Die Generation von 1941

  17.01.2021 Fricktal

Projekt «kriegsnachrichten.ch»: Ein Blick auf die Monate Januar bis März vor 80 Jahren

Not lehrt Beten. Der in Laufenburg erscheinende Frickthaler begann das Jahr am 3. Januar 1941 mit Versen:

«Herr, dir in die Hände  Sei Anfang und Ende, Sei alles gelegt!»

Bundespräsident Ernst Wetter kam ebenfalls zum Wort: «Unsere Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass unser Vaterland seine Freiheit und Unabhängigkeit bewahrt...»

Am 7. Januar 1941 erfuhren die Leser der Volksstimme von einem Nazi-Gewaltakt gegen Schweizer. Abt und Konventualen des Solothurner Klosters Mariastein wurden aus ihrem Vorarlberger Sitz, dem Gallus-Stift in Bregenz ausgewiesen und abgeschoben. «Die Ausgewiesenen konnten nur die allerpersönlichste Habe mit sich nehmen.» Die Mönche kehrten als Flüchtlinge nach ihrem alten Mariastein zurück. 1971 stellte dann das Solothurner Volk die Abtei zivilrechtlich wieder her.

Die Volksstimme blickte hinaus in die Welt. Sie meldete in der gleichen Ausgabe einen Erfolg des Empires, die Einnahme der libyschen Küstenstadt Bardia: «Die italienischen Kommandanten, rund 25 000 andere Gefangene und beträchtliche Beute sind in die Hände der Engländer gefallen.»

Mussolini und Hitler mussten sich um den bereits begonnenen Krieg kümmern, bevor sie grosse Kräfte zum Angriff auf die Schweiz bereitzustellen imstande waren. Der Duce hatte den Marsch nach Athen befohlen. Die Griechen aber rückten Richtung Tirana vor. Neue Rheinfelder Zeitung, 9. Januar 1941: «Jeden Tag kommen die Griechen Elbasan näher, dem direkt südlich Tirana gelegenen Stützpunkt.»

Der Krieg sollte auch im Fricktal nicht nach den Ideen der Diktatoren laufen: Seit dem Mai 1940 bestand die Ortswehr, über 100 000 nicht dienstpflichtige Bewaffnete, die, angelehnt an die Infrastruktur des Schweizerischen Schützenvereins, dafür sorgten, dass kein schusstoter Raum entstand. Die Volksstimme berichtete am 14. Januar 1941 über eine Nachtübung der Ortswehr Rheinfelden: «Am Schluss erfolgte die Ausserkampfsetzung eines improvisierten Tanks, der dann mit geschleuderten Benzinflaschen in Brand gesetzt wurde.»

Die Demokratie lebte und gedieh: Am 21. Januar empfahl die Rheinfelder Schulpflege Margrit Bertschi zur Volkswahl als Arbeitslehrerin an der Gemeindeschule. Um durchzuhalten, brauchte es noch mehr. In derselben Ausgabe der Volksstimme tauchte das Wort «Anbauschlacht» und der Name Friedrich Traugott Wahlen auf.

Die Leserschaft wollte über den Kriegsverlauf – zu Libyen und Albanien war Ostafrika gekommen, vom Luft- und Seekrieg zu schweigen – aktuell informiert bleiben. Dass die deutsche Luftwaffe den britischen Flugzeugträger Illustrious im Mittelmeer angegriffen hatte, wurde sogar mit Bild in der Volksstimme gemeldet. Der Träger hatte in den Hafen von Valletta einlaufen können, wurde wiederhergestellt und bis Kriegsschluss verwendet.

Die ersten Sätze des Frickthalers vom 24. Januar 1941 lauteten: «In Libyen hat Tobruk kapituliert. … In Tobruk sollen sich den Siegern ca. 20 000 Italiener nach starkem Widerstand ergeben haben.»

Der für Mussolinis Faschisten katastrophale Kriegsverlauf veranlasste Hitler im Februar 1941, Erwin Rommel an der Spitze deutscher Truppen nach Libyen zu entsenden.

Starkes Réduit
Im Herzen Europas war die Widerstandskraft durch das Réduitkonzept seit Mitte 1940 immer stärker geworden: Das Schwergewicht der Armee auf den Alpentransversalen Gotthard und Lötschberg-Simplon bedeutete, dass im Falle eines deutschen Angriffs auf die Schweiz über Monate keine deutsche Kohle und kein Stahl nach Italien fliessen konnten. Der strategische Überfall mit Saboteuren und Fallschirmtruppen war dank der f lächendeckenden Ortswehr schwieriger geworden.

Die Einnahme von Benghazi durch die Briten meldete die Neue Fricktaler Zeitung am 11. Februar 1941: «General Wavell hat seine Blitzoffensive in den Wüstengebieten nach der Einnahme von Bengasi mit unverminderter Schnelligkeit fortgesetzt.» Klug brachte dieselbe Ausgabe des Blattes ein Bild «Deutsche Soldaten in Italien», ein Hinweis auf die Notwendigkeit für die Deutschen, den schwachen Mussolini zu unterstützen. Und um der Leserschaft die Orientierung zu erleichtern war direkt nach der Bildlegende zu lesen «Deutscher Angriff auf Malta».

Den erbitterten deutsch-britischen Luftkrieg spiegelte der Frickthaler am 24. Februar mit Meldungen von britischen Bomben auf Wilhelmshaven und deutsche Bomben auf Swansea: «In der Stadt Swansea, die nun drei Nächte hintereinander angegriffen worden ist, sind Kirchen, Schulen und andere Gebäude zerstört worden.»

Der grosse Krieg war von existentieller Bedeutung für das Land. Daneben waren Alltagsprobleme zu meistern, von der durchzusetzenden Belieferung der Arbeitsschulen mit Textilien zu Lehrzwecken (Volksstimme, 18. März) bis zur Grossratswahl (22./23. März). Am 31. März konnte man im Cinéma Union den Dialektfilm «Die missbrauchten Liebesbriefe» sehen. Schön, so lang man frei blieb.

Was die Schweiz von den Diktatoren zu erwarten hatte, war klar. Die Leserschaft des Frickthalers erfuhr am 24. Februar, dass Mussolini in einer Rede «sein Vertrauen in den Endsieg der Achse betonte, die heute schon ganz Europa mit Ausnahme der Schweiz, Portugals und Griechenlands kontrolliere». Und mit Griechenland war Italien ja bereits im Krieg.

Mussolini hatte in Bezug auf Jugoslawien vorgegriffen. Die Regierung des Landes driftete wohl zunächst in Richtung Nazis und Faschisten, was die Volksstimme am 6. März 1941 so meldete: «Jugosla- wien hat grössere Truppenbestände aufgeboten…. England fordert seine Staatsangehörigen zum Verlassen Jugoslawiens auf.» Allerdings wandte sich das jugoslawische Volk in der Folge gegen die Achse. Am 27. März fiel die Regierung und Peter II bestieg als König den Thron. Nun war es an den Deutschen, abzureisen. Der Frickthaler, 31. März 1941: «Der Grossteil der Deutschen in Jugoslawien ist bereits in das Reich abgereist. Die Italiener folgen heute.»

Der geplante Überfall auf die Schweiz
Die jugoslawische Komplikation hatte Folgen für die Schweiz. Diese stand nämlich von Oktober 1940 bis Juni 1941 oben auf der Liste der Diktatoren. Am 5. März berichtete der amerikanische Generalkonsul in Zürich James B. Stewart nach Washington: «Viele Deutsche sagen, der Tag der Abrechnung werde kommen und dass selbst wenn die Schweiz jetzt nicht ins Grössere Reich genommen werde, das Land nicht entkommen werden…»* Die Pläne lagen bereit. Zwei Hindernisse erwiesen sich jedoch als unüberwindlich, die militärischen Vorbereitungen der Schweizer und die Ablenkung durch die britischen und australischen Soldaten in der libyschen Wüste, in Albanien und nun auch in Jugoslawien. Der Termin für den geplanten Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion (22. Juni) aber rückte näher und näher, und so wurde der Überfall auf Helvetien verschoben.

So kam die Schweiz am 1. August 1941 zum Feiern. Am Bundesfeiertag war in grossen roten Lettern auf der Titelseite der Volksstimme zu lesen:

650 Jahre Eidgenossenschaft
Darunter fand sich Ferdinand Bolts Gedicht:

«Nicht der Blutdurst trieb die Ahnen In den Kampf mit Mut und Kraft: Freiheitsdrang und Heimatliebe Schuf die Eidgenossenschaft!»

Sie hatte sich das Recht zu solch hochgemutem Gefühl mit treuer Arbeit und treuem Dienen und mit mancher Entbehrung verdient, im Fricktal wie in der ganzen Schweiz, die grossartige Generation von 1941.

* Jürg Stüssi-Lauterburg und Hans Luginbühl, Freier Fels in brauner Brandung, Lenzburg: Verlag Merker, 2009, Seite 60


Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit

Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal» und der «Neuen Rheinfelder Zeitung» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.

Jürg Stüssi-Lauterburg, Autor des hier publizierten Beitrages, ist Militärhistoriker. Er wohnt in Windisch. (nfz)

www.kriegsnachrichten.ch


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