«Als Auto wäre ich ein Oldtimer»
05.02.2018 Laufenburg, Kultur, PersönlichChristian Haller feiert am 28. Februar seinen 75. Geburtstag
Die NFZ unterhielt sich mit dem Laufenburger Schriftsteller Christian Haller über das Alter, die alte Stadt, in der er lebt, das Schaffen im Alter – und über die Sinnlosigkeit von gewissen Fragen.
Simone Rufli
NFZ: Herr Haller, als Schriftsteller kann man gegen so manches anschreiben und im besten Fall sogar etwas bewirken. Den Alterungsprozess hält auch die geschliffenste Prosa nicht auf. Macht das hilflos?
Christian Haller: Hilflos machte es mich nicht. Es ist eine Grundtatsache, die einfach so ist. Altern ist allerdings ein schwieriger Prozess, weil er Änderungen mit sich bringt, langsam zwar, aber spürbar. Zu den körperlichen und geistigen Veränderungen beginne ich zu spüren, wie ich mich allmählich zurückziehe. Doch auch die Gesellschaft beginnt sich von mir abzuwenden, und die Aufmerksamkeit gehört den Jungen, den Kommenden. Zum Alter kommt dazu, dass stets die Möglichkeit einer Erkrankung droht, und diese Wahrscheinlichkeit steigt mit den Jahren: Ich werde jetzt 75 Jahre alt.
Sie haben sich als Zoologe und Paläontologe früh mit dem Alter auseinandergesetzt, sich auf die Spuren des Alters gemacht. Jetzt, wo Sie älter werden, helfen Ihnen die in jungen Jahren gewonnenen Erkenntnisse?
Es ist etwas ganz anderes, über Alter zu lesen, als Alter zu erleben. Die frühe, jugendliche Auseinandersetzung mit Tod und Alter war zum grossen Teil abstrakt. Jetzt bin ich im Prozess und der ist konkret.
Alter ist relativ. Menschen früherer Generationen waren um Jahrzehnte früher alt, als der Durchschnitt von heute. Und in einem alten Körper kann noch immer ein jugendlicher Geist leben. Wie alt bzw. jung fühlen Sie sich?
Ich fühle mich meinem Alter entsprechend, als Auto wäre ich ein Oldtimer. Und das mit dem jungen Geist im alten Körper ist mehr Trost als Wirklichkeit. Auch die geistigen Funktionen bauen ab. Man fängt an, sich gegenüber dem Neuen zu verschliessen. Das «Früher» wird immer öfter als Vergleichsebene herangezogen. Die Kunst des Alterns jedoch besteht darin, nicht bitter zu werden. Man sollte versuchen, auch diesen Abschnitt des Lebens zu gestalten, ihm eine eigene Form zu geben. Man trägt einen Erfahrungsschatz, einen Erlebnisschatz mit sich und hat den Ausblick in eine Zukunft, die man selber nicht mehr erleben wird. Unsere Konsumgesellschaft will, dass wir auch im Alter weiter konsumieren, uns ablenken und zerstreuen lassen. Doch das kann nicht der Sinn sein, auch wenn es für viele Menschen, gerade jene, die einem normalen Beruf nachgegangen sind, schwierig ist, noch eine für sie sinnvolle Beschäftigung zu finden. Sie sind in diesem Lebensabschnitt aus den gewohnten und alltäglichen Zusammenhängen herausgelöst, während ich als Schriftsteller mit meinem Werk verbunden bleibe.
Es heisst, je älter man wird, umso mehr Freiheiten darf man sich herausnehmen. Spüren Sie eine innerliche Befreiung?
Was in den mittleren Lebensjahren so enorm wichtig scheint, gesellschaftliche Stellung oder Erfolg, beginnt an Gewicht zu verlieren. Das befreit und entlastet. Man merkt, wie vergänglich solche Äusserlichkeiten sind, und wie schön einfache, alltägliche Dinge wie der Blick auf den Rhein oder das Gespräch mit einem befreundeten Menschen werden.
Sie leben seit vielen Jahren in der wunderschönen aber auch alten Stadt Laufenburg, deren Zentrum die Altstadt nicht mehr allzu viel Leben versprüht.
Das ist etwas sehr Relatives. Moderne Blocksiedlungen sind nicht belebter als diese Altstadt. Kürzlich bin ich durch so eine Siedlung auf den künstlich angelegten Wegen spaziert. Es war leer, und die gleichförmige Architektur bot dem Auge weniger «Leben» als die Altstadtgassen, in denen im Sommer Kinder «tschutten», in den Brunnen baden und unbeaufsichtigt draussen herumspringen können. Natürlich ist die Angebotsseite beschränkt, aber das war mir nie wichtig. Ich habe es immer geschätzt, in einer sehr schön gestalteten Umgebung zu leben. Ich geniesse die Ruhe, das etwas Zurückgebliebene, in dem alles ein bisschen langsamer abzulaufen scheint. Für meine Arbeit hatte das seine Vorteile.
Unter Ihrem Haus fliesst das Wasser des Rheins vorbei. Bringt der Fluss neues Leben oder nimmt er Welle für Welle ein Stück Leben mit?
Der Rhein ist für mich wie ein Haustier. Ich schaue immer, was er gerade macht, ob er ruhig dahin fliesst oder aufgeraut ist, welche Farbe er hat. Daneben ist er eine Metapher der Vergänglichkeit: er kommt, er geht – und ist vorbei. Der Rhein kommt in all meinen Werken vor.
Christian Haller zieht ins Altersheim – ein gangbarer Weg?
(Der Schriftsteller schmunzelt): Ich bin täglich zu Besuch im Altersheim und bin im «Alterszentrum Klostermatte» schon fast eine Art Möbelstück. Ich gehe zu den Animationen und schaue zu, mache meine Beobachtungen, lerne die Leute kennen. Allerdings beschäftigt mich das Altersheim nicht so sehr in Bezug auf mich selber. Ich habe aufgehört, mich mit zukünftigen Erwartungen zu befassen. Gedanken über das, was in drei oder fünf Jahren sein könnte, sind überflüssig, weil es sowieso anderes sein wird. Doch die Vorstellung, eines Tages selbst Bewohner in der «Klostermatte» zu sein, ängstigt mich nicht.
Alter kann einsam machen...
Ja. Freunde und Bekannte sterben weg und man muss sich bemühen, Kontakte aufrecht zu erhalten. Vereinsamung ist eine Gefahr von zwei Seiten: durch den eigenen Rückzug, aber auch durch die Gesellschaft, die sich von einem zurückzieht. Für mich ist es wichtig, auch zu jüngeren Menschen den Kontakt zu halten.
Alter blickt nicht mehr so weit nach vorne, dafür umso weiter zurück. Sie arbeiten Ihr Leben schreibend auf.
Ich habe 2013 angefangen, mein Leben als Untersuchungsgegenstand in drei Romane zu verarbeiten. Auf der Suche nach dem Weg, den einer gehen muss, um zu seiner Bestimmung zu kommen, eine Bestimmung, die er nicht gesucht hat, auf einem Weg, der nicht vorgezeichnet ist. Mich interessiert im Nachhinein zu untersuchen, welche Einflüsse, welche Motive ihn letztlich geführt haben. Das schliesst eine verklärende Sicht auf Vergangenes aus, sondern ich beschreibe genau und schonungslos, was die Hauptfigur, die ich selbst gewesen bin, getan, erreicht, und wann sie versagt hat.
Sie haben einmal gesagt: «Schreiben ist für mich ein Mittel, um durchs Leben zu kommen.» – Fürchten Sie sich vor dem Moment, wo Sie möglicherweise nicht mehr werden schreiben können?
Ich habe mit 19 Jahren angefangen zu schreiben und seither täglich geschrieben. Aber ich muss auch damit rechnen, dass die Fähigkeit zu schreiben erlischt – dann ist das ebenso. Irgendwann kommt der Moment, wo ich das abschliessen muss. Das wird sein, weil die Existenz selber ja auch ein Ende findet.
Wenn Sie Ihr Leben neu schreiben könnten. Was wäre das für eine Geschichte?
Christian Haller lehnt sich in seinem Korbstuhl zurück, sein Blick wandert nach draussen über den Rhein nach Deutsch-Laufenburg. Kopfschüttelnd kehrt er ins Gespräch zurück: Eine Frage nach, was wäre wenn?, habe ich mir nie gestellt. Solche Fragen fand ich immer seltsam und sinnlos. Bei meiner Fantasiebegabung – er hält inne – ich glaube, Fantasie wünschen sich nur Leute, die keine haben. Fantasie kann quälend sein. Was soll denn anders gewesen sein? Es war es nicht und damit ist es so, wie es gewesen ist.
An Ihrem Geburtstag, am 28. Februar, wollen Sie im «Künstlerhaus Boswil» Musik und Text mit Freunden teilen...
Das ist eine öffentliche Veranstaltung und ich freue mich – neben meinen eingeladenen Freunden – über zahlreiche zusätzliche Gäste! Es werden Uraufführungen von Vertonungen zu hören sein, die von meinen Gedichten für eine CD gemacht worden sind. Doch soll auch die Sprache klingen: Ein in Jamben geschriebenes Epos wird Vernissage haben. Ein Werk, auf das ich mich ausserordentlich freue, schliesst es doch eine jahrelange Arbeit und stoffliche Auseinandersetzung ab. Hanspeter Müller-Drossaart wird aus meinem Versepos «Reise im Korbstuhl» vorlesen. (Christian Haller rückt etwas zur Seite und gibt den Blick auf seine Sitzgelegenheit frei): Es handelt sich um genau diesen Korbstuhl hier. In dem Epos geht es um eine kosmische Reise durch die Geschichte von der Renaissance durch einen dantesken Höllentrichter hinab in eine Welt der Quanten. Dabei habe ich mich bemüht, die Jamben nicht altertümlich klingen zu lassen, so dass sie jetzt etwas von einem Swing-Stück haben.
Zum Schluss noch eine banale Frage: Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?
Darauf kann man wirklich nur mit Banalitäten antworten (lacht). Mit Gesundheit zum Beispiel, aber die wünschen sich doch alle. Es sei denn, man hätte noch den Wunsch nach einem Ferrari. Den habe ich aber nicht. Mein Geschenk ist, dass ich das Epos fertigstellen durfte und das Erscheinen nun zusammen mit Freunden feiern darf.
Musikalisch-literarischer Blumenstrauss für Christian Haller, Künstlerhaus Boswil, 28. Februar 2018, Beginn 19.30 Uhr; Die Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt frei. Eine Kollekte kommt dem Gesamtprojekt, einer CD mit an acht Komponisten vergebenen Aufträgen zur Vertonung von Christian Hallers Gedichten zugute. Die CD erscheint im August 2018.