Vom Verdingbub zum Fernsehstar

  02.10.2022 Etzgen, Persönlich

Das Leben von Jakob Schwitter gleicht einer Achterbahn: Er war Verdingkind, lebte als Obdachloser unter Brücken und chrampfte auf Baustellen. 27 Jahre lang faszinierte er Millionen von Menschen bei 57 TV-Auftritten in aller Welt, darunter sechs Mal bei «Wetten, dass..?», wo er als «Köbi, die Lunge» Bettflaschen und Lastwagenpneus aufblies bis sie platzten.

Paul Roppel

Jakob Schwitter ist sehr stolz darauf, dass es ihm durch sein ausgefallenes und imponierendes Können gelungen ist, sechs Mal in der TV-Sendung «Wetten, dass..?» vor einem Millionenpublikum aufzutreten. Sechs Auftritte sind ein Rekord, den niemand sonst erreicht hat. Elf Wetten hat er insgesamt eingegeben, fünf wurden angenommen und dreimal wurde er «Wettkönig».

Einen guten Draht hatte er zum Showmaster Thomas Gottschalk, was ihn zwischen 2004 und 2006 sogar fünfmal nach China gebracht hatte, wo er als einziger Europäer zweimal Wettkönig wurde. Die Sendung wurde dort nämlich eingeführt und hatte eine Einschaltquote von rund 100 Millionen Zuschauern. «Es war auch ein gewaltiges Gefühl, als ich 1988 in der zweiten Sendung von Gottschalk in Bremerhaven erstmals auftreten durfte», strahlt Schwitter, der «bärenstarke Schweizer», der schliesslich als «Köbi, die Lunge» tituliert wurde. Ihm gelang es, einen Lastwagenschlauch aufzublasen, bis er nach 28 Minuten platzte. 1990 folgte eine achttägige Reise nach Japan, wo er das Kunststück innert zwei Tagen zweimal am TV aufführen durfte. 1994 faszinierte er wieder bei Gottschalk, wo er durch einen 90 Meter langen Feuerwehrschlauch eine Bettflasche aus Gummi auf blies und zum Platzen brachte.

Den Ruhm genossen
Noch ausgefallener ging es sechs Jahre später zu, als er mit seiner unglaublichen Lungenkraft über einen sechs Kilometer langen Wasserschlauch in fünf Minuten einen Ballon auf blies und zum Explodieren brachte. Zwei Jahre später in Paris standen 100 Leute auf einem 90 Meter langen Schlauch durch den Schwitter einen Ballon bis zum Platzen auf blies. Das Schlussbouquet folgte 2014, als er innert drei Minuten einen Hebesack aufpustete, damit dem darauf platzierten Rennauto die Räder gewechselt werden konnten. Schwitter ist in 57 TV-Sendungen in der Schweiz, Holland, Deutschland, Italien, Griechenland, Japan und China aufgetreten. «Ich war schon etwas angefixt, habe nach noch ausgefalleneren Ideen gesucht und habe den Ruhm genossen», gibt er zu.

Er war zudem Gast bei Kurt Aeschbacher und hatte zwei Jahre lang in 14 Sendungen ein Engagement im «Donnschtig-Jass» bei Monika Fasnacht. «Vieles ist aber hinter den Fassaden leider mehr Schein als Sein», sagt Jakob Schwitter geläutert, der für seine Unerfahrenheit auch Lehrgeld bezahlen musste. Bei den meisten TV-Engagements habe er nur eine bescheidene Entschädigung von etwa 400 Euro erhalten, fügt er an, was den Lohnausfall nicht kompensiert habe. Wenigstens seien Flüge, Unterkünfte und Verpf legung immer billiger geworden.

Ein krasses Leben
Um den 69-Jährigen, der 2011 nach Gansingen gezogen war und nun seit drei Jahren in Etzgen in bescheidenen Verhältnissen lebt, ist es ruhig geworden. Im Gegensatz zu seiner robusten Konstitution ging dem hektischen Rummel um seine Person die Puste aus. Fischen und Meditieren unterstützen ihn bei der gefundenen Gelassenheit. «Es fällt mir inzwischen leichter, über Erlebtes zu reden», sagt Schwitter zur NFZ, der eine krasse Jugendzeit durchgemacht hatte. Geboren wurde er in Casablanca in Marokko, wo er mit vier Brüdern hauptsächlich auf der Strasse aufwuchs. «Der Vater war Schweizer, aber ich habe ihn noch nie gesehen», erzählt er. «Das letztemal sah ich meine Mutter als Siebenjähriger, als sie uns einen Zettel um den Hals hing, uns zum Flugplatz brachte und uns nach Genf verfrachtete», erinnert er sich. Mit einem Vormund versehen, landete er in einem Kinderheim in Klingnau, getrennt von den Brüdern. «Da ich nur französisch und arabisch sprach, hat man mir auf brutale Art Deutsch beigebracht», erzählt Schwitter. «Kannte ich das deutsche Wort für Brot oder ein Gemüse nicht, wurde es bei mir abgetischt und ich blieb hungrig», berichtet er weiter. «In der Freizeit und den Ferien wurden wir zum Arbeiten an Bauern vermietet. Das Sackgeld wurde uns sofort abgenommen», fährt er fort und ergänzt, dass er sich trotzdem immer auf die Einsätze bei den Bauern, wegen der guten und reichlichen Verpf legung, gefreut hatte.

Eine harte Zeit
«Freitags wurden wir im Keller in der Badewanne geschrubbt und nach jedem siebten Badenden wurde das Wasser erneuert, dann bekamen wir andere Kleider», bringt er eine weitere Episode an.

«Im Gegensatz zu den anderen Kindern kam mich nie jemand besuchen und zu Weihnachten erhielt ich keine Geschenke. Sieben Jahre als Staatskrüppel im Heim war eine harte Zeit», resümiert Schwitter. Die Politik hat inzwischen das Unrecht, welches den Verdingkindern widerfahren ist, mit einer finanziellen Entschädigung als Wiedergutmachung abgegolten, wodurch er 25 000 Franken erhalten habe, merkt er an. Geborgenheit, Zuneigung und Wärme habe er nie gekannt, hält er fest. Während der Realschule wurde er für zwei Jahre zum Arbeiten an zwei Bäuerinnen vergeben. «Um fünf Uhr musste ich die Kühe melken, von dort ging es direkt in die Schule. Alle haben wegen des Stallgeruchs weit Abstand genommen. Die Zeit als Ausgestossener und Einzelgänger ging weiter», erinnert sich Schwitter.

«Der Teufelkreis drehte sich weiter in der Lehre als Schlosser, wo ich Kost und Logis hatte. Abgemagert, stets hungrig, kränklich, schwache Schulbildung und an Wochenenden zum Putzen ausgenützt, brach ich nach zwei Jahren ab und rebellierte beim Vormund. Der fand, dass ich Koch lernen sollte, da sei ich an der Quelle», lächelt Schwitter. Joblos und ohne Unterkunft übernachtete er eine Zeitlang unter Zürcher Brücken und duschte sich im Volkshaus.

Unzählige Auftritte erlebt
Erst nach der Rekrutenschule als Gebirgsfüsilier, wo er den kargen Sold mit Wochenendarbeiten ergänzte, kamen mit dem Wechsel in die Gastronomie einige gute Jahre, wo er sogar die Fahrprüfung bestand. Er jobbte über die Jahre als Eisenleger, Nachtwächter, Begleitschutz und Bodygard. Er stieg in das Metier Bau- und Fugenabdichtung ein und machte sich damit selbständig. Es lief gut und zum Ausgleich ging er ins Fitnesstraining, später optimierte er seine Figur mit Bodybuilding.

Aus einer Bierlaune heraus hat Schwitter mal problemlos eine Bettf lasche aus Kunststoff bis zum Platzen aufgeblasen. Diese Attraktion brachte ihn nun mit einem Trainingskollegen zu unzähligen Auftritten in Discotheken, Clubs und privaten Anlässen in der ganzen Schweiz. «Wir waren zwei Jahre auf Achse und die Wochenenden waren f inanziert», schmunzelt Schwitter. «Die aufblasbaren Dinge wurden immer grösser: Veloreifen, Luftmatratzen, Wasser- und Luftbetten sowie schliesslich Lastwagenreifen», lacht er. «Als beim Training der erste LKW-Reifen endlich platzte und die Fensterscheibe zersplitterte, stürmte wegen dem vermeintlichen Schuss gar die Polizei in die Wohnung», gibt Schwitter eine Anekdote zum Besten. Mit 60 hat er mit dem Pusten aufgehört. Während seiner Puste-Kariere hat er rund 4000 Wärmeflaschen und 600 LKW-Reifen zum Platzen gebracht.


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