Urs Niggli fordert mehr Bescheidenheit

  18.10.2022 Bözen, Böztal

«Forum Botia» zu Landwirtschaft und Welternährung

Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit, Klimawandel. Am «Forum Botia» in Bözen sprach Professor Urs Niggli über Strategien zur Bewältigung des Ernährungsproblems, über die Notwendigkeit, bäuerliches Wissen gepaart mit moderner Wissenschaft zu nutzen und er forderte alle auf, im Konsumverhalten bescheidener zu werden.

Simone Rufli

«Die Aufgabe der Landwirtschaft ist es, die Menschen zu ernähren», sagte Niggli. Diesem Auftrag sei die Landwirtschaft im letzten Jahrhundert durch Technisierung und Ertragssteigerungen gut nachgekommen. «Sehr gut sogar, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerungszahlen massiv gestiegen sind, während die Nutzflächen nur wenig umfangreicher geworden sind.» Nur sei diese Ertragssteigerung nicht ohne Degradierung der Böden, Erosion, hohen Wasserverbrauch, Belastung der Ökosysteme und Verlust von Biodiversität möglich gewesen.

«Kann eine wachsende Menschheit nachhaltig ernährt werden?», fragte Niggli, der in der Gesellschaft zunehmend Ängste und eine gewisse Innovationsfeindlichkeit feststellt. «Bis 2050 leben 75 Prozent der Menschen in Städten. Genug Lebensmittel von ausserhalb in die Grossstädte zu befördern, wird eine der grössten logistischen Herausforderungen werden.» Urbane Landwirtschaft müsse deshalb in die Städteplanung einbezogen werden.

Die Gier ist das Problem
Eine alleinige Lösung gebe es aber nicht. «Es ist auch ein naiver Glaube zu meinen, wir hätten die Lösung, wenn alles Bio oder vegan wäre.» Bio- Landbau bringe 15 bis 45 Prozent weniger Ertrag. Es brauche kleinbäuerliche und industrielle Landwirtschaft. Sicher aber müsse der Pflanzenschutz massiv reduziert werden.

Die einfachste Lösung heisse Suffizienz, Bescheidenheit, stellte Niggli fest und zitierte Mahatma Gandhi: «Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.» Es brauche ein Miteinander von bäuerlichem Wissen und moderner Wissenschaft, fernab von Polarisierung und Ideologie. Konsumentinnen und Konsumenten, die die Veränderung mitlebten, indem sie ihr Ernährungsverhalten ändern, 65 Prozent weniger Fleisch konsumieren und 50 Prozent weniger Lebensmittel wegwerfen. «Der grosse Druck auf weitere Ertragssteigerungen für eine wachsende Menschheit kann gemildert werden, wenn weniger Lebensmittel verschwendet und weniger Getreide als Tierfutter verwendet werden.»

Insekten und Algen auf unseren Tellern, Hightech-Produktion, die Widerherstellung degradierter landwirtschaftlicher Nutzf lächen und auch die Offenheit gegenüber neusten Entwicklungen in der Gentechnik (Genom-Editierung) sowie die weitere Automatisierung der Landwirtschaft mit Hilfe von vielen kleinen, digital gesteuerten Robotern anstelle von schweren, Boden verdichtenden Maschinen, müssten ebenfalls Teil der Lösung sein, so Niggli.

In Forschung und Beratung tätig
Niggli gilt als weltweit führender Agrarwissenschaftler, der bis März 2020 Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick war. Unter ihm ist das FiBL von 20 Mitarbeitenden auf heute über 200 gewachsen und zu einer führenden Biolandbau-Forschungseinrichtung geworden, die er zu einem europäischen Netzwerk mit Standorten in Deutschland, Frankreich, Österreich und Ungarn sowie einer Vertretung in Brüssel weiterentwickelt hat. Seit 2022 ist Niggli Präsident des von ihm gegründeten Forschungs- und Beratungsinstituts Agroecology Science. Als Mitglied der Scientific Group des UNO-Generalsekretärs hat er den Welternährungsgipfel 2021 mitvorbereitet.

Im Namen des organisierenden «Forum Botia» konnte Stefan Höchli am Donnerstagnachmittag knapp 70 Personen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Saal des Restaurant Zur Post begrüssen. Darunter Ralf Heinemann von Hauptsponsor Raiffeisenbank Regio Frick-Mettauertal. Das «Forum Botia» war im Jahr 2009 als Plattform zum Austausch zwischen den Regionen Brugg und Fricktal ins Leben gerufen worden. Diese Brückenfunktion soll die Veranstaltung weiterhin wahrnehmen, auch wenn Bözen als Teil von Böztal seit Jahresbeginn nicht mehr zum Bezirk Brugg, sondern neu zum Bezirk Laufenburg gehört. Für die nächste Veranstaltung, am 19. Oktober 2023, kündigte Patrizia Stocker vom «Forum Botia» den Umweltphysiker und Klimaforscher Thomas Stocker von der Uni Bern an. Er wird der Frage nachgehen, ob wir die Klimakrise noch im Griff haben.


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