Vernunft, Güte und Weitsicht

Eigentlich habe ich mir abgewöhnt, Vorsätze und Wünsche zum Neujahr zu äussern . Das christliche, heute weltweit zelebrierte Neujahr findet mitten im Winter zu einem willkürlichen, unlogischen Zeitpunkt statt. Alle früheren Kulturen feierten das Neujahr im Frühling, meist mit der Tag- und Nachtgleiche im März. Unsere römischen Monatsnamen erinnern heute noch daran, dass das Jahr im März beginnt: September (lateinisch septem = 7) war der 7., nicht der 9. Monat, Oktober (lateinisch octo = 8), November (lateinisch novem = 9) und Dezember (lateinisch decem = 10), also der 10. Monat nach Jahresbeginn. Trotzdem wünsche ich, völlig unabhängig davon, wann das neue Jahr nun wirklich beginnt, dass der Homo sapiens, nämlich «der weise, einsichtige, verständige Mensch», nach all’ den Jahrtausenden doch einmal seinem Namen gerecht wird und zur Vernunf t kommt, dass Güte, Gerechtigkeit und Weitsicht herrschen mögen, und dies, bevor wir unseren Planeten total verdreckt und zerstört haben. Im Buddhismus werden drei Grundübel oder Geistesgifte genannt, die es unbedingt zu vermeiden gilt: Hass, Gier und Dummheit. Wie weit sind wir von dieser Einsicht entfernt! Wie viel Anstrengung braucht es, um diesen Einsichten näher zu kommen?! Mir selbst wünsche ich ein bisschen mehr Geduld und Seelenruhe, um ohne die drei Grundübel durch den Tag zu kommen. Aber diesen Wunsch habe ich eigentlich jeden Morgen beim Aufwachen. Das ganze Jahr hindurch.

Ich wünschte, dass die Menschen, vor allem die jungen Leute, wieder zurück ins reale Leben finden, mit direktem Kontakt zu den Mitmenschen und zur Welt um sie herum. Denn ich sehe eine Verlorenheit und Sucht, die Welt und die Mitmenschen nur noch virtuell durch Bildschirme und Handys wahrzunehmen. Kein Wunder, haben die Psychiater Hochbetrieb. Für Rheinfelden wünsche ich mal eine längere Pause vom zügellosen Bauboom. Für das sonnige Fricktal wünsche ich mehr Besinnung auf seine Stärken und seine Funktion in einer Region Nordwestschweiz, sogar in Europa, auf seine Kraft in den Wäldern und der zum Teil noch intakten Natur, auf sein riesiges Potential für Sonnenkollektoren auf unzähligen Flachdächern und Autobahn-Schallschutzwänden. Dasselbe lässt sich für die ganze Schweiz wünschen. Dazu wünschte ich, dass unsere Schulsysteme und unsere Steuersysteme endlich schweizweit vereinheitlicht werden, damit man nicht bei jedem Ortswechsel das grosse Chaos erleben muss. Dass die Schweiz dazu beitragen kann, Frieden statt Rüstung zu stiften. Dass die Welt nicht wieder in grössenwahnsinnigen Nationalismen und Faschismus versinken möge. Dass bei uns und weltweit endlich vorwärts gemacht wird mit Klimaschutz, Umweltscutz , Menschenschutz… Ob ich das alles noch erlebe?

KURT J. ROSENTHALER, KULTURSCHAFFENDER UND STADTFÜHRER, RHEINFELDEN

MEIN NEUJAHRSWUNSCH

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