Abstand halten und zusammenrücken

  17.03.2020 Fricktal

Leitartikel zur Corona-Krise

Es sind besondere Zeiten, die wir derzeit erleben. In ein paar Jahren werden wir uns wahrscheinlich an diese Tage und Wochen erinnern, so wie wir uns heute an das erinnern, was wir getan haben, als die Flugzeuge 2001 in die Twin Towers in New York flogen. Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat bekannt gegeben, dass wegen der Corona-Krise sämtliche Schulen in der Schweiz bis mindestens am 4. April geschlossen werden. Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen sind untersagt. In Restaurants, Bars und Clubs dürfen sich nicht mehr als 50 Leute aufhalten. Fast alle Sportund Kulturveranstaltungen sind abgesagt, kaum ein Verein traut sich mehr, eine Generalversammlung durchzuführen. Mit anderen Worten: Das öffentliche Leben ist mehr oder weniger tot. Und laufend werden diese Massnahmen ausgeweitet.

Am Montag hat Deutschland die Grenzkontrollen zur Schweiz und weiteren Nachbarländern verschärft. Reingelassen werden eigentlich nur noch Deutsche und Leute, die in Deutschland arbeiten oder dort ihren Wohnsitz haben. Der Pendler- und Warenverkehr soll davon nicht betroffen sein (siehe Text rechts).

Die Leute reagieren zwar ruhig, aber trotzdem schockiert. Jeder überlegt sich, was die Corona-Krise für ihn und seine Familie bedeutet: Muss ich mir Angst um die Gesundheit meiner Liebsten machen? Wie organisieren wir uns, wenn die Kinder zu Hause bleiben müssen? Was ist zu tun, sollte ich mich krank fühlen? Aber auch: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wird die Krise haben? Wie betrifft es das eigene Geschäft, die eigene Stelle?

Vor allem die Kinder sind aufgeregt und verunsichert. Viele freuen sich zwar über die schulfreie Zeit, doch sie haben auch Angst. Werden sie krank? Dürfen sie noch nach draussen? Sollen sie sich mit Freunden treffen?

Das Spezielle bei dieser ganzen Sache: Im Alltagsleben merken die meisten Gesunden nichts von diesem Coronavirus. Wenn ich nicht aus den Medien darüber informiert worden wäre, dann hätte ich gar nicht mitbekommen, dass eine mögliche Gefahr besteht. Wir alle müssen darauf vertrauen, dass die Behörden die Bedrohung richtig einschätzen und die angemessenen Schritte veranlassen. Selbst von Ärzten hört man unterschiedliche Meinungen, was sinnvoll ist.

Als ich am Sonntag durch das Rheinfelder Städtchen spaziere, sieht es aus wie immer an einem sonnigen Vorfrühlingstag. Die Leute sitzen draussen, geniessen einen Kaffee oder ein Bier auf einer Terrasse. Es wird gelacht und geschwatzt. Was hingegen auffällt: Jeder ist mitteilsam, will über das Virus und die Massnahmen des Bundes reden. Sieht man einen Bekannten in der Ferne, kommt er auf einen zu und beginnt ein Gespräch. Dabei gibt es nur ein Thema: Das Coronavirus und die Einschränkungen. Verblüffend dabei, wie viele Leute ernsthaft glauben, dass dieses Virus nicht aus dem Nichts kommt, sondern eventuell bewusst freigesetzt wurde, um den Interessen von irgendwelchen finsteren Mächten zu dienen. Es gibt Zweifel an unserem Wirtschaftssystem und der Globalisierung. Hat die moderne Gesellschaft, die westliche Welt diese Krankheit verdient? Solches ist zu hören.

Wie stark viele tatsächlich beunruhigt sind, sieht man derzeit in den Lebensmittelläden. Hier zeigen sich teilweise wieder fast leere Regale, wie schon vor zwei Wochen, als der Bundesrat die ersten Einschränkungen bekannt gegeben hatte. Manche Leute kaufen im grossen Stil Mineralwasser ein, so als wäre die Wasserversorgung gefährdet. Lang haltbare Lebensmittel sind stark gefragt. Zwar rechnet wohl niemand damit, dass nächstens die Lebensmittelläden geschlossen werden. Doch bis vor ein paar Wochen hat sich auch niemand vorstellen können, dass die Schulen für mehrere Wochen ausfallen. Was wird der nächste Schritt sein?

Besondere Zeiten bringen immer die guten und die schlechten Seiten im Menschen zum Vorschein. Während auf der einen Seite gehamstert wird, führt die Krise die Leute auch zusammen. Man erkundigt sich nach dem Wohlergehen seiner Mitmenschen, nimmt sich etwas mehr Zeit für ein Gespräch und macht Einkäufe für die, welche nicht selber aus dem Haus gehen können. Wir sind zwar aufgerufen, Abstand zu halten, doch das soll uns nicht davon abhalten, als Gesellschaft zusammenzurücken.

 

Infobox:

Die Grenze zu Deutschland ist weitgehend dicht

Das hat es wohl seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben: Die Grenzen nach Deutschland sind für Schweizer weitgehend zu. Auch an jedem Grenzübergang im Fricktal stehen seit gestern 8 Uhr Polizeibeamte. Wer darf noch rein? «Deutsche und Leute, die in Deutschland arbeiten oder ihren Wohnsitz haben. Das gilt bis auf Weiteres», erklärt ein deutscher Polizist bei einem Augenschein der NFZ. Insgesamt vier Bundespolizisten stehen allein beim alten Zoll in Rheinfelden. Sie machen alle, die nach Deutschland wollen, auf die neue Regelung aufmerksam und weisen viele Leute ab. Freundlich, aber bestimmt. Ein Ungar aus Luzern, der in Badisch Rheinfelden ein Postpaket abholen will, wird ebenso in die Schweiz zurückgeschickt wie der Rheinfelder Heinz Joho, der in einer deutschen Gärtnerei Setzlinge kaufen wollte. Der Stadtbus fährt zwar über die Grenze, ebenso die Taxis. Aber auch hier werden die Leute kontrolliert und gegebenenfalls zurückgewiesen. Viele Leute kommen an die Grenze, um zu sehen, ob die angekündigten Regelungen tatsächlich umgesetzt werden.

«Die Lage ist ausserordentlich ernst»
Bei der Stadt Rheinfelden/Schweiz zeigt man Verständnis für die einschneidenden Massnahmen: «Die Grenzschliessung ist bedauerlich, aber der aktuellen Situation geschuldet und insofern verständlich. Dies sind Einschränkungen, mit denen wir alle nun umzugehen lernen müssen. Die vielen Arbeitnehmenden, die täglich aus dem süddeutschen Raum in die Schweiz zur Arbeit pendeln, dürfen die Grenzen weiterhin passieren», erklärt Stadtammann Franco Mazzi am Montag auf Anfrage. Er betont: «Die Lage ist ausserordentlich ernst und so in der jüngeren Geschichte noch nie dagewesen. Wichtig ist, dass sich die Bevölkerung an die Anordnungen und Empfehlungen der Behörden hält.» (vzu)


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