Fünf Tage Zeit, um das Kind unterzubringen

  25.01.2022 Fricktal

Vermittelbar ist nur, wer den Obhutsnachweis erbringt

Innert fünf Tagen die Kinder in Obhut geben, um eine neue Arbeitsstelle antreten zu können – was das Gesetz verlangt und das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum RAV einfordert, stellt nicht nur Eltern, sondern auch Vermittlungsstellen wie «Die Tagesfamilie» vor Probleme.

Simone Rufli

«Die Person bestätigt uns in diesem Dokument, dass sie innert fünf Tagen eine Stelle, gemäss dem von ihr bei der Anmeldung angegebenen Beschäftigungsgrad, antreten kann», erklärt RAV-Leiter Nikolaus Güntert gegenüber der NFZ. «Die Frist von fünf Tagen wird uns vom Gesetz über die Arbeitslosenversicherung ALV vorgegeben.»

Kurzfristige Anfragen
Diese Frist ist Claudia Maurer, Geschäftsführerin beim Verein «Die Tagesfamilie», ein Dorn im Auge. Sie erlebt in ihrer Arbeit, dass dieser Obhutsnachweis für viele Mütter ein grosses Problem ist. «Wir sind jeden Monat mit kurzfristigen Anfragen konfrontiert und sollten dann innert dieser gesetzlichen Frist von fünf Tagen eine Tagesmutter vermitteln.» Oft wisse die anfragende Mutter dann nur gerade, dass sie nächste Woche die Stelle antreten müsse, aber noch nicht, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten.

Das allein mache eine Vermittlung schon schwierig. Vor allem aber gehe völlig vergessen, dass Kinder keine Sache sind. «Man kann Kinder nicht wie irgendeinen Gegenstand von heute auf morgen in ein neues Betreuungsverhältnis verfrachten. Es braucht eine Eingewöhnungszeit. Die Mutter oder der Vater sollte zusammen mit dem Kind genug Zeit haben, um abzuklären, ob die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt», so Maurer. «Sonst ist es für das Kind einfach nur ein Schock.» Maurer plädiert deshalb für mehr Entgegenkommen von Seiten des RAV und der Sozialämter, auch wenn die Fünf-Tages-Frist nicht eingehalten werden könne. «Es sollte zum Wohl des Kindes keine Rolle spielen, wenn die Frau ihre Arbeitsstelle später antritt.»

Sie mache aber nicht nur schlechte Erfahrungen, betont die Geschäftsführerin. «Es gibt Sozialdienste, die sind kulant, anderen ist die Problematik einfach nichtbewusst.»

Problem bei geringem Einkommen
Auch der Stellenleiter des RAV ist sich der Problematik bewusst. Während die Vorgaben für finanziell gut abgesicherte Stellensuchende einfacher einzuhalten seien, da diese oft den Betreuungsplatz für ihre Kinder auch während vorübergehender Arbeitslosigkeit behalten würden, stünden vor allem Mütter mit geringem Einkommen vor grösseren Hürden, erklärt Güntert.

Dass Stellensuchende im Niedriglohnbereich eine vorsorgliche, provisorische Anmeldung des Kindes in einem Hort oder bei einer Tagesmutter weder finanziell vermögen noch riskieren können, bevor sie eine Stelle in Aussicht haben, das versteht man auch beim RAV. «Das ist in der Tat ein Problem», räumt Güntert ein. Immerhin seien in der Praxis fünf Tage bis zum Stellenantritt eher die Ausnahme und die Lösung des Betreuungsproblems finde sich oft im privaten Umfeld mit Hilfe von Grosseltern, Verwandten oder guten Freunden. «Findet sich keine private Betreuung und muss das Kind extern untergebracht werden, stellt sich im Niedriglohnbereich schon die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, zu arbeiten.»


Betreuung zu finden, bleibt eine Herausforderung

Ohne familiäres Umfeld ist der Berufseinstieg schwierig

Meist bleibe mehr Zeit als vom Gesetz vorgegeben, um die Kinder in Obhut zu geben, sagt RAV-Stellenleiter Nikolaus Güntert, ohne das Problem kleinzureden. Für Valentino Gianella vom Regionalen Sozialdienst Laufenburg bleibt die Hürde für den Erwerbseinstieg hoch – trotz Unterstützungsmöglichkeiten.

Simone Rufli

Immerhin seien die fünf Tage bis zum Stellenantritt in der Praxis doch eher die Ausnahme. «Meistens erfolgt eine Anstellung auf Monatsbeginn, so dass durchschnittlich zwei, manchmal auch drei Wochen Zeit bleiben, um eine Lösung für das Kind zu finden», so die Erfahrung von Nikolaus Güntert, Stellenleiter beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum RAV in Rheinfelden. Auch für den Besuch von Kursen und Weiterbildungen durch das RAV bestehe in der Regel eine ausreichende Vorlaufzeit.

Sagt eine Person klar, dass sie innert der vom Gesetz vorgegebenen Zeit eine Stelle nicht antreten kann, müsse jedoch die Vermittelbarkeit von der kantonalen Amtsstelle in Aarau geprüft werden. Der gesetzliche Rahmen ist einzuhalten», bestätigt Güntert. «Es gilt eben auch, Missbrauch zu bekämpfen.» Wird die Vermittelbarkeit abgesprochen, verliert die stellensuchende Person den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung und eine Abmeldung erfolgt; dies, sofern die Betreuung der Kinder weiterhin nicht sichergestellt werden kann.

Finanzielle Unterstützung
Dass stellensuchende Mütter und Väter auf der Suche nach einem Betreuungsplatz für ihre Kinder unter Zeitdruck stehen, das weiss auch Valentino Gianella, Sozialarbeiter beim Regionalen Sozialdienst Laufenburg. Der Dienst erbringt Leistungen für die Gemeinden Gansingen, Laufenburg, Oeschgen, Sisseln und Stein. Gianella verweist auf das Gesetz über die familienergänzende Kinderbetreuung (KiBeG). Das Kinderbetreuungsgesetz verlangt, dass alle Aargauer Gemeinden berufstätige Eltern finanziell unterstützen, wenn diese zum Aufnehmen der Erwerbstätigkeit auf familienergänzende Kinderbetreuung angewiesen sind und diese nicht selber bezahlen können. Gemäss KiBeG stehen den Eltern seit August 2018 zu diesem Zweck bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze – ab der keine Subventionen mehr ausbezahlt werden – Gemeindebeiträge zu. Der Beitrag richtet sich nach dem steuerbaren Einkommen der Familie. So seien bereits die Gesamtkosten von der Gemeinde (Gemeindebeiträge und Sozialhilfe) übernommen worden, da im Gegenzug, mit der Einnahme aus der Erwerbstätigkeit der Betroffenen, Sozialhilfekosten wegfallen oder deutlich vermindert werden, erklärt Gianella. Bei der Bemessung der Höhe des Beitrags des Sozialamtes gehe es auch um die Verhältnismässigkeit zu der in Aussicht stehenden beruf lichen Eingliederung. «In erster Linie aber stellt der Sozialdienst bei der Betreuung auf das familiäre Umfeld ab. Wir unterstützen bei Bedarf bei der Suche nach privaten Lösungen», betont Gianella.

Gemeinsam eine Lösung suchen
Weil private Lösungen sich trotz aller Bemühungen nicht immer finden liessen, hänge aber tatsächlich viel von der Flexibilität der Kitas und des Tagesmüttersystems ab. «Stellen sich da Probleme, kann es vorkommen, dass wir mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnehmen und alle gemeinsam mit der stellensuchenden Person nach einer Lösung suchen», so Gianella.

Erachte das Sozialamt den Einsatz als erwerbseingliedernd und förderlich, um von der Sozialhilfe wegzukommen, könne das Amt unter gewissen Bedingungen zum Beispiel auch einmalig die Kosten für die Eingewöhnungszeit des Kindes in der Kita übernehmen. «Die Hürde für den Erwerbseinstieg von alleinerziehenden Müttern und Vätern ist weiterhin hoch, wenn keine familiären Ressourcen vorhanden sind», dämpft Gianella allzu hohe Erwartungen. Die Betreuung kurzfristig sicherzustellen, bleibe eine Herausforderung.


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