«Ich wollte Arzt oder Pianist werden»

  05.06.2022 Frick, Musik, Persönlich

Als Pädagoge ging er in die Landwirtschaft, weil er sich nach der Natur sehnte. Als Landwirt nahm er eine Pionierrolle im Biolandbau ein, dessen Entwicklung er im Stiftungsrat des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick mitprägte. In Zukunft müsse die Landwirtschaft in die Städte, sagt Martin Ott im Gespräch mit der NFZ.

Simone Rufli

Martin Ott ist zusammen mit sieben Geschwistern im Kunst- und Kulturbürgertum der Stadt Zürich aufgewachsen. Seinen engen Bezug zur Landwirtschaft verdankt er der Herkunft seines Vaters. «Mein Vater stammte aus dem Simmental. Die ganze Verwandtschaft grossmütterlicherseits lebte dort, darunter viele Cousins. Unsere Ferien haben wir immer dort verbracht.» Das Leben auf der Alp habe es ihm besonders angetan, erzählt der bald 67-Jährige. Trotzdem, nach der Matur wollte Martin Ott eigentlich Medizin studieren. «Arzt oder…», er hält inne und blickt durch die grosse Fensterfront der neuen Empfangshalle des FiBL hinaus ins Grüne, «Pianist.» Wie alle seine Geschwister hatte auch er ein Instrument lernen müssen; in seinem Fall wurden es zwei Instrumente, Klavier und Geige. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht: «Ich erinnere mich gut, wie meine Mutter – sie hatte das absolute Musikgehör – jeweils aus der Küche dazwischenrief, wenn ich Geige übte und statt einem C ein Cis spielte.»

Lehrer und Musiker
Sein Berufsziel änderte sich in dem Moment, als er früh Vater wurde. Anstatt ein langes Studium zu beginnen, entschied er sich für den Beruf des Lehrers. «Es herrschte damals Lehrermangel und fast noch wichtiger in meiner Situation: Ich konnte schon während der Ausbildung Schule geben und Geld verdienen.»

Nach wenigen Jahren, er fühlte sich zunehmend eingeengt im Schulzimmer, hängte er den Lehrerberuf an den Nagel und übernahm einen Hof. Die Ausbildung zum Landwirt folgte erst später. Fast klingt es wie eine Entschuldigung, wenn er sagt: «Ich bewundere Menschen, die sich ein Leben lang für eine einzige Sache einsetzen können. Mir war das nie gegeben. Mich zieht es von einem Ziel zum nächsten.»

Ein Hof, der Ja sagt
Als er zusammen mit seiner zweiten Frau diesen ersten Betrieb übernahm, war Martin Ott 25 Jahre alt und als Betriebsleiter mit dem Aufbau eines sozialtherapeutischen Hofes beauftragt. «Ich wollte immer einen Hof mit Menschen führen, einen Hof, der Ja sagt zu jedem, der kommt.» Einen Hof auch, der Landwirtschaft und Pädagogik verbindet. Denn, das hat er in all den Jahren immer aufs Neue erfahren: «Bei der Arbeit in der Landwirtschaft bilden sich sehr tragfähige Netze mit einem sehr hohen sozialen und pädagogischen Wert.»

Er fing an, mit Menschen zu arbeiten, die unter einer Beeinträchtigung litten. «Mit genug Händen, die anpackten, habe ich auf diesem Hof 17 Jahre lang mit Pferden mechanisiert und zu Beginn noch von Hand gemolken.»

Stets achtete er darauf, einen Hof zu führen, auf dem er seinem früh erwachten Interesse an der Forschung im Biolandbau nachgehen konnte. Wie kein anderer hat Martin Ott die ganze Forschungsentwicklung im Biolandbau mitgemacht. Früh kam er daher auch mit dem FiBL in Frick in Berührung. Bald sass er im Stiftungsrat, 2007 übernahm er das Präsidium von Otto Stich.

Der Arzt wohnt nicht in der Praxis
«Landwirtschaft ist eine Lebensart», sagt Martin Ott und grüsst eine Reihe von Personen, die gerade einen Seminarraum verlassen. Nach 30 Jahren ist er im FiBL zu Hause. Wobei, zu Hause war für ihn immer der Landwirtschaftsbetrieb. «Der Arzt wohnt nicht in der Praxis, der Lehrer nicht im Schulzimmer, aber der Landwirt lebt auf dem Hof, den er bewirtschaftet», ein entscheidender Unterschied, findet Martin Ott.

Es begann mit einer Beratung
Zu seinem zweiten Hof, jenem in Rheinau, war er über die Musik gekommen. Zusammen mit seinem Bruder Andreas, der damals in seiner Nähe «bauerte», hatte er die Band «Baldrian» gegründet und war bald im ganzen Zürcher Oberland bekannt. So bekannt, dass der Schritt in die Politik schon fast von selbst erfolgte. Ott wurde in den Zürcher Kantonsrat gewählt. Schliesslich, das war Ende der 1990er Jahre, fragte ihn der Regierungsrat an, ob er den Staatsbetrieb Rheinau – einst eine f lorierende Klinik – konzeptionell und im Biolandbau weiterentwickeln könne. «Die Beratertätigkeit entwickelte sich anders als geplant.» Martin Ott lächelt. «Am Ende wurde mir auch die Umsetzung meiner Pläne übertragen.» So kam Martin Ott zu seinem zweiten Betrieb, diesmal in Pacht.

Auch in Rheinau kümmerte er sich um Menschen mit Beeinträchtigungen und immer mehr auch um Jugendliche, die einen Time-Out-Platz benötigten. «Ich erhielt den Auftrag, mit Jugendlichen zu arbeiten, die nach der Schule noch keine Perspektive hatten.» Es ging schnell, da konnte er sich der vielen Anfragen von Schulleitern kaum mehr erwehren. Schliesslich wurde in Rheinau eigens eine Schule aufgemacht, die sich mit der Zeit zu einer Landwirtschaftsschule entwickelte, die immer mehr auch von Erwachsenen besucht wurde.

Ein Projekt wie in Rheinau brauche nicht nur ein grosses Herz, sagt Martin Ott rückblickend. «Es muss eine Reihe von Aufgaben erfüllt werden, in den Bereichen Soziales, Forschung und Wirtschaft.» Heute arbeiten auf der Rheinau, die Studierenden eingeschlossen, rund 250 Leute. Martin Ott ist daran, sich ganz aus dem Projekt herauszunehmen.

Der Ästhetik verschrieben
Mit seinem neusten, dem dritten Projekt, dem Hof des Klosters Schönthal in Langenbruck, sei er dort angekommen, wo er immer hinwollte. «Ich darf mithelfen, die Schönheit der Landwirtschaft zu steigern», umschreibt er seine, auf landschaftliche Ästhetik ausgerichtete, Zusammenarbeit mit einer Kunststiftung.

«Irgendwann», sagt Ott, «kommt doch jeder Mensch an einen Punkt, an dem er eine Beziehung zur Landwirtschaft will. Das kann sich darin äussern, dass er wissen will, woher seine Nahrung kommt, oder dass er in einem Hofladen einkaufen geht.» Dieser Trend werde sich mit dem Klimawandel weiter verstärken. Auf lange Sicht könne es deshalb nicht sein, dass man die Landwirtschaft immer nur von aussen in die Städte transportieren müsse. «Das Wissen, Nahrung ohne Abfall zu produzieren, oder auch zu kompostieren, muss zu den Städtern gebracht werden.» Noch stehe bei uns die Verbindung Städtebau und Landwirtschaft in der Ideenphase. «Um voranzukommen, braucht es Orte, wo man mit der Umsetzung anfangen kann». Und Menschen, wie Martin Ott, die diese Ideen dann mit Herzblut umsetzen.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote