«Ohne Insekten würde die Natur in ihrem eigenen ‹Abfall› ersticken»

  17.11.2019 Fricktal

Die Insekten brauchen unsere Hilfe

Es ist nicht nur in der Schweiz, sondern auf der ganzen Welt ein Thema. Es gibt immer weniger Insekten. So weitergehen kann es nicht. Mit dem Verlust der Insekten gehen auch wichtige Lebensgrundlagen für Tiere und Menschen verloren.

Miriam Häusler

«Seit Jahrzehnten weiss man, dass es vielen Insekten nicht gut geht», sagt René Amstutz, Projektleiter Artenförderung von Pro Natura. Die kleinen Tierchen mögen manchmal störend sein, aber für unser Ökosystem sind sie von enormer Wichtigkeit. Diverse Tiere wie Frösche, Vögel oder Fische ernähren sich von Insekten. Ausserdem sind unsere Pflanzen auf die Bestäubung angewiesen, um sich fortzupflanzen. Indirekt ist also auch unsere Nahrungsmittelproduktion und somit unsere Lebensgrundlage gefährdet, wenn uns die Insekten wegsterben. Weiter brauchen wir die Insekten als «Recycler». Sie wandeln organisches Material in wiederverwertbare Rohstoffe um. «Ohne Insekten würde die Natur in ihrem eigenen ‹Abfall› ersticken», so René Amstutz.

Erschreckende Zahlen
Unter dem Begriff Insektensterben versteht man nicht nur den Rückgang, sondern auch den Artenverlust der Insekten. Laut einer deutschen Studie ist in den untersuchten Gebieten in Deutschland die Fluginsektenbiomasse in den letzten 27 Jahren um mehr als 75 Prozent zurückgegangen. «Man muss davon ausgehen, dass diese Zahlen auch auf die Schweiz zu übertragen sind», so Amstutz. In der Schweiz sollen ausserdem, laut dem Tagfalterspezialisten Paul Imbeck, nur noch 1 Prozent aller Schmetterlinge fliegen, die vor 150 Jahren hätten gezählt werden können. «Dieser drastische Rückgang der Insekten hat verschiedene Ursachen», erklärt René Amstutz. «Je nach Lebensraum und Insektenart treffen sie unterschiedlich stark zu. Vier davon kann man als Hauptursachen bezeichnen.»

Zerstörung der Lebensräume
Die massive Bautätigkeit und die Entwässerungen diverser Feuchtgebiete sorgen dafür, dass die Lebensräume der Insekten immer mehr verschwinden. Ebenfalls zu beachten ist, dass viele Insekten nicht sehr mobil sind. Für uns noch so unscheinbare Hindernisse, wie zum Beispiel ein Randstein, können sie nicht überwinden. Alles was gebaut wird, wirkt für die Insekten als Hindernis.

Intensivierung der Landwirtschaft
Die intensive Nutzung der Landflächen und das starke Verbreiten von Dünger und Pestiziden ist ein weiterer Punkt, der für die Insekten und ihre Lebensräume schädlich ist. Die Pestizide entfalten ihre Wirkung auch an «Nichtziel-Organismen», wie zum Beispiel an Wild- und Honigbienen. Die Bienen sterben somit an Pestiziden, die eigentlich nicht für sie gedacht waren. Ausserdem bleiben viele dieser Gifte noch jahrelang im Boden, und es entstehen noch schädlichere Abbauprodukte.

Durch die Verwendung von Herbiziden gehen zudem auch noch Ackerwildkräuter verloren, wodurch wieder Nistplätze und Nahrungsquellen für die Insekten fehlen. Auch die künstliche Düngung schadet. Wiesen mit einer grossen Vielfalt an verschiedenen Blütenpflanzen entwickeln sich zu monotonen Lebensräumen, die für die Insekten unbrauchbar sind.

Klimawandel
Auch der Klimawandel trägt zum Insektensterben bei. Verändern sich die Temperaturen, wechseln gewisse Insektenarten ihre Heimat, da es in ihrer bisherigen zu kalt oder zu heiss ist. So gelangen sie an Orte, wo die Temperatur wieder stimmt und sie den Einheimischen Insekten schaden. So hat sich zum Beispiel auch die Asiatische Tigermücke in der Schweiz ausbreiten können. Die Folge davon ist, dass unsere einheimischen Arten verdrängt werden.

Lichtverschmutzung
Einen weiteren Beitrag zum Insektensterben leistet die Lichtverschmutzung. Sie gilt als eine Form der Umweltverschmutzung. Man versteht darunter die künstliche Aufhellung des Nachthimmels. «Zuerst wurden die Astronomen auf die Lichtverschmutzung aufmerksam», erklärt Rolf Schatz von der Gewerbestelle Dark Sky. «Sie konnten am Himmel immer weniger Sterne sehen, da zu viel unnötiges Licht in den Himmel strahlt und ihn erhellt.» Das künstliche Licht, welches die ganze Nacht brennt, lockt die Insekten an. «Früher hatten wir Natriumdampf-Lampen. Ihr Farbton war Orange und zog wenige Insekten an», sagt Rolf Schatz. «Heute haben wir LED Lampen. Sie bringen mehr Licht und verbrauchen weniger Energie. Allerdings sind sie dafür umso gefährlicher für die Insekten. Mit ihrer kaltweissen Farbtemperatur ist die LED dem Sonnenlicht am ähnlichsten und lockt die Insekten an. Anstatt sich zu paaren, Eier zu legen oder nach Nahrung zu suchen, verschwenden sie ihre Energie an den künstlichen Lichtquellen.

Sind die Insekten erst einmal bei den Lichtern angelangt, trauen sie sich nicht mehr zurück ins Dunkle, da sie Angst vor den Fressfeinden haben. Also schwirren sie so lange um die Lampen herum, bis sie vor Erschöpfung sterben. «Wir befinden uns in einem Teufelskreis», meint Rolf Schatz: «Brauchen wir weniger Energie, dann sterben dafür mehr Insekten und wir haben die Lichtverschmutzung. Und umgekehrt ist es auch nicht besser.» Schätzungen von toten Insekten in der Schweiz an Strassenlampen betragen etwa zehn Millionen pro Nacht. In einem Jahr wären das dann zwischen einer und fünf Milliarden tote Insekten nur allein schon aufgrund von Strassenlampen.

Engagement jedes Einzelnen
Was kann man dagegen tun?
«Jeder einzelne von uns kann mithelfen», meint René Amstutz von Pro Natura. Durch den Kauf von Bio-Produkten können wir massgeblich zum Schutz der Insekten beitragen. Ausserdem kann jeder, der einen eigenen Garten hat, darauf achten, dass er keine Pestizide verwendet und mehrheitlich einheimische Pflanzen und Blumen anpflanzt. Diese bieten den Insekten, im Gegensatz zu vielen exotischen Pflanzen, Nahrung und Lebensraum. «Wir als Privatpersonen müssen Engagement zeigen», so René Amstutz.

Die Schweiz sollte dafür sorgen, dass keine oder zumindest weniger Pestizide in der Landwirtschaft verwendet werden. Weiter sollten die Gewässer wieder zu attraktiven Lebensräumen für die Insekten gemacht werden und totes Holz sollte im Wald liegengelassen werden, da es Lebensräume für diverse Käferarten darstellt. Zudem braucht es Schutzgebiete und neue ökologische Infrastrukturen. «Es gibt bereits Gebiete in China, wo es keine Bestäuber mehr hat», weiss René Amstutz. «Wenn es nicht bald eine Wende gibt, dann wird dies auch in anderen Regionen auf der Welt, einschliesslich der Schweiz, zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen führen.»


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