«Es funktioniert, solange keiner unter dem Hag durch frisst»

  10.04.2022 Fricktal

Der Historiker Linus Hüsser arbeitet als Kirchenpfleger schon seit 20 Jahren für die staatskirchenrechtliche Seite des dualen Systems. Diese Form der Kirchenfinanzierung ermöglicht nicht nur viele seelsorgerische und diakonische Werke, es bewahrt auch Kulturschätze vor dem Zerfall. Bei einer Führung durch «seine» Kirche erklärt Hüsser die Vorteile und Stolpersteine des dualen Systems.

Christian Breitschmid, Horizonte

Wer das Privileg hat, von Linus Hüsser persönlich durch die Kirchenanlage St. Nikolaus in Herznach geführt zu werden, vergisst diese Eindrücke nicht mehr so schnell. Der imposante Glockenturm aus dem 14. Jahrhundert zeigt heute noch die Spuren des grossen Erdbebens von Basel. «Die meisten Kirchtürme im Fricktal sind damals, 1356, einfach umgefallen», erzählt der promovierte Historiker, «aber unser Glockenturm stand auf einem so soliden Fundament, dass nur diese beiden grossen Risse entstanden sind.»

Beim anschliessenden Gang durch die spätbarocke Kirche mit ihrem prächtigen Chor sprudeln historische Fakten und Anekdoten der Geschichte im munteren Wechsel aus diesem menschlichen Füllhorn des Wissens. Nicht nur als Historiker, sondern auch als überzeugter Katholik und langjähriger Kirchenpfleger freut sich Hüsser über den Umstand, dass seine Kirchgemeinde der Aussenrenovation des barocken Schmuckstücks in Höhe von 800 000 Franken zugestimmt hat.

Was der Kirche schadet
Waren es im Mittelalter noch Erdbeben oder Kriege, die der Kirche Schaden zugefügt haben, so sind es heute Skandalnachrichten, Wohlstand, Gleichgültigkeit und Desinteresse, die dazu führen, dass die Kirche ins gesellschaftliche Abseits gerät. Momentan kann die katholische Kirche der Schweiz ihre zahlreichen Aufgaben im Dienste der Menschen noch erfüllen. Das verdankt sie im Wesentlichen der Kantonsverfassung von 1885, auf deren Basis die heute amtierenden Landeskirchen mit öffentlich-rechtlicher Selbständigkeit und eigener Rechtspersönlichkeit entstehen konnten.

Das sogenannte duale System, das aus der neuen Verfassung heraus entstand und die Kirchenstruktur in der Schweiz bis heute prägt, trennt zwischen ernennungsberechtigten kirchlichen Autoritäten (Bischöfe, Priester) und staatskirchenrechtlichen Behörden (Landeskirche, Kirchgemeinden) und fördert gleichzeitig deren Zusammenarbeit.

Problem ist der Mensch
Das kann zu Problemen führen, wie es Horizonte in seiner Ausgabe 09/10 unter dem Titel «Das duale System frisst seine Kinder – auf beiden Seiten» berichtete. Linus Hüsser kennt die staatskirchenrechtlichen Aufgaben à fond. Seit 20 Jahren ist er schon Mitglied der Kirchenpf lege Herznach-Ueken und seit 19 Jahren deren Präsident. Als Historiker hat er 2011 die Broschüre «Meilensteine» verfasst, zum 125. Geburtstag der Aargauer Landeskirche.

Er sieht die heutigen Probleme der Kirche nicht grundsätzlich im dualen System begründet, sondern in den Menschen: «Die Folgen der Wohlstandsverblödung geben mir schon zu denken. Die Kirchenaustritte sind das eine, aber schlimm ist auch, dass immer mehr Eltern ihre Kinder nicht mehr taufen lassen. Der Gipfel war für mich, als ein Paar sein Kind noch die Erstkommunion bei uns feiern liess und gleich danach aus der Kirche ausgetreten ist.»

Nicht zuviel sitzen
Wenn beide Seiten des dualen Systems ihre Kompetenzen kennten und sie gegenseitig respektierten, dann gäbe es keine Probleme, sagt Hüsser. «Es funktioniert, solange keiner unter dem Hag durch frisst. Wichtig ist die Kommunikation untereinander. Ausserdem hilft es, wenn die Mitglieder der Kirchenpflege, wie bei uns, in der Kirche selber auch aktiv sind.»

Und ganz wichtig: «Nicht zu viele Sitzungen abhalten. Das ist eine Krankheit der Staatskirche, sie sitzt zuviel herum. Der letzte Pfarrer, den wir in Herznach hatten, Niko Banovic, hat einmal gesagt, dass er die meiste Zeit als Priester in Sitzungen vertue. Ich habe dann dafür gesorgt, dass es nur noch sieben Sitzungen pro Jahr gab.» Dann steht Hüsser auf und nimmt seinen Gast mit zum Beinhaus und in den Glockenturm, wo die nächsten historischen Schätze und ihre Geschichte warten.


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