Der Mönch mit der falschen Kutte und die Gans, die keine ist
11.08.2021 FricktalFricktaler Gemeindewappen (3): Redende Wappen
In einer Serie stellt die NFZ die Herkunft und Bedeutung der Gemeindewappen des Fricktals vor. In der dritten Folge geht es um Wappen, die Ortsnamen bildlich darstellen – mehr oder weniger.
Boris Burkhardt
Der Heraldiker spricht von «Redenden Wappen»: Damit meint er Wappenfiguren, die den Namen des Wappenträgers, in diesem Falle den Ortsnamen, bildlich darstellen. Zu den prominentesten Redenden Wappen gehört das Berner Wappen, mit demselben Motiv das Berliner Wappen oder in der Region die Gemeinden Bernau und Berau im Hotzenwald. In den Redenden Wappen spielt der Bär eine weit grössere Rolle als die beiden anderen Hoheitszeichen, der Löwe und der Adler, die ihm sonst den Rang streitig machen: Es gibt in Mitteleuropa deutlich weniger Orte, die nach dem Adler und noch weniger nach dem Löwen benannt sind.
Im Fricktal gibt es jedoch keine Bären, nicht in Ortsnamen und damit auch nicht in Wappen. Ein Redendes Wappen mit dem vermutlich vierthäufigsten Wappentier hat aber die Gemeinde Wölflinswil: Der stehende, rücksehende rote Wolf in goldenem Feld wurde ihr 1915 vom Staatsarchiv vorgeschlagen. Die Gemeinde hatte zuvor nur das Kantonswappen im Siegel geführt. 1938 schuf sie ein Wappen auf Basis des Vorschlags von 1915, gab dem Wolf aber ein braunes Fell. Dieses Wappen wurde in Gips auf die Fassade des Alten Gemeindehauses angebracht. 1953 wurde die Gemeinde auf die unheraldische Farbe hingewiesen; 1966 wurde der Wolf schliesslich wieder rot.
Der Wolf von Wölflinswil hat vermutlich etymologische Berechtigung: Auch wenn der ursprünglichere Ortsname Wulfineswilare «Siedlung des Wulfin» bedeutete, ist anzunehmen, dass der Name Wulfin vom Tiernamen abgeleitet worden ist.
Gans überquerte als erstes die Brücke
Diese Herleitung ist aber sehr unwahrscheinlich beim alemannischen Siedler Ganso, dem Gründer von Gansingun, dem heutigen Gansingen. Bei der in Blau auf grünem Dreiberg aufliegenden, golden bewehrten silbernen Gans des Gemeindewappens handelt es sich deshalb um eine sehr häufige, volksety molog isch missverstandene Interpretation des Ortsnamens.
Zur Erklärung des Wappens musste in Gansingen deshalb die Sage herhalten, die berichtet, wie eine Gans das erste Lebewesen gewesen sei, das über die neugebaute Brücke des namenlosen Ortes gegangen sei. Über diese Sage gibt es aber immerhin einen tatsächlichen historischen Bezug zur Gemeinde. Die Gemeindesiegel aus dem 19. Jahrhundert zeigen die Gans noch oberhalb des Kantonswappens. Ein Herrschaftswappen zur Alternative, zwei überkreuzte silberne Fische in Blau nach dem Adelswappen derer von Galmtona aus dem Ortsteil Galten, lehnte die Gemeinde 1939 ab.
Noch abstruser als die Gansinger Sage ist die Entstehungsgeschichte des Gemeindewappens von Oberentfelden (Bezirk Aarau): Weil die eigentliche Bedeutung des mittelalterlichen «Endiveld», «am Ende des Feldes», bildlich nicht sinnvoll darstellbar war, deutete der Volksmund den Namen kurzerhand zum «Entenfeld» um. Das Wappen zeigt entsprechend unter anderem eine Ente auf Wasser. Ein perfektes Beispiel für ein volksetymologisch missinterpretiertes Redendes Wappen in der Region ist das der Gemeinde Fischingen im Markgräflerland: Es zeigt einen silbernen Fisch auf dem badischen Staatswappen – dabei hat die kleine Gemeinde nicht einmal einen Bach in der Nähe und verdankt ihrem Namen vermutlich ebenfalls einem alemannischen Clanführer. Die Gemeinde Egliswil (Bezirk Lenzburg) interpretierte ihren Ortsnamen sogar im Sinne des beliebten Speisefisches und führt derer drei silberne überkreuzt in blauem Feld. Auch hier war jedoch vermutlich ein gewisser Egirich Gründer der Siedlung.
Auch Pflanzen sind häufig Motiv Redender Wappen: Buchs (Bezirk Aarau) führt in Silber einen grünen Buchsbaum auf einem Dreiberg im Wappen, Holderbank (Bezirk Lenzburg) einen grünen Holunderbusch mit fünf silbernen Blütendolden in Rot, umgeben von einer silbernen Rundbank. Die seltene Birne ist Bestandteil von gleich vier Wappen im Aargau, als goldene Birne mit grünen Blättern in Blau in Birr (Bezirk Brugg), als silberne Birne mit grünen Blättern in Blau in Birrwil (Bezirk Kulm) sowie als ganzer Baum mit sieben goldenen Birnen in Rot in Birrhard (Bezirk Brugg). Alle drei sind schöne Beispiele für volksetymologische Umdeutung, denn die Ortsnamen haben nichts mit der «Biire» zu tun, sondern stammen von der Birke her.
Auch die einstige Hofsiedlung des Mago, das heutige Mägenwil (Bezirk Baden), deutete den Ortsnamen volksetymologisch und wählte wegen des Dialektausdrucks «Mägi» für Mohn die Fruchtkapsel dieser Pflanze als Wappenbild. Oberflachs (Bezirk Brugg) wählte blaue Flachsblumen für sein Wappen: Aber auch hier bedeutete «obarun flahidu» im Althochdeutschen «bei der oberen flachen Stelle». Die Gemeinde Rohr (Bezirk Aarau) wählte drei Schilfrohre als Wappenzeichen.
Darstellung von Haus und Tannen
Ein Redendes Wappen muss aber nicht ein Lebewesen sein: Oberhof führt ein Redendes Wappen par excellence, auch wenn es wegen der braunen Tingierung heraldisch problematisch ist: in Blau auf fünf grünen Bergen ein silbernes Haus mit schwarzem Dach in Traufstellung, beseitet von zwei grünen Tannen mit braunen Stämmen. Schon der älteste Stempel der Gemeinde aus dem Jahre 1939 zeigt ein dreidimensionales Haus begleitet von zwei Tannen. Wie in vielen Aargauer Gemeinden brachte ein Dorfverein, in Oberhof der Männerchor, die Diskussion um das Gemeindewappen ins Rollen, als er 1946 eine neue Fahne bestellen wollte.
Dem Fahnenhersteller, berichtet das Aargauer Wappenbuch, «stachen die heraldischen Mängel ins Auge». Die ehrenamtliche Wappenkommission der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau von 1945 bis 1966 hatte das Haus in Giebelstellung vorgeschlagen; der Männerchor und noch im selben Jahr die Gemeindeversammlung blieben aber bei der Traufstellung. Allerdings war sich in den kommenden Jahrzehnten bis 1989 auch die Gemeindeverwaltung unsicher, wie Haus und Tannen dargestellt werden sollten. Die Umfärbung der Stämme von Braun in Grün wurde 2002 von der Gemeindeversammlung abgelehnt.
Ganz ähnlich wie Oberhof trägt auch die Gemeinde Hausen (Bezirk Brugg) ein Haus im Wappen. Auch Brugg hat ein Redendes Wappen, nämlich in Silber eine schwarze Brücke mit zwei Türmen; bei Burg (Bezirk Kulm) gesellt sich eine grüne Tanne zur schwarzen Burg. Geltwil (Bezirk Muri) trägt eine goldene Gelte in Rot im Wappen: Tatsächlich soll der Ortsname topographisch von einer Mulde abgeleitet sein, die auch andernorts zu Namensbestandteilen wie Gelte, Zuber, Kessel und Kübel führte.
Keine heraldischen Farben
Der Mönch im Wappen von Münchwilen folgt aus der etymologisch korrekten Interpretation der einstigen «Siedlung bei den Mönchen», hat aber trotzdem das problematischste Wappen im ganzen Kanton: in Blau ein schreitender Mönch mit Hut, Kutte, samt Kapuze, Gürtel und Sandalen, alles braun, in der Rechten auswärts gewendeten silbernen Pilgerstab führend; Gesicht, Hände und Füsse sind silbern. Die Farbkombination Braun und Blau ist nicht nur unvorteilhaft, weil zu ähnlich, die Farbe Braun ist wie erwähnt auch gänzlich unheraldisch und sollte vermieden werden. Das frühere Wappen, das seit 1873 im Glasfenster der Kirche in Eiken belegt ist, zeigt aus heraldischer Sicht einwandfrei in Silber einen Mönch mit schwarzer Kutte. Die Glasfenster wurden 1952 beim Umbau der Kirche zugemauert. Der Gemeinderat hätte 2002 eine vom Staatsarchiv vorgeschlagene heraldische Bereinigung gerne angenommen, wurde aber von der Gemeindeversammlung überstimmt, die ihren braunen Mönch behalten wollte.
Weil die Farbe Braun unheraldisch ist, können sich die Münchwiler Gemeindefarben nicht wie sonst üblich nach dem Wappenbild richten und sind als Blau und (behelfsmässig) Weiss festgelegt. Wie stur Einwohner auf den falschen Farben «ihres» Wappens beharren können, zeigt das Beispiel der Gemeinde Unterentfelden (Bezirk Aarau): Das Drängen des Staatsarchivs, der braunen Ente eine heraldisch akzeptable Farbe zu geben, akzeptierten Gemeinderat und Gemeindeversammlung 2002 und legten die Farbe Rot fest. Gegen die rote Ente wurde aber schon im Folgejahr erfolgreich das Referendum ergriffen; und der Vogel blieb braun.
Eine fast schon niedliche Volksetymologie verewigte die Gemeinde Hendschiken (Bezirk Lenzburg) in ihrem Wappen: Gemäss dem Dialektausdruck zeigt sie in Blau einen goldenen Handschuh.