Philosophische Fragen und Popcorn
24.02.2022 MagdenOscarnominiert: der neue Kurzfilm des Magdener Filmproduzenten Marc Mounier
Seit sieben Jahren lebt Marc Mounier in Los Angeles und arbeitet als Produzent und Literaturmanager. Sein neuer Kurzfilm «Please Hold» wurde für die Oscarverleihung am 27. März 2022 nominiert.
Clara Willers
Der Kurzfilm «Please Hold» spielt in den USA in einer vorstellbaren nahen Zukunft. Regie führte die mexikanisch-amerikanische Filmemacherin K.D. Dávila und die Produktion verantworten Diego Najera, Levin Menekse sowie Marc Mounier. Nach seinem Wirtschaftsstudium in Sankt Gallen arbeitete Marc Mounier, der in Magden aufgewachsen ist, zunächst für das Schweizer Radio und Fernsehen. 2016 machte er den Master in Producing an der University of Southern California. Seither arbeitet er für die Firma Management 360 als Literaturmanager und Produzent.
«Der Film kritisiert die Entmenschlichung der digitalen Gesellschaft und des Justizsystems», schildert Marc Mounier. So wird der Protagonist Mateo Torres ohne Erklärung mitten auf der Strasse von einer Drohne verhaftet. Eingeschüchtert von den Drohungen der Drohne, widersetzt sich der 20-Jährige der Verhaftung nicht und geht ins Gefängnis, das ebenfalls vollständig automatisiert ist. Kommunizieren kann Mateo einzig über einen Bildschirm und Drohnen. Der junge Amerikaner mit lateinamerikanischen Wurzeln erkennt bald, dass er wegen eines Computerirrtums durch das automatisierte amerikanische Rechtssystem gefallen ist. Um sich aus der Situation lebend zu befreien, setzt er sich mit der Computer-Bürokratie des amerikanischen Justizsystems auseinander und findet schliesslich einen Anwalt, der ihn befreien kann. Dies allerdings unter der Bedingung, dass seine Mutter ein Darlehen von 10 000 Dollar aufnimmt, um diesen Anwalt zu bezahlen. Als Mateo endlich das Gefängnis verlassen kann, weil der Irrtum aufgedeckt wurde, ist er arbeits- und mittellos.
Kann ein komplett automatisiertes Justizsystem gerecht sein?
Entmenschlicht wirkt das automatisierte Justizsystem, da der Protagonist Mateo nicht durch einen Menschen, sondern nur durch eine Drohne aufgehalten wird. Mateo hat kein Gegenüber, bei dem er auf Empathie setzen kann, da die Drohne fremd und nicht fassbar ist. Zugleich spielt der Film mit der Erwartung des Zuschauers, dass ein vollständig automatisiertes Justizsystem absolut korrekt sein muss. Da man davon ausgeht, dass Computer keine Fehler machen, kann es nichts anderes als gerecht sein. Erst beim zweiten Gedanken wird einem bewusst, dass das System, was richtig und falsch ist, von Menschen programmiert wurde. Die Wahrnehmung über eine Kamera zum Beispiel kann falsch sein, da das Bild zweidimensional ist. Das heisst, alles ist auf eine Ebene komprimiert und es gibt Fehler in der Wahrnehmung der verschiedenen Ebenen des Raums. «Programme wie die Gesichtserkennungssoftware sind heute auch in der Realität bei vielen Polizeikorps üblich und gerade für Menschen mit dunkler Haut problematisch, denn dort funktioniert die Technologie oft schlechter», bilanziert Marc Mounier.
Anspruchsvoller Mix aus Science-Fiction, Drama und Satire
«Der Kurzfilm ist ein Genre-Mix mit Aspekten von Science-Fiction, Drama und Satire», schildert der 32-jährige Magdener. Dramatisch ist Mateos Reise, da es um sein Leben geht und er panisch nach einer Lösung sucht. Satire ist der Film zum Beispiel, wenn im Gefängnis ein Schild aufgehängt ist mit der Aufschrift «Please do not assault our drones», zu Deutsch «Bitte greifen Sie unsere Drohnen nicht an». Der Computerassistent mit dem Namen «Scaley», eine anthropomorphische Cartoon- Waage, wurde vom allseits bekannten Assistenten von Microsoft Office «Clippy», der interaktiven, animierten und den Benutzer in Sprechblasen «ansprechenden» Cartoon-Büroklammer mit Augen, inspiriert. Im Kurzfilm fragt die Computerfigur Scaley Mateo, ob er sich selbst als schuldig oder nicht schuldig anerkennt. Das heisst, Mateo muss bei dieser elementaren Frage nach Freiheit oder Gefängnis mit einer lächerlich wirkenden Computer-Figur kommunizieren.
Zunehmende Automatisierung des alltäglichen Lebens
«Unser Leben wird immer automatisierter.» Der Magdener Filmproduzent spricht vom Self-Check-Out im Supermarkt, aber auch von unzähligen Dienstleistungen, die heute nur noch über lange Warteschlangen am Telefon oder Computer ausgehandelt werden können. Ganz nach dem Motto: «Please Hold», «Bitte bleiben Sie dran».
«Ziel ist es, die Eigenartigkeit unserer Lebensumstände zu zeigen und einen sowohl zum Schmunzeln als auch zum Nachdenken zu bringen», so Mounier. Der Film erinnert an eine Situation mit einer Telekommunikationsfirma im Netz, mit dem einzigen Unterschied, dass es im Kurzfilm um Leben oder Vernichtung geht. «Stellen Sie sich vor, Sie sind mit dem Kundendienst von UPC Cablecom, Easy Jet oder wer auch sonst immer im Ktipp und Kassensturz vorgeführt wird, am Apparat, aber diesmal geht es um ihr Leben!», schildert Marc Mounier. Der Film wolle aufrütteln, da der Verlust des Menschlichen schleichend passiere. Durch die verschiedenen Ebenen im Film finden viele Zuschauer einen Aspekt des modernen Lebens, mit dem sie sich identifizieren können.
«Im Kurzfilm kann man ein Thema ausprobieren»
Der Kurzfilm ist nicht besonders kommerziell, aber es gibt einen Markt und sehr viele Festivals. Erfolg hatte der 2020 fertig gestellte Kurzfilm «Please Hold» bereits am Florida Film Festival, wo er den US Jury Award gewann, sowie in Palm Springs, wo er im Juni 2021 den Special Jury Mention erhielt, was einem 2. Platz gleichkommt. An den Celluloid Screams in England wiederum erreichte der Kurzfilm den 3. Platz. Als Produzent will Marc Mounier das Medium Kurzfilm voll ausschöpfen. «Im Kurzfilm kann man ein Thema ausprobieren, das später vielleicht zu einem Langfilm führt.»
Nach erst sieben Jahren im Filmbusiness hat der Fricktaler mehrere Projekte seiner Klienten, überwiegend Drehbuchautoren, die er managt, an Studios wie Paramount, TriStar oder Netf lix verkauft. Als Produzent ist er regelmässig mit Kurzfilmen an Top Festivals unterwegs. Während sein Kurzfilm «Wyrm» am Sundance Festival 2018 Premiere feierte (die NFZ berichtete), schafft es «Please Hold» nun an die Oscar-Verleihung vom 27. März 2022. «Mich interessieren kulturelle, philosophische, ethische, soziale und psychologische Fragen, und ich versuche, sie mit einer Portion Popcorn und viel Emotion an die Menschen zu bringen», bilanziert er. Motiviert durch die Oscarnomination wird «Please Hold» nun zu einer Langspielfilmfassung entwickelt.