Milchgenossenschaft und Dorfgeschichte

  29.05.2022 Kaiseraugst

Lokalhistoriker Mario Lützelschwab hat die Geschichte recherchiert

Früher gab es in Kaiseraugst einige Dutzend Landwirte. Mario Lützelschwab hat ein Buch über die Milchgenossenschaft geschrieben, die von 1886 bis 1974 bestand. Der Leser erfährt darin auch viel über die Dorfgeschichte.

Valentin Zumsteg

Er ist ein Ur-Kaiseraugster: Mario Lützelschwab kann seine Familiengeschichte bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Er erinnert sich aber auch noch gut, wie er als Bub jeweils die Milch im «Milchhüsli» im Dorf holen musste. «Zufällig erhielt ich Anfang 2021 die Gelegenheit, in alten Protokollbüchern der Milchgenossenschaft Kaiseraugst zu stöbern», erzählt der passionierte Lokalhistoriker. Schon beim Lesen der ersten Seiten habe ihn das Thema gefesselt. So kam er auf die Idee, ein Buch über diese Genossenschaft zu schreiben – es ist bereits sein achtes mit einem lokalen Thema. Er findet es wichtig, dass die alten Geschichten für die Nachwelt erhalten bleiben.

«Ein Geniestreich»
«Die Gründung der Milchgenossenschaft 1886 war ein Geniestreich unserer Gross- und Urgrossväter. Sie halfen damit den Bauern, den Bewohnerinnen und Bewohnern und der ganzen Gemeinde», sagt Lützelschwab. Am 19. Dezember 1886 fand die Gründungsversammlung im Restaurant Adler statt, 13 Personen waren anwesend. Zwei Jahre später zählte die Genossenschaft bereits 40 Mitglieder mit 107 Milchkühen. Durch die Genossenschaft konnten die Bauern die Milch dem 1865 gegründeten Allgemeinen Consum-Verein in Basel verkaufen. «Die Basler Bevölkerung litt in jener Zeit unter schweren materiellen Sorgen. Man war gezwungen, die allernotwendigsten Dinge zu beschaffen. Dazu zählte auch die Milch aus den benachbarten Kantonen», so Lützelschwab. Die Milch wurde damals jeden Morgen und jeden Abend mit der Bahn von Kaiseraugst nach Basel transportiert.

Die «Zankquelle»
Die Milchgenossenschaft half auch, die Wasserversorgung in Kaiseraugst zu verbessern, die damals noch sehr schlecht war. «Um die angelieferte Milch morgens und abends zu kühlen, brauchte es eine stabile Wasserversorgung», erzählt Lützelschwab. Deshalb verhandelte der Gemeinderat mit Füllinsdorf über den Kauf der Lochackerquelle. Diese Verhandlungen gestalteten sich schwierig, sie begannen 1885 und dauerten bis 1890; erst dann floss das dringend benötigte Wasser von der Quelle in Füllinsdorf bis zum Reservoir «auf der Schanz». Die Angelegenheit beschäftigte auch die Gerichte bis hinauf zum Bundesgericht. Denn von alters her hatten die Augster das Wasser zur Bewässerung ihrer Matten und für das Kleingewerbe genutzt. Sie wehrten sich dagegen, dass es plötzlich vollumfänglich nach Kaiseraugst geleitet werden sollte. Es war deswegen von der «Zankquelle» die Rede, sogar ein Gedicht wurde ihr gewidmet

In der Anfangszeit der Genossenschaft diente als Milchsammelstelle eine «Hütte am Rhein», die aber schon bald den Anforderungen nicht mehr genügte. So beschlossen die Genossenschafter, ein «Milchhüsli» an der Dorfstrasse bauen zu lassen, dieses konnte 1890 bezogen werden. Über die Genossenschaft wurden später auch Landmaschinen und landwirtschaftliche Geräte angeschafft, welche durch alle Mitglieder gegen ein kleines Entgelt genutzt werden durften.

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts veränderte sich das ehemalige Bauerndorf zusehends. «Durch die Industrialisierung sind die Bauernbetriebe damals auf drei Milchlieferanten zurückgegangen», erklärt Lützelschwab. So kam es, dass Ende 1974 an der letzten Generalversammlung die Auflösung der Genossenschaft beschlossen wurde. Im gleichen Jahr hatte die Genossenschaft im Gebiet «Im Sager» Land für 91 000 Franken an die Hoffmann-La Roche verkauft.

Die Genossenschaft gibt es schon lange nicht mehr – das ehemalige «Milchhüsli» steht aber immer noch, dort ist an der Kaiseraugster Chilbi jeweils ein Beizli eingerichtet.

Das Buch «Milchgenossenschaft Kaiseraugst 1886 – 1974» von Mario Lützelschwab ist in einer kleinen Auflage erschienen. Interessierte können ein Exemplar über den Autor beziehen.


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