Hundert Jahre am Fluss
06.02.2021 RheinfeldenFischereiverein Bezirk Rheinfelden, gegründet 1921. Eine Reportage in zwei Teilen
Der Fluss der Zeit hat die Fischerei am Rhein verändert. Aus dem täglich’ Brot ist Leidenschaft auf Lebzeit geworden: Das ist die Geschichte über einen Verein und seine Mitglieder im Wandel.
Ronny Wittenwiler
Wir schreiben den 2. Juli 1921. Zirka 35 Mann folgen dem Aufruf in den Ochsen. «Sie erwarteten billige und gute Materialeinkäufe, Preisermässigung für die Fischerkarte und Pflege der Geselligkeit.» So stehts verfasst im Protokollbuch, handschriftlich. Die Männer sind jetzt Gründerväter. Sie heben den Fischerverein Rheinfelden und Umgebung aus der Taufe. Es ist ein Samstag. Es spricht sich herum. Nach sechs Wochen zählt der Verein siebzig Mitglieder, fünf stehen auf einer Warteliste und einhundert Jahre später gehört der Fischereiverein Bezirk Rheinfelden zu den grössten des Kantons.
Gib einem Mann einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag.
Lehre einen Mann zu fischen und du ernährst ihn für sein Leben
(Konfuzius)
Der Rheinfischer als Selbsternährer? Rolf Bürgi winkt ab. Vorbei sind die Zeiten, die es hier in Rheinfelden so aber wirklich gegeben hatte, «Sport-, Halbsport- und Berufsfischer, die sich mehrheitlich aus Arbeiterkreisen rekrutieren und auf Fang angewiesen sind» – wie an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 18. Dezember 1921 notiert wird.
Rolf Bürgi ist Präsident, seit neun Jahren, Mitglied im Vorstand seit 2003 und ein Besessener seit jeher. In seinen Adern fliesst Rheinwasser. Bürgi, 65, aus Möhlin, steht wohl für jene Generation, die damals in ihrer Jugend im Anfang des fischereilichen Wandels begriffen war. Das täglich’ Brot ihrer Vorgänger wurde für sie zur Leidenschaft. Geblieben aber ist der Kern, um den es stets gegangenen war im Fischereiverein Bezirk Rheinfelden. «Wir waren vor allem eine Art Zweckverein und sind es noch immer», sagt Bürgi. Neben der Generalversammlung und einer Revierputzete im Frühling, einem Freundschaftsfischen im Sommer und der Abgabe der Fischerkarten fürs darauffolgende Jahr (im Dezember) stehen keine weiteren Mitgliederanlässe auf der Agenda.
Von diesem Pragmatismus zeugt die Schatzkammer der eigenen Vereinschronik: ein vier Quadratmeter kleiner Abstellraum beim Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt; Fotos in überschaubarer Menge, einige Bundesordner, mit Korrespondenz und Vereinsprotokollen, viel mehr nicht. Ein Verein als Mittel zum Zweck? Ausserordentlich gesellig klingt das nicht. Aber effektiv. Geld für die Pacht zusammenkratzen wollten auch die Gründerväter anno 1921. Ohne Erfolg. Im Verein hat es keine «Krösusse», eine Steigerung sei unmöglich, stellt die Versammlung vom 15. September 1921 im Restaurant Kranz lakonisch fest. Stattdessen sah man die Felle davonschwimmen, rheinabwärts über die Bezirks- und Kantonsgrenze, dorthin, wo der Krösus offenbar zuhause war. Zwei Wochen später ist es amtlich: Pächter des Rheins im unteren Fricktal wird – der Angelsportverein Basel. Da hilft nur noch ein Blick nach vorne.
Dass der Fischereiverein Bezirk Rheinfelden «seine» Pacht verliert, allein weil ein Konkurrent mehr Pulver auf der hohen Kante hat, ist nicht mehr möglich. Im Aargau werden Gewässer und ihre Abschnitte nicht mehr versteigert, sondern ausgeschrieben. Der Zuschlag an die Pächter erfolgt nach Kriterien, die das Gebot der Nachhaltigkeit bedienen. Lokale Verbundenheit zum Gewässer spielt eine wesentliche Rolle. «Wir verpf lichten uns als Pächter, genügend ausgebildete Fischeraufseher zu stellen», sagt Bürgi. «Sie kontrollieren vor Ort die Einhaltung der geltenden Fischereivorschriften.»
Adolf Rosenthaler ist vor hundert Jahren der erste Präsident. In den ersten Statuten ist die Rede von der Pf lege «kollegialischer Kameradschaft», sie werden am 13. August 1921 genehmigt und «um jedem die Mitgliedschaft zu ermöglichen, wird der Beitrag auf vier Franken angesetzt. Zahlbar in einer oder zwei Raten.» Das Ganze hat etwas von nostalgisch-verklärter Heimatromantik. Hier unten am Rheinfelder Rhein ist die Welt vor einhundert Jahren noch in Ordnung?
Vor Gericht muss Berufsfischer Wunderlin zugeben, dass er einem Sportfischer 14 Grundschnüre abgeschnitten habe, da ihn diese behinderten. (1921)
An der GV vom 11. November kann das Protokoll nicht verlesen werden. Das Bezirksgericht hat das Protokollbuch für einen Prozess konfisziert. (1922)
Finazzi soll bestraft werden, da er ohne Fischerkarte einen Galgen beim Salinenhotel aufgestellt hatte. Er wehrt sich – er habe diesen, seinen zweiten Galgen, nur provisorisch aufgestellt. Je nach Fangergebnis wolle er den schlechteren wieder abreissen. (1923)
Wunderli Wallbach beklagt sich, dass er an der GV nichts sagen darf. Schmid habe gewusst, dass er, Wunderli, gotteslästerlich über ihn geschumpfen habe. Schauli sei ein Verräter, er erzähle alles Schmid. Güntert beklagt sich, dass zu wenig gefangen wird. (1935)
«Fischen entspannt unheimlich», sagt Rolf Bürgi. Dass das eigentliche Beute machen kaum mehr an erster Stelle kommt, lässt ein oft von aussen eingebrachtes Totschlagargument bisweilen ins Leere laufen. «Niemand sollte für die Tiefkühltruhe fischen», findet Bürgi. Natürlich, als Bub damals im Schwimmbad Rheinfelden. «Was haben da alle ihre Rotteln gefangen. Sackweise.» Heute sind all die in Essig eingelegten Rotaugen kaum noch jemandes täglich’ Brot, und auch der Präsident schwärmt stattdessen von diesem Salzgeruch in der Luft, beim Meerforellenangeln in irgendeiner Brandung. «Es geht heute vielmehr um das gemeinsame Erlebnis in der Natur.» Aus den Wett-Fischen von einst sind Freundschafts-Fischen geworden, höflich applaudiert wird beim Rangverlesen selbst jenem Kameraden, der nichts auf die Waage bringt und mit 600 Gramm Salami als Trostpreis wieder geht. «Wer nichts abliefert, zahlt einen Franken!», lautet dagegen die Regel am Wett-Fischen 1936; wobei, war es überhaupt möglich, früher nichts zu fangen?
Zu den wichtigsten Eigenschaften des modernen Anglers gehört die perfekte Erklärung. Einmal ist das Wasser zu kalt, einmal der Himmel zu blau oder dann der Mond zu voll, weshalb es nicht hat sollen sein mit dem dicken Fisch. Trotzdem. Nicht weniger als 31728 gefangene Fische mit einem Gesamtgewicht von 7369 Kilogramm lassen sich 1980 notieren, gemäss Pachtbericht des damaligen Präsidenten Martin Irniger. 579 Forellen wurden in jenem Jahr gefangen, eine Zahl, schlecht genug, um etwas beunruhigt von einem Rückgang zu reden. Die Fischer heute hätten wahrscheinlich gerne die Sorgen von damals. Im Jahr 2019 waren es gerade mal 17 Forellen. Bürgi kennt die Probleme; er wird sie später noch beim Namen nennen…
100 Jahre Fischereiverein Bezirk Rheinfelden
Zweiter Teil der Reportage morgen in der Freitagsausgabe der NFZ.
Der Fischereiverein Bezirk Rheinfelden ist Pächter der Flussstrecke ab Kaiseraugst bis und mit Kraftwerk Stein-Säckingen. Der Betrag für die Pacht, den es jeweils an den Kanton zu entrichten gilt, wird aus den Mitgliederbeiträgen alimentiert. Die Mitglieder erhalten quasi im Gegenzug die Jahreskarten – die Fischerlizenzen – ausgehändigt. Der Verein konstituiert sich somit in erster Linie aus dem Motiv, seinen Mitgliedern die Rheinfischerei im Bezirk zugänglich zu machen. Der Fischerei- Verein Bezirk Rheinfelden ist nicht zu verwechseln mit der Fischer- Zunft, wie es sie entlang des Rheins auch in Kaiseraugst, Rheinfelden, Möhlin und Wallbach gibt.