«Wir erfüllen einen wichtigen Auftrag»

  06.04.2018 Fricktal

Grosse Nachfrage nach geschützten Arbeitsplätzen

Die Stiftung MBF – ein soziales Unternehmen für Menschen mit Behinderung in Fricktal – hat sich von einer einst kleinen Behinderten-Werkstätte zu einer stetig wachsenden Institution entwickelt.
«Unser Ziel ist es nicht, einfach grösser zu werden», sagt Geschäftsleiter Jean-Paul Schnegg.

Susanne Hörth

NFZ: Herr Schnegg, was fällt Ihnen spontan ein, wenn von Veränderungen die Rede ist?
Jean-Paul Schnegg:
(lacht) Das gehört zu meinem Leben. Seit ich hier bei der Stiftung MBF bin, ja eigentlich auch schon früher, bin ich es gewohnt, mit Veränderungen zu leben.

Menschen mit Behinderung gehen oft anders mit Veränderungen um. Durch die Neubauten in Stein stehen Umzüge an, der gewohnte Alltag wird durch Unbekanntes durchbrochen. Wie gehen Sie damit um?
Für mich gibt es zwei Ebenen. Zum einen die Stiftung MBF als Organisation. Zum anderen die Menschen mit Behinderung. Für sie schauen wir, dass möglichst alles ruhig abläuft und so wenig wie möglich verändert wird. Die Wohngruppen des Wohnheims Rüchlig werden praktisch eins zu eins in den Neubau umziehen können.

Was bedeutet die Veränderung für die Organisation?
Ein Veränderungsprozess löst auch immer Angst aus.

Angst vor Job-Verlust?
Nein, darum geht es nicht. Ich meine mit der Angst jene der Veränderung. Die Menschen haben allgemein nicht gern, wenn sie von einem gewohnten Umfeld in ein ungewohntes gehen. Uns geht es darum, den Angestellten aufzuzeigen, dass es in der Veränderung um einen Entwicklungsprozess geht, den wir gemeinsam gestalten werden.

Das heisst?
Wir machen deutlich, dass wir nicht einfach grösser werden wollen, sondern der Nachfrage nach geschützten Arbeits- und Wohnplätzen gerecht werden müssen.

Sie haben stets den Menschen mit Behinderung im Fokus. Daneben besteht aber auch ein wirtschaftlicher Auftrag. Ist das nicht eine Gradwanderung?
Ja, zum Teil schon. Die geschützten Werkstätten machen auf der Einnahmenseite etwa 15 Prozent aus. Wenn die nicht da wären, wäre es eine «Katastrophe». Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir zu rund 85 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert werden. Und dafür erbringen wir ja auch Leistungen. Wir erfüllen einen zivilgesellschaftlichen Auftrag.

Die Stiftung MBF wird sich ja noch in einem anderen Bereich vergrössern. Sie übernimmt die Trägerschaft der beiden heilpädagogischen Schulen im Fricktal…
Nein, noch nicht. Darüber müssen erst die beiden Gemeindeversammlungen in Frick und Rheinfelden entscheiden.


«Den Menschen mit einer Behinderung aufzeigen, dass es sich lohnt, bei uns zu leben»

Jean-Paul Schnegg, Geschäftsleiter der Stiftung MBF zu den Herausforderungen

Mit der Übernahme der Trägerschaft für die beiden heilpädagogischen Schulen in Frick und Rheinfelden (hier müssen die Gemeindeversammlungen erst noch die Zustimmung erteilen) wird die Stiftung MBF um einen zusätzlichen Bereich erweitert.

Susanne Hörth

NFZ: Herr Schnegg. Vorausgesetzt die Gemeindeversammlungen in Frick und Rheinfelden sagen ja zur neuen HPS-Trägerschaft, übernimmt die Stiftung MBF bis in zwei Jahren einen zusätzlichen Auftrag. Wäre es nicht an der Zeit gewesen, zu sagen, es ist genug. Das, was wir bisher schon anbieten, reicht?
Jean-Paul Schnegg:
Natürlich könnten man sich fragen, warum haben wir ja gesagt.

Genau. Warum habt ihr ja gesagt?
Nachdem wir angefragt wurden, haben sich Stiftungsrat und Geschäftsleitung intensiv damit beschäftigt. Sicher hätte auch eine andere Trägerschaft gefunden werden können. Irgendeine. Das wollten wir nicht. Ein Szenario, das wir zudem absolut nicht wollten, war, dass die zuständige Abteilung des Kantons irgendwann sagt, die Schülerinnen und Schüler der HPS gehen z.B. in Aarau zur Schule. Für uns ist es ganz wichtig, dass wir die HPS mit den Werkstufen im Fricktal behalten können. Deshalb haben wir uns für die Übernahme der Trägerschaft ausgesprochen.

Gibt es Überlegungen, die beiden zurzeit in Rheinfelden und Frick beheimateten Schulen an einem anderen Standort, eventuell bei der Stiftung MBF in Stein anzusiedeln?
Wie gesagt, zuerst müssen Frick und Rheinfelden an ihren Versammlungen der neuen Trägerschaft zustimmen. Und nein, wir machen uns vorläufig keine Gedanken betreffend eines anderen Standortes.

Was bedeutet die Trägerschaft für die Stiftung MBF?
Heute bieten wir ein Angebot für Erwachsene und Senioren. Mit der HPS kämen neu auch Kinder und Jugendliche dazu. Wir würden damit einen neuen, vierten Bereich schaffen. Welche Auswirkungen das hat, was beachtet werden muss, welche Synergien genutzt werden können und so weiter, damit wird sich eine bereits definierte, grosse Projektorganisation, nach der Entscheidung der Gemeindeversammlungen befassen. Wir haben dafür zwei Jahre Zeit.

In dieser Zeit wird ein anderes grosses Projekt der Stiftung MBF fertig gestellt. Das Projekt «Wohnen – Ateliers 2020». Wie ist hier aktuell der Stand bei den Bauarbeiten?
Alles im Zeitplan. Bei den Kosten kann ich heute schon sagen, dass wir nicht über dem Kostenrahmen sein werden, eher darunter.

Gibt es noch weitere Baupläne der Stiftung MBF?
In Stein müssen wir aus zwei bisherigen Wohngruppen ausziehen. Die Mietobjekte waren nie wirklich ideal für Menschen mit Behinderung. Wir haben in Laufenburg aber genügend Baulandreserven.

Und möchten neu bauen?
Ja, zwei Wohnungen. Doch zuerst muss die zuständige Abteilung des Kantons noch zustimmen.

Was gehört zu den grossen Herausforderungen der Stiftung MBF für die Zukunft?
Wie schon zu Beginn angesprochen wollen wir trotz unserer Grösse die Menschen mit Behinderung im Fokus behalten. Und ganz klar immer auch den finanziellen Rahmen einhalten.

Was sind Hürden, die gemeistert werden müssen?
Ein ganz grosses Thema ist der Fachkräftemangel. Dem wollen entgegenwirken, in dem wir noch mehr junge Leute bei uns ausbilden.

Welche Richtung?
Wir wollen pro Lehrjahr sicher vier Fachfrauen/Fachmänner Betreuung, Fachrichtung Behindertenbetreuung EFZ ausbilden.

In den Jahren, die Sie hier sind, ist stets viel gegangen, neue Herausforderungen kamen, es wurde gebaut. Wünschen Sie sich mehr Ruhe?
Natürlich gibt es Momente, in denen ich mir etwas mehr Ruhe wünsche. Aber nie habe ich den Gedanken, jetzt ist genug. «Trenne dich nie von deinen Träumen und Illusionen, wenn sie verschwunden sind, wirst du weiterexistieren, aber aufgehört haben zu leben.» Mark Twain. Und ich möchte und werde weiter träumen und gestalten zu Gunsten der Menschen mit Behinderung.

Können Sie heute alle Mitarbeitenden und Angestellten der Stiftung MBF nach wie vor beim Namen begrüssen?
(Schmunzelt) Nein, leider nicht mehr. Aber es gibt zwei Aspekte dafür: wir sind grösser und ich bin älter geworden.

Ihr grösster Wunsch für die Zukunft?
Dass wir offen und ehrliche untereinander kommunizieren. Dass die Angestellten erkennen, dass das Wachstum nicht einfach angestrebt wird, sondern nötig ist, um Bedürfnisse gerecht zu werden. Und dass es uns gelingt, den Menschen mit Behinderung aufzuzeigen, dass es sich lohnt, bei uns zu leben, zu lernen und zu arbeiten.

 


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