Am Anfang waren nur Äcker und ein Bahnhof

  05.03.2022 Rheinfelden

Rheinfelden (Baden) hatte bis zur Stadtgründung 1922 eine schwere Geburt

2022 feiert die Schwesterstadt Rheinfeldens 100 Jahre Stadtrecht: Die Industriestadt entstand durch den Kraftwerksbau 1898; das Bauerndorf Nollingen, dem das Land gehörte, war mit dem Wachstum völlig überfordert. 1922 wurde Rheinfelden schliesslich Stadt und Nollingen sein erster Stadtteil.

Boris Burkhardt

Heute ist Rheinfelden (Baden) mit knapp 33 000 Einwohnern nach Schaffhausen die mit Abstand grösste Stadt am Hochrhein, fast zweieinhalb Mal so gross wie ihre Schwesterstadt auf der linken Rheinseite. Doch zugleich ist sie auch mit grossem Abstand die jüngste Stadt.

Jahrhundertelang befanden sich auf der rechten Rheinseite gegenüber dem mittelalterlichen Schweizer Rheinfelden nur Äcker und Wiesen, seit 1806 durch Napoleon von der Stadt politisch getrennt: Erst 1922 wurde die Industrie- und Arbeitersiedlung nach dem Bau des Wasserkraftwerks 1898 zur Stadt erhoben; in diesem Jahr wird das Jubiläum gefeiert.

Die Anfänge
Die ersten Anfänge von Rheinfelden (Baden) gehen auf das Jahr 1856 zurück: Damals wurde die Hochrheinbahn vom Badischen Bahnhof in Basel nach Bad Säckingen gebaut; und der Bahnhof unweit des badischen Zollhauses an der Rheinbrücke wurde «Bey Rheinfelden» getauft. Bezeichnend ist, dass das Bahnhofsgebäude noch heute auf der Seite Richtung Schweiz und nicht zur Innenstadt steht.

Von Anfang an war die Entstehung der Stadt mit der Industrie und dem technischen Fortschritt verbunden und wäre ohne beide nicht möglich gewesen.

Gebaut wurde das Alte Wasserkraftwerk Rheinfelden zwischen 1895 und 1899 nach Plänen des Schweizer Bauingenieurs Conradin Zschokke (1842–1918), nachdem Georg von Struve, ein Neffe des badischen Revolutionärs Gustav Struve, bereits 1872 erste Pläne gefertigt hatte, aber 1876 verstorben war. AEG-Gründer Emil Rathenau und sein Sohn, der in bitterer Ironie im Gründungsjahr der Stadt Rheinfelden 1922 ermordete Aussenminister der Weimarer Republik, Walter Rathenau, ermöglichten massgeblich die Finanzierung des Kraftwerkbaus.

Es war als erstes Niederdruck-Kraftwerk der Welt nicht nur eine technische Pionierleistung, sondern durch die gemeinsame Nutzung des erzeugten Stroms durch das Grossherzogtum Baden und den Kanton Aargau auch eine der ersten Beispiele gelungener deutschschweizerischer Zusammenarbeit, die heute für beide Rheinfelden auf kultureller und politischer Basis noch so wichtig ist. Erhalten bleibt das Alte Wasserkraftwerk auch nach seinem Abriss 2011 als Illustration in der deutschen Version des Brettspiels «Monopoly».

Überfordert
Schnell siedelten sich beim Kraftwerk energieintensive Industriebetriebe an, als erster auf der badischen Seite die Aluminium Rheinfelden 1898. Die Arbeiter dieser Betriebe, die von überallher zuzogen, wohnten in den ersten Siedlungen Badisch-Rheinfeldens. Die Entstehung der ersten Bebauungen war jedoch alles andere als vorausschauend geplant: Als grosse Hypothek sollte sich sehr bald die politische Konstellation erweisen. Das Gebiet, auf dem das neue Rheinfelden entstand, teilten sich nämlich die beiden damals selbständigen Gemeinden und heutigen Stadtteile Nollingen und Karsau. Beide Dörfer lagen weit entfernt von der Industriesiedlung und konnten auf deren rasante Entwicklung nur noch reagieren.

Besonders für Nollingen wurde die Situation untragbar: Auf seinem Bann befanden sich fast ausschliesslich die Siedlungen der Arbeiter, für deren soziale Versorgung und Infrastruktur das finanziell und politisch völlig überforderte Bauerndorf aufkommen musste, während auf der Karsauer Seite fast alle Industrie beheimatet war und enorme Steuern zahlte. 1895 hatten Nollingen und Rheinfelden 1234 Einwohner, fünf Jahre später mit 2772 bereits doppelt so viele.

Karsau willigte 1901 in den Verkauf seines Teils von Rheinfelden an die Gemeinde Nollingen ein. Der Kauf rettete die finanzielle Situation Nollingens, beendete aber binnen kurzem seine politische Existenz. 1910 war die Doppelgemeinde Rheinfelden-Nollingen bereits auf 3869 Einwohner angewachsen, zum Ende des Ersten Weltkriegs im Oktober 1919 auf 4113. In Nollingen lebten kaum 1000 Menschen. Nach langem politischem Widerstand mussten die Nollinger deshalb auf Verlangen des Staates ihre Rolle als Hauptort der Gemeinde aufgeben: Die politischen Behörden wurden in Rheinfelden angesiedelt; 1922 erfolgte dann schliesslich die Stadtgründung mit Ortsteil Nollingen, der sich auch das Nachbardörfchen Warmbach anschloss. 1925 lebten 5219 Menschen in der neuen Stadt.

Rheindfelden wuchs langsam, aber stetig. Zu den rund 16 000 Einwohnern Anfang der Siebziger kamen durch die Eingemeindungen im Rahmen der baden-württembergischen Gebietsreform zwischen 1972 und 1975 die Einwohner sieben weiterer umliegender Dinkelbergdörfer – als letzte und als einzige unfreiwillig die Karsauer. Mit den Eingemeindungen wuchs Rheinfelden sprunghaft auf knapp 28 000 Einwohner an und wurde Grosse Kreisstadt, was mehr Rechte und Pflichten bedeutete.

Die anfangs ungeplante und ungebremste Entwicklung ihrer Stadt beantworteten die Rheinfelder früh mit einem überdurchschnittlichen sozialen bürgerlichen Engagement, das mangelnde kommunale Fürsorge ersetzte. Davon profitieren die Rheinfelder bis heute. Und mit dem neuen Jahrtausend schüttelte Rheinfelden auch sein negatives Image als Industriestadt ab und setzt alleine oder zusammen mit der Schweizer Schwesterstadt neue kulturelle Höhepunkte, um nur das jährliche Brückenfest mit internationalen Strassenkünstlern zu nennen.

 


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