«Ich kann fast nicht glauben, dass jetzt Krieg herrscht»

  18.03.2022 Rheinfelden

«Ich kann fast nicht glauben,  dass jetzt Krieg herrscht»

Eine Russin im Fricktal erzählt

Seit drei Jahren lebt Atia Miraz in Rheinfelden. Die Russin erzählt, wie sie zum Krieg in der Ukraine steht und welche Erfahrungen sie in den letzten Wochen gemacht hat.

Valentin Zumsteg

«Es ist eine sehr schwierige Zeit», sagt Atia Miraz mit leiser Stimme. Die Geschehnisse der vergangenen Wochen nehmen die Russin stark mit. Sie beschäftigt sich intensiv mit der Situation in der Ukraine. «Ich kann es kaum glauben, dass jetzt Krieg herrscht. Das hätte nicht passieren dürfen. Es ist unakzeptabel.» Sie habe nicht mit einem Angriff gerechnet. Sie glaubt auch nicht, dass ein Krieg in diesem Ausmass ursprünglich geplant war. «Da ist etwas schiefgelaufen. Ich selber träumte davon, dass Russland irgendwann ein Teil der Europäischen Union wird.»

Das Land verlassen
Atia Miraz ist in Moskau aufgewachsen. Sie studierte Psychologie, war in den USA und hat später in der russischen Hauptstadt als klinische Psychologin gearbeitet und eine erfolgreiche Praxis geführt. Trotzdem entschied sie sich, ihr Heimatland zu verlassen. «Ich litt unter dem Regime und der Korruption.» Zudem hatte sie Angst, dass ihr Sohn in die russische Armee eingezogen werden könnte. Deswegen wanderte sie 2006 nach Bulgarien aus. Später lernte sie einen Schweizer kennen und zog mit ihm nach Rheinfelden, wo das Paar seit drei Jahren lebt. Atia Miraz ist nicht ihr richtiger Name, sondern ihr Künstlername als Malerin. Sie fürchtet sich auch heute noch vor Repressionen durch das russische Regime und will deswegen nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung stehen.

«Ich denke in letzter Zeit besonders viel an meinen Vater, der vor ein paar Jahren verstorben ist. Er hatte im Zweiten Weltkrieg seine Familie verloren, ist als Waise aufgewachsen. Das hat sein ganzes Leben geprägt», erzählt sie. Gleiches geschehe heute wieder durch diesen schrecklichen Krieg. Grosse Sorgen macht sie sich um ihre Mutter und die Nichten und Neffen, die noch in Moskau leben. «Auch ihr Leben hat sich verändert. Die Kinder werden ihrer Zukunft beraubt. Die Sanktionen treffen die einfachen Leute. Es bräuchte Massnahmen, die vor allem die Kriegsmaschinerie stoppen», sagt Atia Miraz.

«Eine grosse Show»
Als Putin an die Macht kam, habe eine grosse Show begonnen, um die Bevölkerung in grossem Stil zu manipulieren. «Es herrscht ein richtiger Personenkult, viele Leute stehen aber hinter ihm. Die Wahrnehmung und das Bewusstsein dieser Menschen werden systematisch durch das Regime beeinflusst.» Ihr Mitgefühl gilt den Menschen in der Ukraine, aber ebenso den einfachen Bürgern in Russland. «Dieser Konflikt ist ein Desaster für beide Seiten – und für ganz Europa.»

Die ukrainischen Flaggen, welche das Rheinfelder Rathaus und die alte Rheinbrücke schmücken, freuen sie. Ebenso die grosse Solidarität, welche die Menschen in der Schweiz zeigen. Sie habe als Russin bislang keine Anfeindungen erlebt. «Die Schweizer können differenzieren zwischen dem Regime und der russischen Bevölkerung», ist sie überzeugt. Miraz will sich ebenfalls für die ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz einsetzen und plant, zusammen mit ihrem Partner für Ukrainerinnen und Ukrainer in Rheinfelden zu kochen. Mit Blick in die Zukunft hofft sie, dass bald wieder Friede herrscht.


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