Ein wahres Christkind

  24.12.2021 Fricktal

Gedanken zu Weihnachten

Walter Herzog

«Liebes Christkind, so gerne hätte ich anständige Kleider für meine drei kleinen Kinder. Sie können ja nichts dafür, dass meine finanziellen Sorgen als alleinerziehende Mutter so gross sind.»

«Liebes Christkind, ich würde so gerne musizieren, aber wir können uns kein Instrument leisten. Kannst Du uns helfen?»

«Liebes Christkind, ich wünsche mir so sehnlichst, dass ich meinen Vater endlich wieder sehen kann. Seit drei Monaten habe ich ihn nicht mehr gesehen und gehört, und ich vermisse ihn so sehr!»

«Liebes Christkind, ich hoffe, dass Du mir helfen kannst. Meine finanzielle Situation ist aussichtslos und ich kann meine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Bitte hilf mir, dass ich zu Geld komme!»

«Liebes Christkind, sehnlichst wünsche ich mir eine neue Matratze für mein Bett, ich habe starke Rückenschmerzen und mein Geld reicht leider nicht, um eine neue zu kaufen.»

«Liebes Christkind, ich fühle mich einsam und würde gerne eine Person für ein gemeinsames Essen treffen, oder um zusammen zu reden.»

Diese sechs Wünsche stehen sinnbildlich für unzählige Wünsche von Kindern und Erwachsenen. Gerade zur Weihnachtszeit möchten viele, dass ganz wichtige Wünsche in Erfüllung gehen. Darunter gibt es kuriose, lustige, ausgefallene aber auch tragische Wünsche und auch solche mit herzzerreissendem Inhalt. Seit rund 30 Jahren steht, vermutlich als weltweites Unikat, in Luzern ein Christkindli-Briefkasten. Jeden Winter von Ende November bis Mitte Januar werden dort mehrere hundert Wünsche und Sorgen von Kindern und Erwachsenen eingeworfen. Die Initiantin Heidi Rothen und ihre Stiftung versuchen, die vielen Wünsche von Kindern und Erwachsenen nach Möglichkeit zu erfüllen. Im Vordergrund ihres unermüdlichen karitativen Schaffens stehen bedrängte Minderheiten, die Unterstützung von Hilfesuchenden oder am Abgrund stehende Einzelpersonen oder Familien. Es liegt in der Natur der Sache, dass es meistens um die Erfüllung von Wünschen geht, die finanzielle Mittel erfordern.

Heidi Rothen und ihre Stiftung versuchen zu helfen, wo immer es auch möglich ist. Der alleinerziehenden Mutter möglicherweise mit Kleidereinkaufsgutscheinen im Kinderkleidergeschäft und dem alten Mann mit Rückenschmerzen mit einem Gutschein bei einem Gesundheitsmatratzengeschäft. Der Frau mit den grossen finanziellen Schwierigkeiten wird der Kontakt zur hilfreichen Schuldenberatungsstelle von Caritas vermittelt und dem einsamen Mann zu einem willkommenen Besuch durch den Besuchsdienst der Gemeinde verholfen.

Dem Kind mit dem Instrumentenwunsch wird der Kontakt zur Musikschule vermittelt und die Möglichkeit zur günstigen oder kostenlosen Miete eines Instrumentes ermöglicht.

Plötzlich können viele dieser Wünsche, welche vor kurzem noch so fern schienen, erfüllt werden.

Doch wie kann dem Jungen geholfen werden, welcher sehnsüchtig auf einen Anruf seines Vaters wartet? Schon so häufig hat der Sohn ihn angerufen, doch er hat das Telefon nicht abgenommen.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, sagt sich das «Christkind» und findet die Adresse und Telefonnummer des Vaters heraus. Und tatsächlich, beim ersten Anruf vom «Christkind» nimmt der Vater den Hörer ab und hört aus seinem Handy eine weibliche Stimme sagen: «Ich bin das Christkind und möchte Ihnen sagen, wie sehr Ihr Sohn Sie vermisst und wie sehr er sich über einen Anruf von Ihnen freuen würde…»

Es bleibt still auf der anderen Seite der Verbindung und das «Christkind» hat bereits grosse Angst, dass der angerufene Vater den Anruf abbricht.

«… es … es ist eine sehr komplizierte Angelegenheit… – ich weiss nicht…» tönt es von der anderen Seite «… – also gut, ich werde meinen Sohn anrufen, vielen Dank»

«Ihnen vielen Dank und ganz schöne Weihnachten», antwortet das «Christkind» erleichtert.

Und der Vater hält sein Versprechen, wählt die Nummer und ruft seinen Sohn an.

Was gibt es Schöneres an Weihnachten? In diesem Fall war, wer hätte es anders gedacht, wiederum Heidi Rothen das «Christkind». Heidi Rothen ist in der Zwischenzeit 83 Jahre alt. Ist es nicht an der Zeit, dass es nicht nur eines, sondern ganz viele «Christkinder», die helfen und Wünsche erfüllen, auf unserer Welt und auch in unserer Region gibt?

Es ist gar nicht so schwer – versuchen wir es.


Kinderzeichnungen gaben den Anstoss

Der Christkindli-Briefkasten ist aus dem «Kinderparadies Altstadt» in Luzern hervorgegangen, welches Heidi Rothen vor über 30 Jahren gegründet hat. Die Motivation war damals, einen kindgerechten Ort zu schaffen, wo Eltern ihre Schützlinge ohne komplizierte Bürokratie für ein paar Stunden in gute Hände geben konnten. Jedes Jahr vor Weihnachten äusserten die Kinder im Kinderparadies ihre Weihnachtswünsche in Form von Zeichnungen oder Collagen. Heidi Rothen wollte, dass diese Wünsche – der oft sehr bedürftigen Kinder – ernst genommen und nicht einfach weggeworfen würden. So kam ihr die Idee, in der Stadt einen Briefkasten aufzustellen, wo solche Post gesammelt und «an das Christkind» weitergeleitet werden konnte. Zusammen mit einer Stiftung werden diese Wünsche vom «Christkind» Heidi Rothen nach Möglichkeit auch erfüllt. (mgt/nfz)


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