Aus dem Bett «gesprengt»
17.07.2021 FricktalDie Sprengung des Informationspavillons für das geplante Atomkraftwerk in Kaiseraugst bewegte 1979 die ganze Schweiz. Wer hinter dem Anschlag steckte, war jahrzehntelang nicht bekannt. Ein spätes Bekenntnis des Tessiners Giorgio Bellini sorgte kürzlich für Aufsehen (die NFZ berichtete). Nahe dran am Geschehen jener Zeit und einer der aktivsten Demonstranten und Besetzer des AKW-Geländes war auch Peter Scholer, ehemals Vizeammann von Rheinfelden. Als Baumeister und ausgebildeter Sprengmeister galt er als Verdächtiger. «Ich wurde um 3 Uhr in der Nacht Zuhause von der Polizei geweckt!» (WH)
«Wir hatten keine Freude an der Sprengung»
Auf den Spuren des Rätsels von Kaiseraugst – was denkt ein Insider darüber (Teil 2)
Die Sprengung des Info-Pavillons auf dem Areal des geplanten Kernkraftwerks in Kaiseraugst im Jahre 1979 hatte grosse Wellen geworfen. Ein kürzlich erfolgtes Bekenntnis von Giorgio Bellini brachte etwas Licht ins Dunkel des nie aufgelösten Falles, wie die NFZ kürzlich berichtete. Wie beurteilt einer der engagiertesten AKW-Gegner jener Zeit, der Rheinfelder Peter Scholer, die damalige Situation?
Walter Herzog
Wenn etwas in seinem Leben in jungen Jahren prägend war und ihn auch die folgenden Jahrzehnte stark beeinflusste, war dies für Peter Scholer ganz klar sein überzeugter Einsatz gegen das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst. Den 1. April 1975, den Tag der Besetzung des AKW-Geländes, wird er nie mehr vergessen. Insgesamt 11 Wochen dauerte damals die gesamte Besetzungszeit. Zelte und Hütten wurden aufgebaut, lokale Handwerker brachten Material vorbei und im «Grossen Rundhaus» fanden die Vollversammlungen statt. Die Polizei und weitere Sicherheitsbeauftragte beobachteten das Geschehen kritisch und notierten alles, was sie dort sahen. Während dieser Zeit lebten einige Hundert AKW-Gegner permanent auf dem besetzten Gelände, während den Protestveranstaltungen kamen dort sogar über 10 000 Demonstranten zusammen.
Peter Scholer, später Vize-Ammann der Stadt Rheinfelden, war immer gegen Gewalt. Sein Credo und auch jenes seiner Mitstreiter war ein friedlicher Protest. Mit dieser Absicht hatten sie auch die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst GAK gegründet. Damit grenzten sie sich klar von radikaleren Gruppierungen ab, welche eher aus Zürich als aus der Nordwestschweiz kamen und viel härter vorgehen wollten. Extreme Vorbilder sahen diese im Ausland, wie beispielsweise der RAF in Deutschland. Auch Aktionen wie Besetzungen von Gelände waren in der Schweiz neu. Erst Unruhen und Besetzungen in anderen Ländern wie beispielsweise im benachbarten deutschen Grenzach/ Wyhlen motivierten sie dazu.
Sprengung: «Die Polizei weckte mich!»
Doch dann, in der Nacht auf Montag, am 19. Februar 1979 um 02.12 Uhr in der Früh, ereignete sich auf dem Gelände des geplanten AKW Kaiseraugst eine gewaltige Explosion! Im Nachgang zur gescheiterten Atominitiative, wo Peter Scholer bei den Initianten vorne dabei war, wurde das Informationszentrum in die Luft gesprengt!
Wo war Peter Scholer zu diesem Zeitpunkt? «Ich schlief Zuhause in Rheinfelden im Bett» sagt er im Gespräch mit der NFZ. «Ich bekam die Explosion direkt gar nicht mit. Erst als um 03.00 Uhr die Polizei an der Türe stand, mich weckte und zur Untersuchung und Befragung mit auf den Posten nahm, erfuhr ich, was tatsächlich passiert war.» Klar: Als an vorderster Front Aktiver der Widerstandsbewegung, als Baumeister und dadurch auch für Sprengungen Ausgebildeter, war er sofort ins Fadenkreuz der Ermittlungen der Polizei geraten. Sie nahmen ihn in der Nacht auch mit zum Ort des Geschehens, zum gesprengten Info-Pavillon, wohl in der Hoffnung, er würde sich auf irgendeine Weise als Täter zu erkennen geben. Doch auch für ihn war diese Sprengaktion eine grosse Überraschung und überhaupt nicht erwartet worden. Im Gegenteil: «Wir wollten immer gewaltfrei sein! Wir hatten überhaupt keine Freude an dieser Sprengung,» erklärte er der NFZ. So eine Aktion war schlecht für die gesamte Bewegung.
Zuerst dachte Scholer sogar daran, ob diese Sprengaktion nicht von den Initianten des AKW Kaiseraugst selber inszeniert worden sei, um zusätzlich Öl ins Feuer zu giessen.
Er selber und mit ihm die GAK wollten gewaltfrei bleiben und Scholer pflegte immer den Kontakt zu den Behörden: «Ich hatte sogar die direkte Telefonnummer zum verantwortlichen Bundesrat Willi Ritschard und er hatte meine Nummer. Er wollte aus erster Hand über den Widerstand im Bild sein.» Dies war auch wichtig, wurde doch während der Besetzung 1975 von verschiedener Seite sogar ein Armee-Einsatz ins Auge gefasst!
Der «Geist von Kaiseraugst»
Inzwischen sind 46 Jahre vergangen, das AKW Kaiseraugst wurde, dank dem starken Widerstand in der Region, nie gebaut. Die noch bestehenden Kernkraftwerke in der Schweiz nähern sich ihrem Lebensende. Die Kämpfer von damals sind ebenfalls älter geworden. Ihr Einsatz und ihr Widerstand gegen das AKW Kaiseraugst wollen sie jedoch nicht in Vergessenheit geraten lassen: «Wir wollen im Jahre 2025, zum 50-Jahr-Jubiläum des Widerstands diese «Anti-AKW-Kaiseraugst-Aktion» in Erinnerung rufen. Auf dem Gelände in Kaiseraugst wollen wir ein Denkmal aufstellen.» Da die Stadt Basel für die Widerstandsbewegung ebenfalls eine wichtige Rolle spielte, soll dort zudem eine grosse Ausstellung stattfinden. Im September 2021 wird daher ein Organisationskomitee «50 Jahre Besetzung – 1. April 2025» mit der Arbeit beginnen. Vorne dabei, wie könnte es anders sein, Peter Scholer. Der Einsatz gegen das AKW Kaiseraugst und für seine Prinzipien haben das Leben von Peter Scholer und das Leben seiner ganzen Familie geprägt.
Für ihn lebt der «Geist von Kaiseraugst» auch heute weiter. Der Widerstand gegen AKWs sei der Anfang gewesen, heute gehe es mit der Energiewende und der Klimadebatte weiter.