Anknüpfen an die grünen, alten Zeiten

  20.09.2020 Fricktal

Überzeugt, dass es mit ihnen aufwärts geht: die Grünen

Die Welt hat den Schnupfen und der Mensch bewegt sich permanent an der Grenze zum Burnout. Dagegen wirkt ihre Politik, finden die Grünen.

Ronny Wittenwiler

Im Zuge von Greta und einer demonstrierenden Klimajugend hätte man es doch glatt vergessen können: Die Grünen durchschritten zweimal das Jammertal. Zuerst 2012 und dann auch 2016 mussten sie bei den Grossratswahlen Verluste hinnehmen. Gereicht für zwei Fricktaler Mandate hat es dann aber doch. Für die Grünen im Bezirk Laufenburg sitzt Getrud Häseli aus Wittnau im Grossen Rat (seit 2009). Für die Grünen im Bezirk Rheinfelden sitzt Parteipräsident Andreas Fischer aus Möhlin im Grossen Rat (seit 2014). So solls auch bleiben, geht es nach dem Gusto der Partei. Mit zusätzlichen Sitzgewinnen im Fricktal rechnen beide nicht. Positivismus macht sich trotzdem breit.

15. September, 30 Grad
«Aber sicher!», erklärt Häseli, beinahe etwas trotzig. Die Talsohle hätten die Grünen definitiv durchschritten nach den Grossratswahlen vor vier Jahren, jetzt gehe es wieder aufwärts, und Andreas Fischer glaubt, klare Indizien dafür zu erkennen: «Die Nationalratswahlen sind für uns meistens ein Gradmesser im Hinblick auf die Grossratswahlen.» Bei den Nationalratswahlen gehörten die Grünen zu den grossen Gewinnern.

Die Nationalratswahlen waren 2019. Greta war 2019. Jetzt sind Grossratswahlen und vieles ist anders. Das wissen auch die beiden Grünen-Spitzenkandidaten aus dem Fricktal. «Klar ist nun Corona in aller Munde», sagt Andreas Fischer, «aber der Klimawandel beschäftigt nach wie vor.» Und obschon in Krisenzeiten oft Wirtschaftskräfte gestärkt würden, wie Fischer sagt, glaubt er dieses Mal an einen Wandel: «Die Leute begreifen, dass wir eine andere Wirtschaft brauchen. Dieses Umdenken hilft uns. Wir Grünen denken in lokalen Wirtschaftskreisläufen.» Apropos Umdenken – gefragt nach den Wahlzielen, wird es Getrud Häseli später im Verlauf des Gesprächs so formulieren: «Morgen ist der 15. September und wir haben dann wieder 30 Grad draussen. Das ist doch krass. Die Politik braucht neue Leute. Wir Grünen holen über zehn Prozent im Kanton und dreizehn, vierzehn Sitze.» Heute sind es deren zehn, man merkts: Die Partei will anknüpfen an die grünen, alten Zeiten wie vor zwölf Jahren.

Grünes Selbstbewusstsein
Es gab Greta, es gab diese grüne Welle im nationalen Parlament und mittlerweile verpasst sich schier jede Partei, vom linken bis weit hinein ins bürgerliche Lager, einen grünen Anstrich – wozu also braucht es die Grünen überhaupt noch? «Uns kann nichts Besseres passieren, wenn die FDP einen Vorstoss macht, den sie uns abgeschrieben hat», sagt Fischer. Was er damit sagen will: Den Grünen sei es immer wieder gelungen, andere auf ihre Linie zu bringen. «Wenn der Kanton heute ein Gebäude bauen lässt, sind auch viele Bürgerliche dafür, dass auf das Flachdach eine Photovoltaik-Anlage zu stehen kommt.» Was die Grünen vor zehn, fünfzehn Jahren gefordert hätten, sei heute mehrheitsfähig. «Das finden wir super» – findet auch Häseli: «So können wir Grünen bereits den nächsten Schritt gehen.»

Wer so etwas sagt, glaubt ernsthaft daran, nicht nur an den altbekannten Orten Stimmen zu machen. «Natürlich gibt es diese Wechselwähler», sagt Getrud Häseli, und meint damit jene, die einmal SP wählen, ein andermal wieder Grün. Stimmen stibitzen bei Quasi-Verbündeten? «Das bringt uns aber nicht weiter», sagt Häseli. Sie glaubt an einen grösseren Wandel. Fischer auch. Und hier bringt die Biobäuerin noch einmal Greta ins Spiel – allerdings anders, als man das womöglich erwartet: «Vielleicht ist vor Greta schon mal eine Schülerin oder ein Schüler vor einem Schulhaus gestanden und hat demonstriert. Ich glaube, in den Köpfen der Menschen findet jetzt einfach eine Veränderung statt.» Die Menschen würden merken, dass es so nicht mehr weitergehen kann, sagt Fischer.

Wie sehr die Welt am Anschlag sei, zeige sich besonders jetzt in Zeiten von Corona, sagt Häseli und macht diesen Vergleich. «Die Welt ist wie ein menschlicher Organismus, der einen Schnupfen bekommt, eine Grippe. Sie ist geschwächt, sie ist nicht zwäg. Wir Menschen sind nicht zwäg. Darum hat auch dieses Virus Eingang gefunden. Wenn wir sitzen, dann gehen wir schon, wenn wir gehen, dann rennen wir schon. Ständig an der Grenze zum Burnout.» Immer schneller. Immer weiter. Als im vergangenen März plötzlich ein Termin nach dem andern aus ihrer Agenda fiel, sagt Häseli, da habe ihr Corona gezeigt: «das Leben funktioniert auch so.»

«Unter aller Würde»
Ob die Grünen die Welt werden retten können, bleibt auch nach diesem Gespräch offen. Überzeugt, dass ihre politische Agenda dazu beiträgt, die Welt etwas von diesem Schnupfen zu befreien, fallen auch Sätze wie diese: «Wir müssen die Finanzströme auf ihre Klimaverträglichkeit überprüfen.» Dass es den Grünen nicht allein um ökologische Aspekte geht, möchten sie festgehalten haben. «Wir brauchen einen Kampf für Lohngleichheit zwischen den Branchen», findet Gertrud Häseli und Andreas Fischer sagt’s wie ein Protest: «Wenn wir uns die Löhne im Bereich Bildung oder Pflege betrachten – das ist unanständig, unter aller Würde.» Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen die Grünen dringend Handlungsbedarf. Hier müsse die Wirtschaft ihre Verantwortung stärker wahrnehmen, fordert die Partei.

Zuletzt noch eine Frage: Grün wählen, dafür mit dem Auto zur Arbeit fahren – verleitet ihre Partei nicht zu einer Art Ablasshandel? «Ja, diese Gefahr besteht», sagt Gertrud Häseli. Dass es Leute gibt, die aus schlechtem Gewissen die Grünen wählen, könne er sich vorstellen, sagt Fischer, aber: «immerhin, das ist schon mal ein Anfang.»


Stich-Worte

Das sagen die Grünen

• Subventionen
«Subventionen sind ein Plan B, auch in der Landwirtschaft. Wichtig wäre, man würde für Nahrungsmittel den wahren Preis bezahlen. Subventionen sind Krücken.» (Häseli)
• Politisches Feindbild
«Ich habe kein konkretes politisches Feindbild. Mich nervt aber, wenn jemand nicht diskussionsbereit ist. Diskussionsverweigerung ist für mich ein Feindbild in der Politik.» (Fischer)
• Bratwurst oder Entrecôte?
«Ich esse Fleisch, nicht sehr viel. Ab und zu gerne eine gute Bratwurst.» (Fischer)
• Bratwurst
«Ohne Senf. Den gebe ich lieber an wichtigeren Orten dazu.» (Häseli)


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