Der Begriff «Weltkrieg» in der Kriegsberichterstattung und die Ukraine vor 80 Jahren

  21.05.2022 Fricktal

Projekt «kriegsnachrichten.ch»: Rückblick auf das zweite Quartal 1942

Andreas Rohner

Bei der Recherche dieses Artikels stellte ich mir die Frage, ab wann sich der Begriff «Weltkrieg» in der hiesigen Presse finden lässt. Die Kampfhandlungen im zweiten Quartal 1942, insbesondere in der Ukraine, sind ein weiterer Schwerpunkt.

Kriegsnachrichten werden immer in einer Kriegsbezeichnung zusammengefasst. Der laufende Krieg wird als «Putins Krieg» oder «Krieg in der Ukraine» bezeichnet. Viel wird nun spekuliert, ob sich daraus ein dritter Weltkrieg entwickeln kann. Der Verein «Kriegsnachrichten.ch» thematisiert den ersten und aktuell den zweiten Weltkrieg im Spiegel der Fricktaler Presse. Die Kriegshandlungen ab 1914, ausgelöst durch das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo am 28.06.1914 erhielten die Bezeichnung «Weltkrieg» bereits in den ersten Tagen der Kampfhandlung, obwohl die Kämpfe vorerst nur in Europa stattfanden. Die Angst vor weltweiter Kriegshandlung schien bereits als Gespenst vor Beginn der Kampfhandlung existiert zu haben. Die «Volksstimme aus dem Frickthal» schreibt in einem Artikel vom 30. Juli 1914 unter dem Titel «Ruhig Blut behalten! […] Die Entscheidung, ob der lange schon prophezeite Weltkrieg zum Ausbruch kommt, liegt bei Russland». Zwei Tage vorher, am 28.Juli, erklärte Österreich Serbien den Krieg, der sich zum «Grossen Krieg», dem «Ersten Weltkrieg» als Überbegriff entwickelte.

Eine Woche nach der Kriegserklärung, am 6. August, titelte die «Volksstimme aus dem Frickthal» einen Artikel noch mit «Der europäische Krieg» und darin: «Der welthistorische Moment einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich und England ist also angebrochen», die «Neue Rheinfelder Zeitung» wählte jedoch für einen Artikel schon den Titel: «Vom Weltkrieg […]»

Am 22. August 1914 titelt die «Volksstimme aus dem Frickthal» zum ersten Mal «Der Weltkrieg». Darin: «Seit Jahren hat man vom kommen-den Weltkrieg gesprochen als Sensationstitel über die Nachrichten vom europäischen Kriegsschauplatz gesetzt. Mit dem Ultimatum von Japan an Deutschland haben wir nun wirklich den Weltkrieg».

25 Jahre später, im September 1939, brach der «Zweite Weltkrieg» mit dem Überfall auf Polen aus. Aber als «Weltkrieg» wurde er lange nicht genannt.

Am 26. August 1939 schreibt die «Neue Rheinfelder Zeitung»: «Europa über dem Abgrund» und in der nächsten Ausgabe vom 29. August: «Europäische Kriegswirren, Japan profitiert.»

Beim heute offiziellen Beginn des 2. Weltkrieges lesen wir: «Blut fliesst zwischen Deutschland und Polen».

Gleichentags beginnt die Mobilmachung in der Schweiz, General Guisan wird als General von der Bundesversammlung gewählt. Interessanterweise erscheint während der ganzen Kriegszeit kaum ein Artikel, in welchem der Begriff «Weltkrieg» verwendet wurde, meistens war vom «Krieg» die Rede. Zum Beispiel beschreibt die «Volksstimme aus dem Frickthal» am 13. Mai 1942 die letzten Tagesereignisse nur kurz in einer halben Spalte: «Krieg – An der Ostfront […] Im Fernen Osten […] Im Pazifik […]»

Lediglich am 23. Mai 1942 schreibt die «Volksstimme aus dem Frickthal» einen Artikel mit dem Titel: «Weltkriegspfingsten 1942» und «der Frickthaler» am 29. Mai 1942 in «kurze Meldungen – 1000 Tage Zweiter Weltkrieg […]».

Selbst über das Kriegsende am 9. Mai 1945 wird am 12. Mai wie folgt kurz geschrieben: «Zum Tag des Kriegsendes […] Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandabkommens in Reims und Berlin ist der Krieg in Europa um 24.01 Uhr in der Nacht auf den Mittwoch zu Ende gegangen.»

Die Kapitulation Japans am 10. August 1945 wird als «Das Ende des Krieges in Ostasien» betitelt, bzw. am 14. August: «Der Krieg ist aus!»

Der Begriff «2. Weltkrieg» wird von Historikern erst später einheitlich eingeführt.

Im Gegensatz dazu fand der Begriff «3. Weltkrieg» bereits in den 50er, zu Beginn des «Kalten Krieges», Verwendung. Der Begriff wurde infolge auch zum Synonym der atomaren Kriegsgefahr zwischen den USA und der UdSSR gebraucht.

Heute bekommt die Bezeichnung leider wieder eine grosse Bedeutung: Die atomare Auseinandersetzung als mögliches Szenario der Eskalation von «Putins Krieg».

Ukraine 1942
Ab Juni 1941 war die Ukraine auch Schauplatz massiver kriegerischer Handlungen, welche aber als «Krieg im Osten» oder «Krieg in Russland» in den lokalen Zeitungen bezeichnet wurden. Mit dem Überfall auf Russland stiess die deutsche Heeresgruppe Süd in die Ukraine vor. Bis Ende des Jahres 1941 war die ganze heutige Ukraine von der Wehrmacht besetzt. Grosse Massaker wurden in dieser Zeit verübt, unter anderem am 26. September 1941 das Massaker von Babi-Jar in Kiew, bei dem binnen zweier Tage rund 34 000 Juden ermordet worden waren. Solche Gräueltaten fanden selten Eingang in die Presse. Ein Beispiel waren etwa die Hinrichtungen im Zusammenhang mit der Ermordung Reinhard Heydrichs (Attentat am 27. Mai 1942, er starb am 4. Juni 1942).

«Der Frickthaler» berichtet am 5. Juni 1942: «Heyderich gestorben […]» etwas später unter «kurze Meldungen in Böhmen wurden wegen des Anschlages auf Heyderich bis zum 2. Juni 110 Erschiessungen vorgenommen. Auch Frauen und Kinder befinden sich darunter.» und am 26. Juni: «Neues Strafgericht in Böhmen – die Ortschaft Lezaky zerstört […] Die erwachsenen Einwohner wurden standrechtlich erschossen […] Nach Meldungen aus Prag wurden 200-300 männliche Personen erschossen.»

Am 8. Mai 1942 starteten die Deutschen in der Ukraine die Sommeroffensive, welche Monate später im Winter in Stalingrad endete. Am 16. Mai schrieb die «Volksstimme aus dem Frickthal»: «Krieg – Ostfront – Militärische Kreise in Berlin betonen, dass der Kampf, der am 8. Mai begonnen habe, zum Kampf um die Ausgangsstellungen für die Sommeroffensive gehöre. […] Die zuständigen Stellen geben bekannt, dass die deutschen Truppen auf der Krim eine neue Waffe einsetzten, vor der sich die Russen vollständig überraschen liessen. […] General Timochenko hat nach russischer Meldung an der Front von Charkow überraschend schnell die Deutschen angegriffen, die Verteidigungslinie durchbrochen und den Feind zurückgeworfen. Ebenso bei Smolensk und Kalinin […]»

Am 21. Mai berichtet die Zeitung: «An der Ostfront haben die Deutschen zum Gegenangriff angesetzt […] Auf russischer Sicht wird mit einem Generalangriff auf Sebastopol gerechnet […]».

Am 27. Mai: «An der Ostfront ist bei der Schlacht um Charkow nach kurzer Pause die Kampftätigkeit neu entflammt. […]».

Am 2. Juni 1942: «Die Schlacht um Charkow ist, wie von russischer und deutscher Seite, nach und dreiwöchiger Dauer beendet. […] Russen wie Deutsche beanspruchen für sich den Sieg. […]»

Noch zur Jahresmitte, Ende Juni 1942, sind die Kämpfe heftig. «Bei Charkow hat das Ausmass der Kampfhandlungen zugenommen» schreibt die «Volksstimme aus dem Frickthal».

Doch nicht nur in der Sowjetunion wurde erbittert gekämpft. Die Briten flogen fast täglich Bombenangriffe auf die europäischen, von Deutschland besetzten Gebiete, in Nordafrika agierte Rommel gegen die Briten, in Südostasien und im Pazifik bis hinunter nach Australien gab es Kampfhandlungen mit den Japanern.

Am 7. Mai berichtet die «Volksstimme aus dem Frickthal» über die Fliegerangriffe in Europa: «Im Westen griffen englische Flieger le Havre, Zeebrügge, Nantes, Stuttgart […], Flugplätze in Nordfrankreich, Schiffsziele vor der norwegischen und holländischen Küste, Deutschland hingegen die englischen Stützpunkte Cowes und Eastborne an.»

Im Juni 1942 erlitt Japan bei den Midway-Inseln seine erste grosse Niederlage auf dem Meer. «Eine See und Luftschlacht in den Midway-Inseln […] das die Japaner folgende Verluste erlitten: Drei Flugzeugträger versenkt, ein Flugzeugträger Schlagseite durch Torpedotreffer in den Bug, ein Schlachtschiff am Absinken […]» schreibt «Der Frickthaler» am 8. Juni.

Meldungen ohne Ende finden sich in jenen Tage über die Kriege in der Welt und noch weitere drei Jahre blieb es weiter so. Dies wussten die Fricktaler dazumal noch nicht. Wie erdrückend und hilflos mussten sich die Menschen damit gefühlt haben?


Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit

Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.

Andreas Rohner, Autor des hier publizierten Beitrages, ist Leiter des Projektes «Kriegsnachrichten». Als dieses Projekt vor 8 Jahren gestartet wurde ging es um einen Rückblick auf schlimme, längst vergangene Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die Wahrnehmung in der lokalen Öffentlichkeit. Nie hätten es die Initianten des Projektes für möglich gehalten, dass wir heute in Europa wieder einen Krieg erleben müssen. (nfz)

www.kriegsnachrichten.ch


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