Eine Leidenschaft für urbane Kunst

  28.11.2021 Kunst, Möhlin, Persönlich

«Aus einem Ansporn aus Leidenschaft» gründete Philipp Brogli im Jahr 2005 das Artstübli. Was mit der Idee begann, Kunstschaffende aus ihren Schweizer «Stüblis» herauszulocken, ist heute ein Vorreiter in der urbanen Kunstszene.

Lea Buser

In Möhlin aufgewachsen, Radball gespielt und zur Schule gegangen, zog es Philipp Brogli für seine Lehre nach Basel. Diese absolvierte er als Polygraph bei der Basler Zeitung, wo er sich unter anderem mit Text- und Bildbearbeitung auseinandersetzte. Etwa drei Jahre nach dem Erlangen der gestalterischen Berufsmatur entstand bereits die Idee für das Artstübli. Die Philosophie war, Künstlerinnen und Künstler aus ihren «Stüblis», also Ateliers, herauszulocken und deren Qualität aufzuzeigen. 2005 gründete Brogli schliesslich das Artstübli, wo zuerst über die Website herausgegebene PDF-Magazine weltweit tausendfach heruntergeladen wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die Magazine insbesondere urbane, Street Art- und Graffiti-Künstler ansprachen. Die urbane Kunstbewegung – damals noch ein grosses Fragezeichen – sei heute die weltweit aktivste Kunstbewegung. «Das wird in die Geschichtsbücher eingehen», bekräftigt Philipp Brogli.

Nachdem die «Artstübli-Artgenossen» ihr Herzensprojekt fünf Jahre betrieben, organisierten sie vermehrt Ausstellungen in alternativen Locations, wie beispielsweise im Ackermannshof in Basel. Damit begann der professionelle Verkauf von Werken diverser Kunstschaffenden, wobei Brogli sich das nötige Wissen «learning-by-doing» aneignete. Mit Swatch als Presenting Partner organisierte das Artstübli-Team in den Jahren 2010, 2011 und 2012 die «Artyou – Urbane Kunst Basel», eine der grössten urbanen Kunstausstellungen der Schweiz. Dabei zeigte sich das grosse Potential der Künstlerinnen und Künstler dieser Kunstbewegung.

Jedes Bild ist ein Unikat
Das resultierte in der heutigen Artstübli-Location, welche seit April 2014 am Steinentorberg 28 in Basel zu finden ist und von Brogli seit 2019 vollzeitig als GmbH geführt wird. Davor arbeitete er noch drei Tage die Woche als Filmeditor und technischer Leiter in einer Basler Werbeagentur.

Was im Artstübli-Schaufenster im ersten Moment wie eine kaputte Scheibe aussieht, ist in Wahrheit ein Gesicht aus Glas, erschaffen vom Künstler Simon Berger. Je mehr Abstand man nimmt, umso besser erkennt man es. Dadurch komme man mit den Leuten ins Gespräch, erzählt Philipp Brogli. Die grossen Fensterfronten ermöglichen den Vorbeigehenden zudem den Blick auf die Ausstellung, was ihm besonders gut an den Räumlichkeiten gefällt: «Sie sehen, was hier drin passiert.»

Die Glaskunstwerke von Berger, die noch bis zum 18. Dezember ausgestellt sind, fesseln den Blick. Mit einem Hammer haut der Künstler präzise Gesichter in Verbundsicherheitsglas. «Jedes Bild hat seine eigene Emotion und jedes ist ein Unikat», trifft es Brogli auf den Punkt. Durch Zerstörung wird etwas Schönes geschaffen – darin zeigt sich der Charakter der urbanen Kunst. Bergers einzigartiges Schaffen konnte auch schon in Washington D.C. bestaunt werden. Anfang 2021 koordinierte Brogli die Abläufe der fünftägigen Ausstellung eines Glasgemäldes von Kamala Harris beim Lincoln Memorial. Die arbeitsintensiven Wochen lohnten sich, die Ausstellung war ein Selbstläufer. Zahlreiche Menschen fotografierten das Kunstwerk und markierten Simon Berger auf Social Media, wodurch die Aufmerksamkeit auf ihn und das Artstübli gelenkt wurde. «Das sind Geschichten, die kannst du nicht planen. Das kommt und dann musst du bereit sein.»

Vielfalt und Vielseitigkeit
Neben den Ausstellungen und dem Verkauf koordiniert Brogli auch Kunst am Bauprojekt. Dem Künstler-Netzwerk, das sich mittlerweile etabliert hat, bietet das Artstübli eine Plattform, um die grauen und unscheinbaren Orte der Stadt als Leinwände für urbane Kunst zu nutzen. Philipp Brogli vermittelt dabei zwischen Auftraggebern und den jeweiligen Künstlerinnen und Künstler. Zudem konnte er auch schon Bekanntheiten wie den Street Art Künstler Invader für die Gestaltung einer Fassade begeistern, beispielsweise in der Clarastrasse in Basel. Solche «Schmuckstücke» fallen vielen Vorbeigehenden gar nicht auf, erzählt Brogli. Das ändert sich, sobald man auf einer der Artstübli-Touren dabei war. Insbesondere die Urban Art City Tour dient als Tor in die Welt der urbanen Kunst. «Wenn du Zeit hast, läufst du ganz anders durch die Stadt», erklärt er, «wir zeigen den Teilnehmenden diese versteckten Winkel.» Und da Graffiti und Street Art dermassen dynamisch sind, gibt es überall und immer wieder etwas Neues zu entdecken.

Die Emotionen kehren zurück
So interessant und vielseitig Philipp Broglis Arbeit ist, so bedeutend ist es auch, zwischendurch abzuschalten. In Möhlin ist er immer noch verwurzelt. Dort hat seine Familie ein «Hüttli» am Rhein und er sein Kajak, mit dem er auf Fitness- und Entspannungstouren geht. Gerade die letzten zwei Jahre waren herausfordernd, denn die Coronapandemie hat auch das Artstübli nicht verschont. Da Kunst als Luxusgut gilt, verzichteten einige auf einen Kauf.

Positiv waren der Erfolg und die betreuten Projekte von Simon Berger, dessen Glaskunstwerke europaweit gekauft wurden. Aber auch deren Versand war nicht dasselbe, denn Kunst sei ein Erlebnis, so Brogli: «Wenn man die Leute hier drin hat, ist das für mich das Beste. Die Emotionen zu sehen und das Kunstwerk live zu erleben. Das kannst du niemals online zeigen.» Glücklicherweise kehren die Emotionen in das Artstübli zurück. So bemerkt er eine gewisse Lockerheit unter den Leuten, die wieder in die Galerie hineinkommen. Und auch für die nächste Zeit ist bereits viel geplant. Touren mit E-Bikes sollen angeboten werden, um die urbane Kunst in den verborgenen Ecken rund um Basel entdecken zu können. Weiterhin möchte das Artstübli Kunst-Mietmodelle anbieten, zudem liegt auch das Projekt «Art-Concierge» auf dem Tisch, eine Kunstberatung vor Ort.

Philipp Broglis Ziel bleibt dabei stets dasselbe: Kunst und Emotionen zu vermitteln.

Artstübli – Urbane Kunst & Kultur Steinentorberg 28, Basel 
Öffnungszeiten: Donnerstag/ Freitag: 11 bis 18 Uhr Samstag: 14 bis 18 Uhr www.artstuebli.ch


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