Vom Stall ausmisten bis zum Olympiasieg
24.02.2023 Eiken, PersönlichDressur-Legende Christine Stückelberger kommt nach Eiken
Sie ist die Grande Dame des Schweizer Dressursports, wurde Olympiasiegerin, Welt- und Europameisterin: Am Wochenende gibt Christine Stückelberger (75) im Haufgarten in Eiken einen Dressurkurs – «für alle, die das Wohl des Pferdes über den eigenen Erfolg stellen», wie sie im Gespräch mit der NFZ betont.
Simone Rufli
Sie sei auf dem Sprung, sagt sie – und nimmt sich dann doch viel Zeit für das Telefongespräch. Sie sei schon öfters für Dressurkurse im Elsass gewesen, sagt Christine Stückelberger. Diesmal kommt sie nach Eiken. Zwei Personen, die sich für den Kurs am Wochenende angemeldet haben, kenne sie, die anderen nicht. Das müsse sie auch nicht, denn: «Es ist eine meiner Stärken, innert weniger Minuten zu erkennen, wo bei einem Paar das Problem liegt.» Freude bereiten ihr jene Menschen, die kommen, um zu lernen, die sich Zeit nehmen und dem Pferd Zeit geben, die nicht schnell, sondern pferdegerecht arbeiten wollen, die sich um die Seele des Pferdes und seine Gesundheit kümmern – «und die vor allem an sich selber arbeiten wollen». Selten nämlich sei das Pferd das Problem, wenn es in der Zusammenarbeit Mensch Tier nicht rund läuft. Um ihr Alter macht die Grand Dame des Schweizer Reitsports kein Geheimnis – 76 wird sie im Mai – und steigt noch immer jeden Tag in den Sattel. 40 Medaillen hat sie im Lauf der Jahre gewonnen. 27 Grand-Prix-Pferde hat sie zusammen mit Georg Wahl, dem ehemaligen Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule in Wien und jahrzehntelangen Weggefährten, ausgebildet, zeitweise hatten sie acht im eigenen Stall. «Wir haben unsere Pferde nie überfordert, immer darauf geachtet, dass sie genug Erholungsund Freizeit hatten. Granat beispielsweise absolvierte pro Jahr sechs, sieben Prüfungen, nicht mehr.»
Auf einem Auge blind
Granat – herausragend und unvergessen die Goldmedaillen, die sie mit dem Holsteiner-Wallach gewonnen hat: 1975 in Kiew (Ukraine) und 1977 in St. Gallen wurden die beiden Europameister, 1976 in Montreal (Kanada) feierten sie zusammen den Olympiasieg, 1978 in Goodwood (England) trug Granat seine Reiterin zum Weltmeister-Titel.
Was damals kaum jemand wusste und auch Christine Stückelberger und Georg Wahl erst klinisch bestätigt erhielten, als sie den Wallach bereits gekauft und in der Uniklinik in Wien hatten untersuchen lassen – Granat war auf einem Auge blind. «Er hätte ohne uns wohl ein trauriges Ende genommen.»
Schwer vom Körperbau, schwierig zu reiten und kaum zu halten, löste der junge Wilde in Fachkreisen damals keine Begeisterung aus. Anders bei Herrn Wahl und Frau Stückelberger, die erkannten den Roh-Diamanten bereits im Vierjährigen. Sie hätten immer schwierige Pferde gehabt, die viel Geduld und Arbeit erforderten, sagt Stückelberger, «weil wir uns nie teure Pferde leisten konnten.»
Dass sich Granat zu einem der weltbesten Dressurpferde ausbilden liess, während elf Jahren die Dressur-Wettbewerbe dominierte und mit Christine Stückelberger im Sattel 17 internationale Medaillen gewann, dankte sie ihm auf ihre Weise – sie um sorgte Granat bis er im Alter von 24 Jahren starb.
Das Pferd, die Hauptperson
«Ich ecke oft an, wenn ich das sage, aber vielen Reiterinnen und Reitern ist der eigene Erfolg, das Ansehen und das Geld wichtiger als das Tier. Für mich ist das Pferd die Hauptperson. Es gibt aber viele Leute, die das nicht hören wollen.» Sie lacht: «Die kommen dann halt nicht mehr in meine Kurse.» Die bis heute erfolgreichste Schweizer Reitsportlerin scheut sich nicht, Klartext zu sprechen. Sie sagt auch: «Wer nur zu mir in den Kurs kommt, um sagen zu können, dass er bei Christine Stückelberger gewesen ist, ist bei mir am falschen Ort.»
Christine Stückelbergers Liebe gilt nicht den Pferden allein. «Ich liebe Tiere allgemein», sagt sie und erzählt; vom Aufwachsen in einer Berner Arztfamilie, in der niemand geritten ist; von der Arbeit auf dem Hof des Onkels, wo sie als Kind selbst schwere Arbeiten und auch das Ausmisten gerne übernommen habe, nur um in der Nähe der Tiere sein zu können. Im Alter von elf Jahren erhielt sie ein Abonnement für Reitstunden in der städtischen Reitschule in Bern geschenkt. «Ich habe überall mitangepackt, habe auch ausgemistet, durfte bald Pferde für private Kunden satteln und pflegen – und habe das damit verdiente Geld wieder in Reitstunden investiert.» Die Mutter habe sie unterstützt, wo immer es ging, der Vater leider nicht. Sie hätte sich vorstellen können zu studieren und Tierärztin zu werden, sagt sie. «Da ich aber bereits mit 18 Jahren im Spitzensport angekommen war und von Anfang an auch international erfolgreich war, blieb für ein Studium keine Zeit.»
«Er hat uns gemacht»
Bis heute dankbar ist sie, dass sie in Georg Wahl über die lange Zeitspanne von 45 Jahren den besten Reitlehrer und Ausbildner haben durfte, der sie bald auch als Partner und bis zu seinem Tod Ende 2013 im Alter von 93 Jahren durchs Leben begleitete. «Er hat uns gemacht», fasst sie seinen Anteil an ihrem und dem Erfolg vieler anderer Reiterinnen und Reiter in einen einzigen Satz. «Das Feeling, das Herr Wahl für Pferd und Reiter hatte, das hat niemand sonst. Wobei – ich habe dieses Feingefühl vielleicht sogar noch etwas stärker.» Sie lacht. Heute ist Christine Stückelberger mit Hansrudolf Luginbühl verheiratet. Zusammen bewirtschaften sie das Pferdeausbildungszentrum Hasenberg am Rande von Kirchberg im Toggenburg weiter.
All ihre Erfahrungen auch im Bereich der Veterinärmedizin gibt Christine Stückelberger gerne weiter; im Rahmen von Dressurkursen wie am Wochenende in Eiken und auch in Vorträgen. Die Schweizer Sportlerin des Jahres 1976 kann es übrigens nicht nur gut mit Pferden. Ihre zweite grosse Leidenschaft gilt den Hunden. Vor 20 Jahren zog sie einen Wurf aus eigener Zucht auf. «Jetzt nochmals ein Wurf, das wäre schön», sagt sie. Bis es so weit ist, kümmert sie sich weiter um Hunde, die im Leben von anderen Menschen keinen Platz mehr haben.