Morgens um halb sieben taut sie Insekten auf

  23.07.2022 Möhlin, Persönlich

Anita Tota, Wildvogel-Pflegestelle Amselweg, Möhlin

Von März bis August dreht sich im Leben von Anita Tota alles um Vögel. Ist die Jungvogel-Saison vorbei, wird es am Amselweg ruhiger und die Zeit für den Besuch von Märkten bricht an.

Simone Rufli

Anita Tota empfängt die NFZ bei sich zu Hause am Amselweg. Im Garten ein grosser Laubbaum, neben dem Sitzplatz Vogel-Volieren, darin viele Äste und Zweige, grüne und braune Blätter, und dem Gezwitscher nach zu urteilen, aber gut versteckt, zahlreiche Vögel. «Sind sie in einer dieser Volieren, naht der Moment, an dem ich sie wieder in die Freiheit entlassen kann», erklärt Anita Tota. In der Aussen-Voliere würden die Vögel wieder ans natürliche Klima angewöhnt und sie trete in dieser Phase denn auch kaum mehr in Kontakt mit ihnen. «Handaufzuchten erhalten dann auch noch zwei bis drei Duschen, da sie ihr Gefieder erst richtig zu pflegen beginnen, wenn sie zuvor nass geworden sind.»

In den ersten Tagen kämen die ausgewilderten Vögel noch hie und da auf einen Besuch zurück, bald nicht mehr. Ganz Aussergewöhnliches ereignete sich vor ein paar Wochen bei der Auswilderung einer Kohlmeisen-Gruppe. «Einer kehrte hartnäckig immer wieder zurück. Als ich ihn näher anschaute, stellte ich fest, dass er sich verletzt hatte.» Ob er wusste, dass ihm am Amselweg ein zweites Mal geholfen wird?

1972 ins Fricktal gekommen
Anita Tota ist in Winterthur aufgewachsen, lernte Zoofachverkäuferin und Tierpflegerin. 1972 kam sie ins Fricktal. Auf die heimischen Wildvögel sei sie vor zwei Jahren aufmerksam geworden, als ihre Tochter ihre Abschluss-Arbeit mitunter über die Storchenstation geschrieben habe. «Die Storchenstation suchte gerade Leute für eine ehrenamtliche Mithilfe und ich dachte, mit meiner Ausbildung könnte ich eventuell nützlich sein.» Gesagt, getan.

Durch die Mitarbeit in der Station merkte sie bald, dass sie noch mehr machen möchte in Sachen Pflege. Ein Gedanke, der Anita Tota keine Ruhe liess. Schliesslich reichte sie beim kantonalen Veterinäramt ein Gesuch für eine Pflegebewilligung ein. Seit Oktober 2021 ist sie selbstständige und ehrenamtliche Leiterin ihrer eigenen Wildvogel-Pflegestelle am Amselweg in Möhlin – nomen est omen? Anita Tota lacht. «Wir sind schon vor zwanzig Jahren an den Amselweg gezogen. Aber vielleicht doch, mein erster Pflegling war tatsächlich eine Amsel.»

Trotz eigener Pf legestelle arbeitet sie auch weiter ehrenamtlich in der Storchenstation, dort wo die grösseren Wildvögel zur Pflege hingebracht werden. Allerdings immer gleichzeitig eingeteilt mit ihrer Tochter. «So ist sichergestellt, dass ich notfalls jederzeit nach Hause zu meinen Vögeln kann.» Die Vögel ein paar Stunden allein lassen, geht das denn nicht? «Bei manchen schon, nicht aber bei Jungvögeln. Sie müssen zirka alle 15 bis 30 Minuten gefüttert werden, um zu überleben.» Geht es einmal gar nicht anders, nimmt sie ihre Schützlinge in kleinen Thermoböxli mit.

Die nächste Anlaufstelle
Anita Tota ist bei der Vogelwarte Sempach, bei Bird Life, bei Polizeistellen, Gemeinden und bei der Jagdverwaltung auf der Liste. Bei all diesen Stellen ist ihre Telefonnummer hinterlegt. Ist sie die räumlich nächste Anlaufstelle – und das ist sie oft, weil es gar nicht viele davon gibt – wird ihre Nummer an Personen herausgegeben, die einen Vogel-Notfall melden.

Zurzeit werden am Amselweg 24 Pf leglinge betreut, viele aus dem Fricktal, vereinzelte von weit bis sehr weit her und mehr als ihr lieb ist aus der Region Basel. «Nichts gegen die Vögel aus Basel, aber die beiden Basel verlassen sich lieber auf das Angebot im Aargau, anstatt selber für eine gut funktionierende Auffangstation zu sorgen.» Das Telefon klingelt. Anita Tota geht ran, berät, erklärt. Als sie auflegt, lächelt sie. «Wieder ein Anruf aus Basel, ein Mauersegler wurde gefunden.

Täglich gehen bei Anita Tota viele solcher Telefonanrufe ein. Die Erstabklärung dauert meist etwa zehn Minuten. Ohne telefonische Vorabklärung nimmt sie keinen Vogel entgegen. «Es macht nur Sinn, wenn ein Tier wieder wildbahntauglich werden kann. Das heisst, er muss sich in absehbarer Zeit erholen, selber fressen und fliegen können. Ich habe eine Pflege- und keine Halterbewilligung. Gewisse Arten, wie Krähen-Vögel, Elstern etc. dürfen von Gesetzes wegen maximal 48 Stunden in einer Voliere gehalten werden. Ist absehbar, dass sie bis dann nicht wieder wildbahntauglich sind, dürfen wir sie gar nicht annehmen.»

Spenden willkommen
Jeder Vogel, der zu ihr gebracht wird, wird auf einem Datenblatt erfasst und erhält ein eigenes Nestlein im ehemaligen Büro von Anita Tota. In einem Regal greift sie nach einem Büchsli mit Insekten. «Die Insekten taue ich jeweils am Morgen um halb sieben auf. Andere haben Glacé im Tiefkühler, meiner ist voll von gefrorenen Insekten.» Sie lacht und füttert mit der Pinzette weiter. Weil auch immer wieder nackte Vogelbabys zu ihr gebracht werden, hält sie permanent einen Brutkasten warm. Ist ein Vogel verletzt, geht sie mit ihm zum Tierarzt. Dorthin geht sie auch, um Vögel einschläfern zu lassen. «Traurig, aber wenn es das Tierwohl erfordert, gibt es keinen anderen Weg.» Geld verlangt sie für die Betreuung nicht, Spenden nimmt sie dankbar entgegen. Ärztliche Behandlung, Medikamente, und vor allem das Futter schlagen teuer zu Buche.

Emotional wird Anita Tota, wenn sie von den vielen Fällen erzählt, in denen Laien sich erst bei ihr melden, nachdem sie tagelang selber versucht haben, ein aus dem Nest gefallenes, verletztes oder verwaistes Vögelchen zu pflegen. «Viele Leute wissen nicht, dass nackte, noch blinde Vögelchen wegen der Verdauung ausschliesslich spezielle Insekten verfüttert bekommen dürfen. Dann gibt es Vogelarten, die reine Vegetarier sind, die von Laien aber mit Hackfleisch fast zu Tode gefüttert werden.» Auch den Vögeln Wasser einf lössen, könne tödlich enden. «Sie nehmen genug Flüssigkeit über die Nahrung auf.» Die Folgen falscher Ernährung seien dicke Bäuche, verstopfte Kloaken und Qualen für die Tiere.

Ist der Sommer vorbei, kehrt am Amselweg Ruhe ein. Dann bleibt Anita Tota Zeit für das Basteln von Geschenkartikeln, die sie im Winterhalbjahr gerne an Märkten oder auch sonst über ihre Webseite online verkauft.


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