Manis Backenzahn auf Reisen

  15.02.2023 Aargau, Olsberg

Im Frühling 2019 machte ein Spaziergänger in der Gemeinde Olsberg einen speziellen Fund. Sofort erkannte er, dass es sich um einen Mammutzahn handeln musste und brachte diesen später ins Naturama. Die Bestimmung entpuppte sich als nicht ganz einfach.

*Elizabeth Jacobs

Am 22. März 2019 wurde auf einem Spaziergang in der Gemeinde Olsberg – zwischen dem Stift Olsberg und dem westlich gelegenen Wald – ein Backenzahn eines ausgestorbenen Elefanten-Verwandten gefunden. Der Zahn lag neben einem Gehweg auf einem Haufen Erdreich. Der Finder erkannte sofort, dass es sich um einen Zahn handelte. Er nahm ihn mit zu sich nach Hause und legte ihn auf die Fensterbank. Zweieinhalb Monate später übergab der Finder den Zahn dem Naturama und wollte wissen, ob dieser präparierbar wäre. Da der Zahn die ganze Zeit der Sonne und trockener Luft ausgesetzt war, zerfiel er leider bereits in einzelne Teile.

Von welchen Ahnen stammt Manis Backenzahn?
Aufgrund des sehr schlechten Zustandes des Objekts waren die Verantwortlichen im Naturama sich nicht sicher, ob eine weitere Untersuchung Sinn machen würde. Dennoch wandten sie sich an die Kantonale Fachstelle Geologie. Der Zahn lag in einem Karton und war weiter zerfallen. Trotzdem konnte man an manchen Teilen den Zahnschmelz erkennen und so wurde entschieden, ihn zu einem Spezialisten zu bringen. Manis Zahns reiste also weiter zu Dr. Heinz Furrer, einem anerkannten Paläontologen und ehemaliger Konservator im Paläontologischen Institut und Museum der Universität Zürich. Mit viel Geschick setzte dieser das gute Stück wieder zusammen – soweit möglich – und untersuchte es.

Stratigrafisch wichtiges Fossil
Furrer kam zu folgendem Ergebnis: «Es ist eindeutig ein zerfallener Oberkieferbackenzahn eines Mammuts, noch gar nicht angekaut, also ein ursprünglich noch im Oberkieferknochen wachsender Zahnkeim (M2 sup) – die zweitletzte Backenzahngeneration eines jungen, aber fast ausgewachsenen Mammuts. Normalerweise würde ich den Zahn mit grosser Wahrscheinlichkeit dem Wollhaarmammut (Mammuthus primigenius) zuordnen. Gemäss der angegebenen Fundlokalität stammt der Zahn aber aus den Tieferen Deckenschottern, also aus dem Frühen Pleistozän (zirka 2,6 bis 1,8 Millionen Jahre vor heute). Da käme vom geologischen Alter her aber eigentlich das Steppenmammut (Mammuthus trogontherii) oder sogar der Südelefant (Mammuthus meridionalis) in Frage.»

Zusätzlich stellte Furrer fest, dass der Zahn leider ausgetrocknet und die Zahnschmelz- und die Dentinlamellen (Zahnzement) so stark verbogen waren, dass der Zahn nicht mehr ohne Lücken zusammengesetzt werden konnte. Er empfahl, den Zahn aber auf jeden Fall aufzubewahren – am besten ohne weitere Behandlung mit Leim usw. – da es sich um ein stratigrafisch wichtiges Fossil handelt. So reiste der Zahn des jungen Mammuts Mani weiter zu den Präparatoren Gebr. Imhof und kehrte im Oktober 2019 ins Naturama zurück.

Schwierige Altersbestimmung
Aufgrund von Grösse, Form usw. erschien es unwahrscheinlich, dass der Zahn aus dem Höheren Deckenschotter (Früheres Frühpleistozän, zirka 2,5 bis 1,8 Millionen Jahre vor heute) hätte stammen können. Doch der der Fundort war noch immer nicht genau bekannt. Es wurde deshalb ein neuer Versuch unternommen, die genaue Fundlokalität zu eruieren. Kurt Meier, Mitglied der Kommission für Natur und Landschaft der Gemeinde Olsberg, liess sich vom Finder die genaue Fundstelle zeigen. Es stellte sich heraus, dass unmittelbar neben der Fundstelle gemäss Angaben von Herrn Meier die geologische Schicht des Höheren Deckenschotter ansteht.

Beizug eines holländischen Mammut-Spezialisten
Leider kam nun Corona dazwischen, und weitere paläontologische Recherchen blieben liegen. Im Herbst 2021 wurde dann ein neuer Anlauf unternommen. Es wurden drei nach der Konservierung gemachte Fotos, die am besten die Lamellen zeigen, dem holländischen Mammut-Spezialisten Dr. Dick Mol gesandt, der die ursprüngliche Bestimmung von Heinz Furrer bestätigte. Er schrieb: «Meine Identifizierung des Backenzahnfragments, basierend auf den Bildern, die Sie mir geschickt haben, ist wie folgt: Fragment eines oberen Molaren (Backenzahn), eines M2 oder M3, wahrscheinlich von der rechten Seite des Oberkiefers eines Wollhaarmammuts (Mammuthus primigenius). Die Höhe der Lamellen ist viel zu hoch für ein Südelefant (Mammuthus meridionalis) oder ein Steppenmammut (Mammuthus trogontherii). Auch konnte ich die Dicke des Zahnschmelzes abschätzen, der so dünn ist, wie er nur bei Molaren des Wollhaarmammuts vorkommt. Der Backenzahn war beim lebenden Mammut nicht in Gebrauch. Ihre Identifizierung ist also korrekt.»

Somit war definitiv geklärt, dass der Zahn von einem jungen Wollhaarmammut stammt. Doch die Frage nach dem geologischen Alter des Fundes beziehungsweise der möglichen Fundschicht blieb weiterhin offen. Aufgrund der Identifizierung ist anzunehmen, dass der Fund aus einer jüngeren, dünnen jungeiszeitlichen Überdeckung der Tieferen Deckenschotter stammen müsste. Der Fundort in den Höheren Deckenschottern würde also auf eine Umlagerung, beispielsweise durch Erosion, hinweisen. Die tatsächliche Ablagerungsschicht bleibt aber wohl für immer unklar. Eine Altersdatierung ist allein aus dem Fund nicht möglich.

*Elizabeth Jacobs ist Fachspezialistin Rohstoffe und Geologie in der Abteilung Umwelt des Kantons Aargau.


Interessante Fundstücke direkt ans Naturama

Sollten auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, einen naturhistorisch interessanten Fund machen, fotografieren Sie den Fundort mit dem Fundstück und bringen Sie das Fundstück umgehend zum Naturama oder zur Fachstelle Geologie. Denn durch unsachgemässe Lagerung können sich Fundstücke verändern beziehungsweise geschädigt werden. Die Fachpersonen werden dann die nötigen Schritte in die Wege leiten, um zu versuchen, die wahre Geschichte Ihres Fundstückes ans Licht zu bringen. (mgt)


Grosser Schauwert

Es ist das erste Mal, dass in diesem Teil des Kantons Aargau ein solcher Fund zum Vorschein kam, daher ist der Schauwert des gefunden Backenzahns sehr gross. Ein Wollhaarmammut war etwa so gross wie der afrikanische Elefant. Es entwickelte sich vor etwa 800 000 bis 600 000 Jahren in Sibirien und bewohnte die kaltzeitlichen Steppen im nördlichen Eurasien und Nordamerika. (mgt)


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