte. Das Medikament für den Suizid wird immer von einem Arzt verschrieben, der den Sterbewunsch und die Umstände ebenfalls prüft. Für Schafroth ist klar, dass es Sterbehilfe-Organisationen in unserer Gesellschaft braucht. «Diese sind mit meinen ethischen Vorstellungen als Ärztin vereinbar.» Sie schilderte auch, was nach dem Schlucken des tödlichen Medikamentes geschieht: «Nach 10 bis 15 Minuten schläft die Person ein. 15 bis 20 Minuten später tritt der Herzstillstand ein.» In ganz wenigen Ausnahmefällen dauere der Sterbeprozess einige Stunden. «Es ist aber nie jemand wieder aufgewacht oder hat gelitten.»
Als Seelsorger bei Freitod dabei
Zwei sehr persönliche Einblicke gab Pfarrer Christian Edringer. Er erzählte von seiner Oma in Deutschland, die im hohen Alter in ein Pflegeheim kam, immer gebrechlicher wurde und sterben wollte. Sie nahm nichts mehr zu sich, lag nur noch da. Ein Arzt beabsichtigte deswegen, ihr eine Magensonde zu legen, doch dagegen wehrte sich die Familie mit dem Hinweis, dass die Oma dies nicht wolle. Darauf meinte der Arzt: Was hat eine alte Frau noch zu wollen. «Das kann es ja nicht sein», sagte Edringer. Sterbehilfe ist in Deutschland nicht erlaubt, doch er ist überzeugt, dass sich seine Oma für diesen Weg entschieden hätte.
Als Pfarrer in Möhlin bekam Edringer vor ein paar Jahren die Anfrage, ob er jemanden bei einem assistierten Suizid als Seelsorger begleiten wolle. Da wusste er zuerst nicht, was er tun sollte. «Was sagt meine Kirche?», ging es ihm durch den Kopf. Er klärte dies und es stellte sich heraus, dass die christkatholische Kirche keine allgemeinen Vorgaben bei dieser Frage macht. «Jeder Geistliche entscheidet nach eigenem Wissen und Gewissen», so Edringer. Als Christ ist er der Überzeugung, dass das Leben ein Geschenk Gottes darstellt. «Er hat uns aber auch die Freiheit gegeben, selber zu entscheiden.» Nach reiflicher Überlegung und einigen schlaflosen Nächten fasste Edringer den Entschluss, diese Person beim assistierten Freitod mit Exit als Seelsorger zu begleiten. «Ich glaube, da liegt auch Segen drauf. Was ist an einem Tod natürlich, wenn man zuvor monate- oder jahrelang an Schläuchen hängt?», so Edringer. Aufgabe der Kirche sei es, bei den Menschen zu sein – und sich nicht moralisch über sie zu erheben.
In der anschliessenden Diskussionsrunde gab es viele persönliche Anmerkungen und Fragen, die auch beim anschliessenden Apéro noch lebhaft diskutiert wurden. Der Abend zeigte: Der Tod gehört zum Leben.