Kein Atommülllager im Bözberg
13.09.2022 FricktalVorschlag der Nagra sorgt für Erleichterung in der Region
Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) schlägt die Gemeinde Stadel im Zürcher Unterland als Standort für das Endlager für radioaktive Abfälle vor. Faktisch eine Empfehlung, kommt der Vorschlag einem Vorentscheid gleich. In der Region Bözberg und im Fricktal fallen die Reaktionen unterschiedlich aus.
Simone Rufli
Zuerst waren es Gerüchte, dann wurden die Hinweise zur Tatsache, so dass das Bundesamt für Energie (BFE) bereits am Samstag nach der Information der betroffenen Landeigentümer offiziell bestätigte, dass die Nagra den Standort Nördlich Lägern (Stadel/ZH) für das Atommülllager vorschlägt. Gestern Morgen informierten das BFE und die Nagra die betroffenen Kantone und das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) in Bern über die Gründe für diese Wahl. Es sei der Standort mit den grössten räumlichen Sicherheitsreserven innerhalb der Opalinuston-Schicht und gleichzeitig der grössten Distanz zur Oberfläche, so Nagra-Chef Matthias Braun. «Es ist ein eindeutiger geologischer Entscheid.»
Für den Aargauer Regierungsrat ist der Vorschlag nachvollziehbar. Dass die Verpackungsanlage in Würenlingen gebaut werden soll, nimmt er zur Kenntnis und fordert weitere, vertiefte Untersuchungen. Nicht überrascht von der Wahl ist die Regionalkonferenz (RK) Jura Ost. «Wir können die von der Nagra angeführten Argumente nachvollziehen und halten sie aufgrund der vorliegenden Informationen für plausibel. Dass die Verpackungsanlage beim Zwischenlager (Zwilag) in Würenlingen entstehen soll, wird von der Region nicht begrüsst.» Die RK verlangt, dass die betroffenen Gemeinden eng ins Verfahren eingebunden werden.
Pro Bözberg, der Verein zur Erhaltung von Landschaft, Natur und Erholungsraum Bözberg /Oberes Fricktal, erachtet den Entscheid als «befremdlich». Dies, nachdem die Nagra den Standort im Zürcher Unterland anno 2015 noch ausrangieren wollte. Begründet wurde der Rückstellungsentscheid damals mit erschwerten Bedingungen für die Bautechnik in der bevorzugten Tiefe. Durch die neu zu errichtende nukleare Hochrisiko-Anlage in Würenlingen (Brennelemente-Verpackungsanlage) werde die Belastung der Bözberg-Region auch ohne Endlager erheblich zunehmen.
Das Bürgerforum KAIB (Kein Atommüll im Bözberg) sieht sich in seinem jahrelangen Widerstand gegen ein Atommülllager in einer der wasserreichsten Regionen der Schweiz bestätigt. «Der nun vorliegende Entscheid zeigt, dass die kritische Hinterfragung berechtigt war», so KAIB in seiner Stellungnahme. Der Vorstand betont aber auch, dass es noch mehrere offene Fragen zur Sicherheit gebe. «Schliesslich betrifft es die ganze Schweiz.»
Für Christian Fricker, Präsident des Planungsverbands Fricktal Regio und während zehn Jahren Mitglied in der RK, ist es eine gute Nachricht für den Aargau und das Fricktal: «Ich bin überzeugt, dass die Nagra und die zuständigen Stellen beim Bund ein fundiertes, in der Bevölkerung abgestütztes und weithin transparentes Verfahren gewählt haben.» Der Aargau trage mit dem AKW Leibstadt und dem Zwilag schon viele Lasten und auch das Paul-Scherrer-Institut PSI hätte bei der vorgesehenen Oberflächenanlage etliche technische Nachteile erlitten.
Wie Fricker ist auch Andreas Thommen erleichtert, dass der Bözberg mit seinen Thermal- und anderen Wasserquellen nicht ausgewählt wurde. Thommen ist Böztaler Gemeinderat und Vorstandsmitglied im Verein Jurapark, er hält Nördlich Lägern für einen mutigen Entscheid, «gerade weil die Nagra ihr Rückkommen auf diesen Standort sehr gut begründen muss.» Er habe Vertrauen in die Arbeit der Geologen. «Wichtig ist eine möglichst schnelle Umsetzung.» Das Zwilag und die Verpackungsanlage an der Erdoberfläche erachtet Thommen als gefährlicher als die Lagerung der Abfälle im Erdinnern.
Die Widerstandsgruppe LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager) akzeptiert den Entscheid der Nagra nicht. Sie fordert eine Übergangslösung und setzt auf neue Erkenntnisse künftiger Generationen.
Darum Nördlich Lägern
Die Gründe, die zur Wahl der Nagra geführt haben Sämtliche radioaktiven Abfälle der Schweiz sollen in einem Kombilager im Opalinuston von Nördlich Lägern im Zürcher Unterland eingelagert werden. Gestern Morgen wurde in Bern darüber informiert, wie es zu diesem Entscheid gekommen ist.
Simone Rufli
Der Opalinuston ist in jeder der drei potentiellen Standortregionen – Jura Ost (Bözberg), Zürich Nordost (Weinland) und Nördlich Lägern – etwas mehr als 100 Meter dick, jede der drei Regionen für den Bau des Endlagers geeignet. Warum also soll das Endlager im Zürcher Unterland im Gebiet Stadel / Haberstal gebaut werden? Matthias Braun, Geologe und CEO der Nagra, nannte an der Medienorientierung mehrere Gründe: Qualität und Stabilität des Gesteins seien dort am höchsten, es schliesse den radioaktiven Abfall am besten ein. Die Distanz über der Opalinuston-Schicht bis zur Erdoberfläche sei am mächtigsten und der Bereich, in dem das Lager gebaut werden soll, f lächenmässig am grössten und damit auch die Flexibilität beim Bau des Lagers.
Den Entscheid, die Brennelemente-Verpackungsanlage extern beim Zwischenlager (Zwilag) anzusiedeln, begründete Braun mit der gut funktionierenden bestehenden Anlage, die lediglich erweitert werden müsse, was Ressourcen schone und raumplanerisch sinnvoll sei. «Die bereits aufgezeigten Synergien und die Bündelung von Ressourcen und Kompetenzen sowie die Minimierung sicherheitsrelevanter Schritte im Prozess sind nachvollziehbare Kriterien», schreibt der Aargauer Regierungsrat in einer ebenfalls gestern morgen veröffentlichten Stellungnahme.
Der Nagra-CEO betonte: «Die Sicherheit steht stets im Zentrum des gesamten Verfahrens. Das Projekt wird sich durch den Fortschritt in Technologie und Wissenschaft weiter verbessern.» Die Nagra sei lernfähig, meinte er mit Blick auf den Standortvorschlag. Nördlich Lägern war 2015 von der Nagra unter anderem wegen der Tiefe, in der das Lager gebaut werden soll, ausrangiert und erst auf Intervention des Eidgenössischen Nu k lea r s icherheit si n spek t orat (Ensi) und der Behörden zurückgeholt worden. Felix Altorfer, Leiter Aufsichtsbereich Entsorgung beim Ensi, riet den Regionen Jura Ost und Zürich Nordost im Standby-Modus zu bleiben, bis die Sicherheitsüberprüfungen beendet sind. Die Nagra erarbeitet nun bis voraussichtlich 2024 die Rahmenbewilligungsgesuche, die beim Bund eingereicht werden. Anschliessend prüfen Behörden und Expertengremien die Gesuche, bevor der Bundesrat und das Parlament darüber entscheiden. Kommt ein Referendum zustande, hat das Schweizer Stimmvolk das letzte Wort. Bis die ersten Abfälle eingelagert werden, dauert es noch rund dreissig Jahre. Martin Neukom, grüner Politiker, Zürcher Regierungsrat und Präsident des Ausschusses der Kantone, meinte: «Egal, ob Sie Atomenergie befürworten oder ablehnen, der Abfall fällt bei uns an und wir müssen die Verantwortung für die Lagerung tragen. Man kann eigentlich gar nicht gegen die Lagerung sein.» Auf die Frage, ob die Nagra einen politischen Entscheid gefällt habe, meinte er: «Definitiv nicht. Meine Fachleute haben mir schon lange im Voraus gesagt, Nördlich Lägern sei am geeignetsten.» Der Aargauer Regierungsrat begrüsst es, dass die Argumentation, wie gefordert, ausschliesslich auf Sicherheitsaspekten basiert.