Strommangellage und Lebensmittelmarken
23.09.2022 FricktalProjekt «kriegsnachrichten.ch»: 4. Quartal 1942 - Kriegswirtschaft
Thomas Bitterli
Grosse Bedeutung des Kriegsernährungsamts KEA
Eine bundesrätliche Verordnung vom 8. März 1938 regelte bereits vor dem Krieg den Aufbau einer kriegswirtschaftlichen Organisation unter der Leitung der Eidgenössischen Zentralstelle für Kriegswirtschaft (EZK). Dank diesen Vorbereitungen konnte am 4. September 1939 die Kriegswirtschaft in Kraft treten; sieben Ämter nahmen sofort ihre Tätigkeit auf. Für die Bevölkerung und damit folglich auch für die Leserinnen und Leser des «Frickthalers» war das Kriegsernährungsamt KEA von grosser Auswirkung. Dem KEA oblag die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung durch die Rationierung. Dabei sollte der Schutz der wirtschaftlich Schwachen gegenüber den begüterten Volksschichten, die immer Ausweichmöglichkeiten f inden, scharf im Auge behalten werden. Geregelt wird die Rationierung zur Hauptsache durch die Lebensmittelkarte und die Mahlzeitenkarte (für Verpflegung im Gasthaus), zwei Gegenstände, die während fast 10 Jahren (letzte Lebensmittel-Rationierungen bis Juni 1948) den Alltag in der Schweiz prägten.
So erscheinen denn im Betrachtungszeitraum Juli bis September 1942 fast in jeder Nummer des «Allgemeinen Anzeigers für das Fricktal» Berichte über das KEA, über neue Verordnungen zur Karte oder generell zur um sich greifenden Unzufriedenheit der Bevölkerung wegen der stetig ändernden Rationierungsvorschriften. Breiten Raum nimmt auch die Kritik an jenen Gesellschaftsschichten ein, die auf zahlreichen Wegen die Rationierung zu umgehen suchten (Wucherer, Schieber, Volksschädlinge).
14 Tage fleischlos…
Das beginnt im Frickthaler 76 (7.6.42) mit dem Titel 14 Tage fleischlos. «Es wird niemand daran sterben, dass vom 8. bis 22. Juli kein Fleisch verkauft ...werden kann.» Das schlimmste an diesem Fleischverbot sei der Eindruck, dass den Behörden, die doch lange genug alles durchdacht und vorbereitet haben, die Situation entglitten sei. Ein gewichtiger Grund sah der Kommentator in der laschen Haltung bei den Strafuntersuchungen bei Vergehen wider kriegswirtschaftliche Erlasse. Die gesetzwidrigen Geschäfte rentieren deshalb zu gut, als dass sich die Täter von den Strafen beeindrucken liessen. Die Amtsstellen sollen doch entschiedener und härter gegen diese ‚Gschäftlimacher’ vorgehen. «Mag oft über Behörden und vornehmlich über die Kriegswirtschaft geschumpfen werden», so bleibe doch bei einem Grossteil der Bevölkerung das Vertrauen in das KEA, dass die nationale Disziplin und der soziale Frieden garantiert seien.
Drei Nummern später (Frickthaler 79, 13.7. 42) erscheint der Titel «Eidgenössischer Kleinkrieg». Der Artikel beginnt «Es gibt in diesem Krieg keine Toten, vom Schlachtvieh abgesehen... Der Streit um die seltsam krummen Wege unserer Fleischversorgung... beleuchte einen solchen Kleinkrieg». Es gäbe aber noch viele daneben und sie «mehren sich, je länger der grosse Krieg ausserhalb unserer Grenzen dauert ... Uns und unsere Heimat interessiert heute nicht so sehr, wer Recht hat als wer willens ist, selbst ernst zu machen mit der nationalen Bereitschaft und mit den Verzichten, die heute nötig und für unsere ganze Zukunft wesentlicher sind als ... diese Streitigkeiten.»
«Einkaufstourismus»: Emmental wird zum Wochenendreiseziel
Seit der Fleischrationierung wird das Emmental zu einem richtigen Wochenend-Reisegebiet („Fress-Bädli“), mit dem Ziel, mit vollem Gepäck (Fleisch, Eier, Butter etc.) in die Städte zurückzukehren. Im Frickthaler 97 (24. 8. 42) wird denn von einer Polizeirazzia am Bahnhof Signau berichtet, bei der «zwei sehr schöne Hammen, die gegen 200 Franken gekostet hatten, Speck in ausgiebiger Menge ... Für Eier wurden 80 Rappen bis 1 Franken bezahlt, nur um sie zu bekommen».
Solche Hamsterer («Volksschädlinge») bekommen denn auch rauhere Töne zu hören. So wünscht sich ein Kommentator im Frickthaler 99 (24. 8. 42) das Wiedereinführen der Bastonnade (Sohlenstreich-Strafe).
Anlässlich der Feier zum Gedenken an die historische Schlacht am Stoss (17.6.1405) spricht Bundesrat Karl Kobelt diese Situation an (Frickthaler 86, 29.7.42). Er rief zur staatsbürgerlichen Disziplin und zum inneren Frieden auf. «Wie klein sind die uns auferlegten Einschränkungen verglichen mit den gewaltigen Opfern ... die die Völker der kriegsführenden Staaten zu bringen haben. ... Unzufriedenheit schafft Uneinigkeit, Uneinigkeit erhöht Not und Gefahr.»
Noch deutlicher bringt es der Beitrag «Bewährung» im Fricktaler 97 (24.8.42). «Bewähren muss sich unser Volk im Ganzen, wir alle, Du und ich. Wir müssen die Einsicht haben in die Not unserer Zeit, eine Not, die nicht nur bei der Kaffeebohne anfängt und beim fehlenden Cottelet aufhört ... Bewähren müssen wir uns im Opferbringen ... Genügsam und vernünftig sein heisst diese Forderung. Wenn etwas mangelt, dann soll der eine nicht dem anderen die Ration wegzuschnappen versuchen, sondern wir sollen uns als wirkliche Eid-Genossen bestätigen und jedem das Seine lassen. Nicht immer das Wort ‘Opfer’ im Munde führen und denken, der liebe Nächste soll dieses Opfer bringen.»
Um der allgemeinen Unzufriedenheit über die Rationierungen etwas den Boden zu entziehen, veröffentlichte der Frickthaler 85 am 24. 7. 42 einen «Bericht über Lebensmittelrationen bei uns und im Ausland». Nur in England, Irland, Portugal und in der Schweiz ist das Brot noch nicht rationiert. «Dass wir in unserem von einem doppelten Blockadering umgebenen Binnenlande sogar im 34. Kriegsmonat noch kartenfreies Brot essen können, sollte allein schon jeden Schweizer und jede Schweizerin mit Dankbarkeit erfüllen.» Nach der Darstellung der verschiedenen Rationierungsmengen in den umliegenden Ländern schliesst der Bericht mit dem Fazit: «alles in allem darf festgestellt werden, dass, gemessen an den Zuteilungen in anderen Ländern, der Schweizer wenig Ursache hat, über knappe Rationen zu klagen.»
Monatlich 22 Rationierungskarten
Aber das Lesen (und Verstehen) der Mitteilungen des KEA erforderte viel Aufmerksamkeit. «Mit sofortiger Wirkung dürfen sämtliche gültigen Fleischcoupons einschliesslich der blinden für den Bezug von Fleisch in Kraft gesetzten Coupons R 4 bis R 7 und S 1 bis S 4 der Septemberlebensmittelkarte in Grossbezügercoupons für Käse und Hülsenfrüchte umgetauscht werden...» (Frickthaler 101, 2. 9. 42). «Es wird daran erinnert, dass die braunen August-Fleischcoupons ... bis 5. Oktober gültig sind. Die Gültigkeit der goldgelben Juli-Fleischcoupons ist bis 5. September verlängert worden. Die silbergraue September-Lebensmittelkarte weist ... keine Veränderungen der Rationen auf.» (Frickthaler 93, 14. 8. 42). In dieser Weise waren bis Ende des Krieges für eine vierköpfige Familie monatlich 22 Rationierungskarten in unterschiedlichen Farben zu verwalten.
Strommangel im Winter 1942
Der Verbrauch an elektrischer Energie muss auch für den Winter 1942/43 reduziert werden (Frickthaler 113, 30. 9. 22). Um den Wasservorrat der Speicherseen zu schonen, wird deshalb bereits ab dem 5. Oktober 1942 das Angebot an Strom eingeschränkt. So wird die Strassenbeleuchtung um 50 Prozent gesenkt, die Schaufensterund Reklamebeleuchtung ist nur bis 19 Uhr gestattet. Der Warmwasserbedarf im Privathaushalt ist deutlich eingeschränkt, so darf zum Beispiel der Badeboiler nur am Freitag abend bis Sonntagabend eingeschaltet werden.
Altstoffsammeln Modesache oder ernste Pflicht
Unter diesem Titel berichtet der Frickthaler 102 vom 4. 9. 42 über die immer noch fehlende Infrastruktur zum Einsammeln von Altstoffen. «Nicht die eidgenössischen Behörden haben da versagt, sondern jene Gemeinden, welche es noch nicht über sich gebracht haben, neben den Augustreden ... auch an den Abfall zu denken. Es ist höchste Zeit, dass wir Ernst machen mit dem, was für allzuviele leider immer noch eine gewisse Modesache ist.»
Hunde gegen Tanks
Wie der Frickthaler am 1. Juli 1942 berichtet, setzen die russischen Panzerabwehr-Einheiten neuerdings militärisch abgerichtete Hunde gegen Panzer ein. Die Hunde tragen einen Gürtel mit hochexplosiven Minen, die sich unter gewissen Voraussetzungen selbst auslösen. Eine dieser Hundeabteilungen habe kürzlich neun deutsche Panzer und zwei Panzerwagen zur Sprengung gebracht.
Diese Kampfmethode ist keine Erfindung der Russen; entsprechende Anleitungen mit Brandfackeln an Katzenschwänzen oder Taubenfüssen finden wir bereits in Kriegsbüchern aus dem frühen 15. Jahrhundert (1420–1440).
Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit
Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.
Als dieses Projekt vor 8 Jahren gestartet wurde, ging es um einen Rückblick auf schlimme, längst vergangene Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die Wahrnehmung in der lokalen Öffentlichkeit. Nie hätten es die Initianten des Projektes für möglich gehalten, dass wir heute in Europa wieder einen Krieg erleben müssen.
Thomas Bitterli, Autor des hier publizierten Beitrags, ist Historiker und Archäologe und arbeitet in der historischen Siedlungsforschung. (nfz)