Fricktaler Wirtschaftsgeschichte

  06.03.2022 Fricktal

Urs Berger aus Eiken hat in aufwändiger Arbeit zusammengetragen, welche Gasthäuser es in seinem Geburtsjahr 1966 in den Fricktaler Gemeinden gegeben hat. Sein Fazit: «Heute ist mindestens die Hälfte der damals vorhandenen 156 Wirtshäuser geschlossen.» (sh)


Restaurants sind auch ein Stück Dorfkultur

Viele Gastrobetriebe sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden

156 Wirtshäuser gab es 1966 im Fricktal. Nach zeitaufwändiger Recherchearbeit hat Urs Berger sie mit Foto und Daten versehen zu einem spannenden Zeitdokument zusammengetragen. 1966 deshalb, weil es auch das Geburtsjahr des Eikers ist.

Susanne Hörth

Die Neue Fricktaler Zeitung berichtet in loser Folge über die Fricktaler Beizengeschichte. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wird aufgezeigt, welche Restaurants es einst in den Dörfern gab, welche verschwunden, welche neu dazugekommen sind. Auf diese Artikel reagiert hat auch Urs Berger aus Eiken. Er befasst sich ebenfalls mit dem Thema. «Ich bin weder Gastronomiefachmann noch Gasthaushistoriker. Bei mir stehen lediglich

die Veränderungen der regionalen traditionellen Wirtshäuser im Zentrum», erklärt er gegenüber der NFZ. Seinen 50. Geburtstag vor ein paar Jahren hat der Eiker zum Anlass genommen, sich damit auseinanderzusetzen, welche Gastrobetriebe es in seinem Geburtsjahr 1966 in den beiden Bezirken Rheinfelden und Laufenburg gegeben hat. Der eigentliche Input für diese umfassende Arbeit gab ihm das in seinem Besitz befindliche «Adressbuch der Schweiz 1966». Darin sind auch die Restaurants und ihre Wirte aufgeführt.

Zeitaufwändige Recherche
«Da dieses Buch gleich alt ist wie ich und es eine gute Basis ist, entschloss ich mich für die Zusammenstellung der Fricktaler Gasthäuser vor 50 Jahren.» Der Eiker begann, nach alten Fotos der Restaurants zu suchen. Zu jedem fügte er Namen, Daten und Biermarken hinzu. Es war aufwändiger, als er anfänglich gedacht hatte, aber auch sehr interessant. «Einige Restaurants kannte ich gar nicht, da diese längst geschlossen waren.»

Er konnte Fotos von fast allen Restaurants auftreiben, war und ist aber auch selbst mit der Kamera im Fricktal unterwegs. Berger fand ebenfalls heraus, mit welchen Bierlieferanten die Wirtshäuser Verträge abgeschlossen hatten. Dazu hält er fest: «Die ländlichen Restaurants mit den Bierlieferverträgen waren früher über Jahrzehnte eine Konstante, welche wie in Stein gemeisselt war. Die Gründe dafür waren gesetzlicher Natur. Etwa die Anzahl Wirtepatente im Verhältnis zur Einwohnerzahl, Bierkartell und so weiter.»

Weiter erforschte der Eiker die relevanten Daten, wie etwa jene der Schliessungen. Aus all den vielen Informationen, nach Gemeinden geordnet, entstand eine Broschüre. Wobei Broschüre es nicht ganz trifft, vielmehr hat Urs Berger ein eindrückliches Zeitdokument geschaffen. Es geht ihm nicht darum, Vergangenes nicht loslassen zu wollen. Ihn interessieren die Geschichten des 20. Jahrhunderts generell, betont er. «Das Rad der Zeit kann man nicht zurückdrehen. Veränderungen gehören zu unserem Leben, diese machen auch bei der Gastronomie nicht Halt.»

Die Mobilität veränderte vieles
Zu den Veränderungen führt er unter anderem die frühere Bedeutung der Wirtshäuser an. So hätte es vor gar nicht so langer Zeit keinen Vereinsabend oder keine Feuerwehrprobe ohne abschliessenden Wirtshausbesuch gegeben. «In den Beizen wurde gejasst, politisiert, gegessen, getrunken, geraucht und gejammert.»

In den 1980er-Jahren seien die jungen Fricktaler dank des Umweltabos mobiler geworden. «Die Dorfbeiz wurde insbesondere an den Wochenenden gemieden. Man reiste mit dem Zug nach Rheinfelden oder gar nach Basel. Es kostete quasi nichts. Das war damals eine neue Mobilitätserfahrung, welche ich selbst erleben durfte.»

Zu Schliessungen von Fricktaler Beizen hätten aber ebenfalls neu hinzugekommene gesetzliche Grundlagen geführt. Das Beizensterben begünstigt hat laut Urs Berger noch etwas anderes. «Die Preisdifferenz zwischen Heimkonsum und Gastronomie hat sich in den letzten 50 Jahren stark geändert.» Er zeigt das Beispiel Bier auf, dessen Preis gemäss Kartell für Detailhandel und Gastronomie vorgegeben waren.


5 dl Bier offen kosteten 1971 im Restaurant 95 Rappen (ohne Trinkgeld)
6 dl Bier in der Flasche kosteten 1971 im Detailhandel 75 Rappen


Heute kaufe man im Laden eine 0,5 Liter-Bierdose teils für 55 Rappen. Im Restaurant zahle man für die gleiche Menge desselben Inhalts – in der Flasche anstelle der Dose – das Zehnfache. Daher überlege es sich manch ein Handwerker um die 30, der sich im Gegensatz zu 1971 kein Eigenheim mehr leisten kann, nun zweimal, ob er das Feierabendbier zu Hause oder in der Beiz trinken wolle.

Urs Berger bedauert die Schliessung der Traditionsbeizen. Von den 156 Restaurants, die es 1966 gegeben hatte, sind mittlerweile über die Hälfte geschlossen.

Damit gehe auch ein Stück Dorfkultur verloren. Heute im digitalen Zeitalter, müsse man mit Handy und Internet nicht mehr zum Stammtisch gehen, um zu erfahren, was alles passiert sei.

Urs Berger ist es wichtig, dass der Begriff Fricktal für die Anzahl Wirtshäuser richtig definiert wird:
• politisches Fricktal 1966: Bezirke Rheinfelden und Laufenburg
• politisches Fricktal 2010: plus Gemeinde Hotwil, da Bezirkswechsel
• politisches Fricktal 2022: zusätzlich Effingen,Elfingen und Bözen, da Bezirkswechsel
• geografisches Fricktal: zusätzlich Densbüren, Asp und Kienberg

Hotwil führte er 2016 auf, obwohl es 1966 noch nicht zum politischen Fricktal gehörte.

 


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